Lovely Creature

Comic | Reinhard Kleist: Nick Cave – Mercy on me

Nick Cave ist Kult – und nun auch Comic-Held. Der für seine grafischen Biographien berühmte Reinhard Kleist hat dem australischen Musiker ein gezeichnetes Denkmal gesetzt. »Für Fans oder für alle?«, fragt sich CHRISTIAN NEUBERT

Comic: Nick CaveReinhard Kleist ist ein Meister der grafischen Biographie. Er zeichnete u.a. die Lebenswege von Fidel Castro, Elvis Presley und Johnny Cash nach, was den in Berlin lebenden Künstler zu einem der prominentesten Vertreter seiner Zunft machte. Zu einem, der auch internationale Erfolge verbuchen kann. In seinem neuen Werk hat er sich den australischen Querkopf Nick Cave vorgenommen: Sein Comic ›Nick Cave – Mercy on me‹ erschien im Winter im Carlsen Verlag.

In letzter Zeit dürfte der exzentrische Kultmusiker eher Kinogängern aufgefallen sein. Jenen, die bis zum Ende sitzen bleiben und sich auch den Abspann ansehen: Gemeinsam mit seinem Grinderman-Kompagnon Warrren Ellis schuf Cave diverse Filmmusiken. Genau genommen zieht sich das Soundtrack-Fach aber schon lang durch seine Künstlerbiographie. Wie auch so einiges mehr: Cave ist Schauspieler, Filmemacher, Autor, Poet. Und nun also auch Comic-Held.

Nick Cave, der Mythos

Als dunkelbunter Hund der Musiklandschaft ist Cave ein unbestrittener Meister der Selbstinszenierung. Der mit perfekt sitzender Pose, tiefer Stimme und dunkler Poesie gemeißelte Mythos um seine Person lässt den Menschen hinter ihm verschwimmen. Offenbart ihn Kleists Comic? Hievt er den Künstler Cave von seinem Sockel?

Kleist umkreist ihn, mit wilden, rastlosen Bildern. Er geht behutsam mit den Eckdaten seines Protagonisten um, setzt stattdessen bewegende Stationen in Caves Leben mit Figuren aus dessen Song-Kosmos in Bezug. Mit schaurig-schillernden Wesen, die den Musiker gleichermaßen geißeln und nähren. Denen Cave das Ende bereitet und die ihn weiter gen Ende delirieren lassen. Eingedenk, dass der Tod nicht das Ende ist, was er gemeinsam mit seiner Band The Bad Seeds schon Mitte der Neunziger recht exzessiv besang.

Nick Cave, der Mensch?

Erstaunlich, dass Kleist kaum über diese Zeit hinaus blickt. ›Nick Cave – Mercy on me‹ hangelt sich von Caves frühen Punk-Erfolgen Ende der Siebziger über seine Londoner und Westberliner Jahre sowie seinem Absturz bis zu seiner Rückkehr als strahlender Held der gedämmten Lichter. Soweit, so wahr – und doch so Klischee. Dass Cave sich in dem Comic seine Dämonen selbst schafft und anhand von ihnen über Schuld, Sühne und Erlösung verhandelt, ist als erzählerischer Kniff da nur legitim – zumal Caves Figuren nie eine theatralische Tiefe abgeht. Der Musiker selbst bleibt da aber auch nur eine Figur – was Kleist seinen Protagonisten nicht ohne Ironie aussprechen lässt. Folgerichtig ist Cave in dem Comic weder größer noch kleiner als sein Werk. Er ist ihm ebenbürtig, wird zu ihm. Und war es, so scheint es dunkel durch die schwarz-weißen Zeichnungen, irgendwie schon immer: Kleist gönnt Cave schon als kleinem Punk die Gabe der großen Gesten.

Dem Fan wird das genügen. Wer sich eine differenziertere Auseinandersetzung oder gar ein Kratzen am Kult erhofft hat, wird allerdings enttäuscht. Dafür blickt ›Nick Cave – Mercy on me‹ zu sehr zu seinem Protagonisten auf.

| CHRISTIAN NEUBERT

Titelangaben
Reinhard Kleist: Nick Cave – Mercy on me
Hamburg: Carlsen 2017
328 Seiten, 24,99 Euro

Reinschauen
| Leseprobe auf der Verlagshomepage
| Webseite des Künstlers
| Webseite von Nick Cave

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Nicht zwischen den Stühlen

Nächster Artikel

FOLKDAYS … Päivi Hirvonen mit extravagant schillernden Songs

Weitere Artikel der Kategorie »Comic«

Blaugefächerte Erinnerungen

Comic | Andrea Serio: Rhapsodie in Blau

Andrea Serio zeichnet eine Graphic Novel über den Faschismus in Italien und den Zweiten Weltkrieg zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die in leisen Tönen daherkommt. In blauen und braunen Farben komponiert er eine ›Rhapsodie in Blau‹, angelehnt an George Gershwins ›Rhapsody in Blue‹, die die Protagonisten auf der Flucht von Italien nach Amerika und zuletzt als US-Soldaten wieder zurück nach Europa führt. Dabei erleben wir Weltgeschichte am persönlichen Beispiel. Von FLORIAN BIRNMEYER

Frisch gezeichnet aus Bangalore

Comic | Sebastian Lörscher: Making Friends in Bangalore Aus allen Winkeln der Welt erhalten wir heutzutage sekundenschnell die merkwürdigsten Selfies von Freunden und Bekannten. Geradezu altmodisch hat sich Sebastian Lörscher einen Monat Zeit gelassen für die »Aufnahmen« und legt ein volles Skizzenbuch aus Indien vor: ›Making Friends in Bangalore‹. Vom Strudel der szenischen Eindrücke ist PIEKE BIERMANN ganz hingerissen.

Schwarzgrauweiße Heldenreise

Comic | Sascha Hommer: Spinnenwald Comic-Künstler Sascha Hommer entführt mit seinem neuen bei Reprodukt erschienenen Band in den ›Spinnenwald‹. Er entspinnt dort eine fantastische Geschichte, die ihre Figuren auf eine Heldenreise schickt. Die fremdartigen Abenteuer, die sie erleben, resümieren parallel über gesellschaftliche Fragen. Von CHRISTIAN NEUBERT

Ohne Humor geht es nicht!

Comic | Internationaler Comic Salon Erlangen 2014: Auf der Suche nach dem deutschen Genrecomic, Teil 2 ›Malcolm Max‹ sitzt im Tower und Charisma Myskina sitzt in der Falle. Kult-Autor Peter Mennigen und sein versierter Zeichner Ingo Römling lassen ihre Protagonisten erst mal nicht so schnell aus der Bredouille heraus, in die der Cliffhanger am Ende von Band 1 sie geführt hat. Während der übersinnliche Ermittler Malcolm auf seiner rasanten Flucht durch den Tower hitzige Debatten mit den neunmalklugen Mädchen Miranda und Emmeline führt, muss sich die Halbvampirin Charisma der Avancen des Roboterkonstrukteurs Artful Leech erwehren, der sie in seinem Labor

Gottes chaotischer Garten

Comic | Ville Ranta: Paradies Der finnische Comiczeichner Ville Ranta wird als einer der kreativsten Köpfe seines Landes gepriesen. Seine erste Veröffentlichung hierzulande ist leider die etwas belanglose Bibelparodie Paradies, von der BORIS KUNZ sich etwas mehr erhofft hatte.