/

Instabil

Gesellschaft | Ansgar Graw: Trump verrückt die Welt. Wie der US-Präsident sein Land und die Geopolitik verändert

Ein Versuch, den derzeitigen Präsidenten der USA politisch einzuschätzen, ist ein waghalsiges Unterfangen. Wer ihn einen Rassisten nennt oder frauenfeindlich, wird spontan Zustimmung finden, doch diese Vorwürfe sind weder besonders originell noch treffen sie den Kern einer, zurückhaltend formuliert, ungewöhnlichen Präsidentschaft. Von WOLF SENFF

Graw - Trump verrückt die Welt - 9783776628074 - USAAuch diejenigen politischen Kreise, die traditionell der Republikanischen Partei nahestehen, wenden sich mehr oder weniger zögerlich von Donald Trump ab, jüngstes Beispiel ein vehementer Artikel im Feuilleton der FAZ, der den unlängst installierten und sogleich deinstallierten Scaramucci als eine der »inkompetenten, verlogenen, moralisch verkommenen Gestalten« bezeichnet, die für Trump arbeiten. Dieser Kommunikationschef benutze »eine Sprache, die unter Kriminellen und an der Wall Street geläufig« sei.

Eine anarchische Grundströmung

Diesen neuen Höhepunkt US-amerikanischer Politikinszenierung nimmt Ansgar Graw nicht mehr wahr, er teilt auch nicht die moralische Verachtung, sondern ist bemüht, Donald Trump emotionslos zu verstehen und ihn als ein politisches Phänomen zu begreifen.

Zunächst habe real immer schon eine starke Strömung existiert, von der das politische Establishment Washingtons und seine Kultur der ›political correctness‹ zutiefst verachtet und abgelehnt werde. Es handle sich um eine anarchische, basisdemokratische Grundströmung, die vor allem im ländlichen Raum verbreitet sei.

Das Volk selbst sei gefragt

Mehrheitsfähig wurde auf dieser Basis einst Andrew Jackson, Präsident von 1829 bis 1837, der sich mit der ›Jacksonian Democracy‹ auf das politische Urteilsvermögen der einfachen Leute habe verlassen wollen, während in der Verfassung selbst – beispielsweise mit dem Prinzip der Gewaltenteilung – Vorsorge getroffen sei, dass die Macht in den Händen einer »natürlichen Aristokratie« bliebe.

Jackson hingegen habe die politischen Entscheidungen keiner städtischen Oberschicht, sondern dem Volk selbst überantworten wollen. Nur folgerichtig sei, dass er – wie übrigens auch Donald Trump – das Prinzip repräsentativer Wahlmänner bei der Wahl des Präsidenten abgelehnt habe. Beide vertreten auch eine isolationistische Politik.

Unprofessionell und ohne Konzepte

Ansgar Graw beschreibt die Seilschaften, auf die sich Donald Trump stützt – vor allem beruhend auf dem Prinzip der Vetternwirtschaft, das im üblichen Verständnis mit demokratischen Strukturen wenig vereinbar ist und das Trump dennoch unverfroren für sich geltend macht.

Graw zeigt Trump als einen problematischen Politiker, der in der politischen Praxis wenig Erfahrung besitzt und in vielen Fällen seine politischen Positionen neu definiert und entwickelt. Für diverse Bereiche, etwa die hohe Verschuldung der USA, hat er kein Konzept vorliegen, die angekündigte grundlegende Steuerreform dürfte ebenfalls im Detail ihre Tücken zeigen.

Außenpolitische Gehübungen

Außenpolitisch sieht Graw Europa in einer schwierigen Lage, er hält ein enges transatlantisches Bündnis weiterhin für die einzige sinnvolle Perspektive. Es ist mutig, in einer Phase einer Trumpschen Politik, die sich über weite Strecken noch nicht konsolidiert hat, eine so umfassende Darstellung vorzulegen.

