Vorzimmer zum Sarg

Roman | Frédéric Beigbeder: Endlos leben

In Frankreich genießt der Schriftsteller Frédéric Beigbeder seit der Veröffentlichung seines Erfolgsromans »39,90« (2001) über die verlogene Scheinwelt in der Werbeindustrie beinahe den Status eines Popstars. Seitdem darf sich der inzwischen 53-Jährige über eine Dauerpräsenz in den französischen Medien freuen – ob als vermeintlicher Literaturexperte, als zynischer Kolumnist und provozierender Talkshow-Moderator oder eben als narzistischer Star-Autor. Beigbeder mag die effektvollen Selbstinszenierungen. Von PETER MOHR

Beigbeder -Endlos LebenAuch sein neuer Roman, der als stark autobiografischer Erzählessay daher kommt, kreist um ein nur leidlich verfremdetes Erzähl-Ich. Die Midlife-Crisis hat ganz übel zugeschlagen: »Ich fing an, das Alter zu hassen: das Vorzimmer zum Sarg. Ich hatte einen überbezahlten Job, eine hübsche zehnjährige Tochter, eine Wohnung über drei Etagen mitten in Paris und einen BMW Hybrid. Ich hatte es nicht sonderlich eilig, all diese Annehmlichkeiten zu verlieren.«

Die ständig wechselnden Klinikaufenthalte seiner gebrechlich werdenden Eltern und ein nur auf den ersten Blick banaler Dialog mit seiner zehnjährigen Tochter lösen eine gewaltige Handlungs- und Gedankenlawine aus. Die Tochter konfrontiert ihn mit der Frage, ob alle Menschen irgendwann sterben müssen. »Papa, ich möchte nicht, dass du stirbst.« Aus Verlegenheit gibt der Protagonist (vermutlich zu 95 Prozent mit Beigbeder identisch!) das Versprechen ab, dass damit jetzt Schluss ist. »Wenn einem die Tochter diese Frage stellt, dann sagt man sich doch: Okay, ich muss mich wenigstens mal informieren

Beigbeder erzählt äußerst unterhaltsam und schwungvoll. Manchmal muten seine weit ausholenden gedanklichen Slalomläufe auf der Suche nach dem ewigen Leben allerdings ein wenig selbstverliebt an. Er holt Erkenntnisse aus der Humanmedizin, der Genetik (beim Genexperten Antonakis in Genf) und aus der Sportwissenschaft ein. Weisheiten von Diätpäpsten (»Ich war stolz darauf, mit fünfzig ein freiwilliges Opfer von Unterernährung zu sein.«) und Anti-Stress-Gurus vermengt er zu einer selbstreferenziellen, mal bitter, mal süß schmeckenden Erzählmelange. Zynismus, Ironie, Neugier und Verzweiflung gehen als Stimmungslagen fließend ineinander über.

Nach Israel, Österreich, in die Schweiz, nach Boston und Kalifornien führen ihn die medizinischen Erkundungstouren – immer auf der Jagd nach neuen lebensverlängernden, revitalisierenden Methoden.

Für Beigbeder bedeutet die exzessive Auseinandersetzung mit dem eigenen Älterwerden auch eine innere Zäsur – die Abkehr von seinem bisherigen ausschweifenden Leben und die Hinwendung zu einer neuen körperlichen Selbstfindung.

»An diesem frühen Morgen endete meine nicht enden wollende Kindheit«, hieß es im 2010 erschienenen Roman Ein französischer Roman, als Beigbeder nach permanentem Kokainkonsum von der Polizei festgenommen wurde. Nun hat er offensichtlich diese lang anhaltende Phase der »Kindheit« hinter sich gelassen. In einem Interview berichtete er offen über einen medizinischen Rundum-Check, den er kürzlich über sich ergehen ließ: »Die Resultate waren ziemlich gut, nur meine Leber ist etwas fett. Kein Wunder, nach all dem, was da schon durchgesickert ist.«

Neben der Suche nach dem endlosen Leben spielt auch noch das Motiv der Selbstperfektionierung eine zentrale Rolle. Beigbeder beschreibt plaudernd und anekdotenreich, wie er sich entgiften ließ, wie er sich auf sein Idealgewicht herunter hungerte und seine Vitalität mittels Bluttransfusionen »tunte«. Alles ausgelöst durch die Frage eines Kindes!