Besonders das Verhältnis der USA zu Russland ist jedoch, den jetzt erlassenen Sanktionen zum Trotz, nicht stabilisiert, und selbstverständlich wird auch Europa bzw. die Europäische Union ihren Standort an den aktuellen Entwicklungen messen und sich positionieren müssen. Ansgar Graw vertritt diesbezüglich eine konservative transatlantische Position, sie muss nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Ansgar Graw: Trump verrückt die Welt. Wie der US-Präsident sein Land und die Geopolitik verändert
Stuttgart: F. A. Herbig 2017
240 Seiten, 20 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zeit für Zombies!

Nächster Artikel

Words Don’t Come Easy: New Album Reviews

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Vom Ende des Begehrens

Gesellschaft | Byung-Chul Han: Agonie des Eros Vorsichtige Einwände treffen das Format, nicht den Inhalt dieses Essays, der beinahe fast-food-like präsentiert wird. Nicht leicht verdauliche Inhalte sind in angenehm beschwingtes Design gekleidet, ein Schnupper-Paket gewissermaßen mitsamt einer Verpackung, die zum Konsum verführt. Man könnte meinen, dass der Verlag seine Leser von dort abholen möchte, wo sie sich befinden. Damit wären wir beim Thema der Agonie des Eros. Von WOLF SENFF

Das Ticken der Standuhr

Literatur | Ferdinand von Schirach: Kaffee und Zigaretten

Wie ein Märchen liest sich Ferdinand von Schirachs kometenhafter literarischer Aufstieg in den letzten zehn Jahren. Der renommierte Strafverteidiger und Enkel des einstigen NS-Reichsjugendführers hatte 2009 unter dem Titel Verbrechen einen schmalen Band mit Kriminal-Erzählungen vorgelegt, der mehr als 150 000mal verkauft wurde. Offensichtlich hatte der Jurist den »Nerv der Zeit« getroffen und mit den erzählten Fällen aus seinem juristischen Kanzlei-Alltag auch einen latenten Voyeurismus befriedigt. Seine Bücher wurden zu millionenfach verkauften internationalen Bestsellern und sind bisher in 40 Ländern erschienen. Von PETER MOHR

Neue Subjektivität

Gesellschaft | Peter Engel, Günter Emig (Hg.), Die untergründigen Jahre   Niemand zählt noch Epochen. Oh, das fiel Ihnen bislang gar nicht auf? Noch immer scheint ungewiß, ob die Postmoderne abgeräumt ist, und falls ja, seit wann genau, und wo wir uns derzeit befinden. Intelligenz, verkünden die Großfürsten der digitalen Verwirrung, sei jetzt künstlich, und seit neuestem, lesen wir, gibt es lebenden Beton. Na denn. Von WOLF SENFF

Freier Mensch und freies Leben

Gesellschaft | Michael Hirsch: Warum wir eine andere Gesellschaft brauchen! Das Gefühl, dass Lähmung um sich greift, ist unverkennbar. Dennoch erleben wir im Alltag eine unaufhaltsame Beschleunigung – was ist eigentlich los? Die Lähmung, so Michael Hirsch, in diesem Punkt an Slavoj Zizek anknüpfend, sei verursacht durch den in unseren Köpfen zutiefst verwurzelten Glauben an ›Wachstum‹ und ›Fortschritt‹. Und die Beschleunigung ist das Ergebnis der durch nichts und niemanden gebremsten kapitalistischen Erwerbsorientierung, vulgo Raffgier. Von WOLF SENFF

In festgefahrenen Strukturen wühlen

Kulturbuch | Jan Seibert: Die Piratenpartei. Der Beginn einer neuen politischen Ära Schmierig. So fühlt sich Jan Seiberts Buch Die Piratenpartei. Beginn einer neuen politischen Ära von außen an. Der Verlag hat sich entschieden, das Buch mit einem eigenartigen Gummibelag zu überziehen. Die Schmierigkeit setzt sich innen fort. Von JAN FISCHER