Geradezu zyklisch endet Beigbeders erzählerische Selbsterkundung auch wieder mit einem Kind. »Als sie mich erkennt, lässt Lou ihr Fläschchen fallen. Sie kommt auf mich zugerannt und ruft: Papa! Da sinke ich auf die Knie und breite meine Arme aus.«

Das Leben bleibt endlich, also muss man das kleine private Glück genießen. Ist dies nun ein honigsüßer, kitschiger Schluss, oder steckt doch mehr dahinter? Vielleicht sogar die Rückbesinnung eines Menschen (Beigbeder), der weite Teile seines Lebens auf der medialen Überholspur in der Glitzerwelt verbracht hat, auf die kleinen, ganz privaten, immateriellen Glücksmomente. Die »Wahrheit« liegt wohl – wie so oft im Leben – auf halber Strecke.

| PETER MOHR

Titelangaben
Frédéric Beigbeder: Endlos leben
Aus dem Französischen von Julia Schoch
München: Piper Verlag 2018
346 Seiten, 22.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zwei beste Freunde

Nächster Artikel

Ein langer Abschied

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Leben und Sterben im bürgerlichen Zeitalter

Roman | Asta Scheib: Sonntag in meinem Herzen. Das Leben des Malers Carl Spitzweg FLORIAN WELLE rezensiert Asta Scheibs Romanbiografie Sonntag in meinem Herzen, in der sie vom Münchner Maler Carl Spitzweg erzählt.

Zuschauen und merken

Roman | Frank Goosen: Kein Wunder »Ich habe zwar auch an der Verklärung mitgeschrieben, aber immer versucht, das ironisch zu brechen«, hatte Frank Goosen kürzlich über seine Rolle als »Ruhrgebiets-Autor« in einem Interview erklärt. Der 53-jährige Goosen war einst mit seinem Partner Jochen Malmsheimer als kabarettistisches Tresenleser-Duo zu respektabler Popularität gelangt und hatte erst relativ spät zur Literatur gefunden. Dann startete er aber mit seinem später erfolgreich verfilmten Romandebüt Liegen lernen (2001) sofort richtig durch. Das Ruhrgebiet ist für den Bochumer nicht nur Heimat, sondern auch gleichzeitig stets Handlungsschauplatz der eigenen Werke. Von PETER MOHR

Ein berückender Entwicklungsroman

Roman | Jean-Michel Guenassia: Der Club der unverbesserlichen Optimisten »Ich ziehe es vor, als Optimist zu leben und mich zu irren, denn als Pessimist zu leben und immer Recht zu haben.« – Der französische Autor Jean-Michel Guenassia debütiert als Romancier mit dem bereits in Frankreich preisgekrönten Roman Der Club der unverbesserlichen Optimisten. Eine gelungene Mischung aus französischem Charme und Intellektualismus mit einer Prise Kitsch und einer Spur Skurrilität – findet HUBERT HOLZMANN.

Der Papst ist tot – es lebe die Intrige

Roman | Robert Harris: Konklave Wer ist oben, wer ist unten in der Welt? Wer hat die Macht, wer lechzt nach ihr und wer fällt ihr zum Opfer? Das sind Fragen, die Robert Harris von jeher interessieren. Und er kleidet sie in bunte, abenteuerliche Gewänder, erfindet zwischen ihren Trägern – ob sie nun im faschistischen Deutschland, im alten Rom oder im stalinistischen Russland agieren – spannende Konflikte und verkauft das Ganze an Millionen Leser in aller Welt. Robert Harris’ ›Konklave‹ – eine Besprechung von DIETMAR JACOBSEN

Zwischen Wahn und Wirklichkeit

Roman | Jo Nesbø: Das Nachthaus

Der junge Richard Elauved hat seine Eltern verloren. Bei Frank und Jenny Appleby in dem kleinen, ländlichen Ort Ballantyne findet er ein neues Zuhause. Doch von Anfang an ist er ein Außenseiter unter Seinesgleichen, gehört fraglos zur »Pariakaste« der Jugendlichen im Ort. Als von den wenigen Jungen, mit denen er Umgang hat, kurz nacheinander zwei spurlos verschwinden und Richard der Letzte ist, mit dem die Vermissten gesehen wurden, beginnen sich Polizei und FBI für ihn zu interessieren. Doch niemand glaubt an die absurden Geschichten, die er den untersuchenden Beamten rund um ein mysteriöses Haus mitten im Wald nahe der Stadt auftischt. Und so landet Richard schließlich in einer gefängnisähnlichen Besserungsanstalt. Von DIETMAR JACOBSEN