Ein langer Abschied

Lyrik | Tom Disch: Endzone. Letzte Gedichte

Tom Disch war zeit seines Lebens der Literatur verfallen und unterschied in seinen Vorlieben nicht zwischen Prosa, Lyrik oder Drama. Als Autor von Science-Fiction Romanen bekannt geworden, entwickelte er sich laufend weiter und blieb bis zu seinem Suizid 2008 ein unbequemer Geist, der die eigene Branche kritisch beäugt. Endzone. Letzte Gedichte. Zweisprachige Ausgabe ist nach dem Titel seines lyrischen Blogs, auf dem er bis zu seinem Tod neue Gedichte veröffentlichte, benannt. Nun ist eine Sammlung seiner Lyrik in Buchform zweisprachig erschienen. VIOLA STOCKER ließ sich entführen.

Lyrik | Tom Disch: Endzone. Letzte GedichteLyrik ist eine Kunst der wenigen Worte. In geballter Form, gereimt oder nicht, in wenigen Zeilen Inhalte und Emotionen zu vermitteln, gelingt nicht vielen Menschen. Fremdsprachige Lyrik zu übersetzen, ist nicht weniger komplex.

In der zweisprachigen Ausgabe von Endzone ist ein interpretatorischer Konflikt auf fast jeder Seite greifbar. Wie gut, dass der Übersetzer Christopher Ecker ein Kenner von Dischs Werk ist und noch zu dessen Lebzeiten mit ihm korrespondiert.

Die dunklen Seiten der Seele

Disch ist von vielen Schicksalsschlägen getroffen, als er seinen Blog Endzone ins Leben ruft. Schon der Titel verrät, dass hier ein künstlerisches Werk auf seine finale Kurve einbiegt. Mit stechender Ironie, tiefgehender Hoffnungslosigkeit und markanten Metaphern gespickt muten die Gedichte an wie ein langer, schmerzhafter Leidensweg eines verkannten Künstlers.

Tom Disch verdankt es der späten Freundschaft mit dem Kieler Autor Ecker, dass die Lyrik des New Yorkers einem breiteren deutschen Publikum geläufig werden kann.

Der Tod geistert durch die Seiten, er muss Disch täglich begleitet haben. Die morbide, lebensverachtende Seite des »American Dream« wird zum wiederkehrenden Thema der Lyrik, die sich mit einer Mischung aus nachsichtiger Anteilnahme und höhnischer Verachtung den Ausgestoßenen, Verlierern und Versagern widmet.

Walsterben, amerikanische Ureinwohner, Obdachlose, Mäuse und vergessene Kuscheltiere finden sich auf einem Friedhof der Träume ein, der abseits der viel befahrenen Straßen der Traumfabriken liegt.

Bitterkeit und Galgenhumor

Dass angesichts der trostlosen Grundstimmung von Endzone die Lektüre ein spannendes Erlebnis bleibt, ist dem klaren Blick Tom Dischs auf die Existenz alles Menschlichen geschuldet. Situationen, die tragikomisch sind, respektlose Interpretationen menschlichen Kulturguts wie im Falle eines pubertierenden Satans, durchbrechen die Düsternis des Gedichtbands. Das Lachen bleibt dennoch im Halse stecken. Disch ist kein Philanthrop gewesen.

Am Ende seines Lebens ist er seines geliebten Partners beraubt, das Wochenendhaus zerstört, die New Yorker Wohnung durch einen Brand beschädigt, der ehemalige Ruhm als Science-Fiction Autor der New Wave verklungen. Bitterkeit und Sarkasmus, wie in »The Community of Losers« oder »The Proud Beggar« überwiegen in Endzone und verraten viel über das Leben von Künstlern, die unangepasst bleiben und sich nicht in die Schemata der Kulturindustrie pressen lassen.

Reflexionen und Soliloquien

Ecker legt es sich auf, die Gedichte Dischs zu spiegeln, möglichst nah an der Ursprungsversion des Lyrikers zu bleiben. Nicht immer kann er so die Sprachmelodie einfangen, zu hart klingen oft die deutschen Entsprechungen im Vergleich zum amerikanischen Original. Es liegt in der Natur der Lyrik, dass sich in jeder Sprache ein eigener Klang für die jeweilige Poetik herausbildet, der sich nur schwer übertragen lässt.

Umso berührender klingt das Nachwort Eckers und Dietmar Daths zu den Gedichten und dem Leben eines tief zerrissenen Autors. Fotografien und handschriftliche Notizen vermitteln den Eindruck eines Künstlers, der sich nicht in vollem Ausmaß entfalten kann. In einem Zeitalter, in dem unzählige Bücher pro Jahr den Markt der Bibliophilen überschwemmen, wird sich dieser Autor nur in einer Sparte durchsetzen. Es gibt zu viele Bücher, um gute Autoren angemessen fördern zu können. Man hätte Tom Disch gewünscht, mehr Glück im Leben gehabt zu haben.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben
Tom Disch: Endzone. Letzte Gedichte
Zweisprachige Ausgabe. Herausgegeben und übersetzt von Christopher Ecker
Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag 2018
224 Seiten. 24.- Euro

Reinschauen
| Viola Stocker über Christopher Ecker in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vorzimmer zum Sarg

Nächster Artikel

Lestander, Tolstoy & Co

Weitere Artikel der Kategorie »Lyrik«

ohne titel

Lyrik | Şafak Sarıçiçek: ohne titel das papier auf dem diese wörter entstehen, ist ein wenig verschmutzt und ein wenig nass,

Drei Gedichte

Lyrik | Peter Engel: Drei Gedichte Aufforderung aus den Wolken Wie ein Mehlsack schwer der Tag, der seine trüben Aussichten durchs Balkonfenster wuchtet und mir auf den Schreibtisch kippt, mach was draus, sagt er mir.

Purpurne Wolken und eine Armee von Raben

Kulturbuch | Heike Gfrereis: Hölderlin, Celan und die Sprachen der Poesie

Purpurne Wolken und eine Armee von Raben. Das neue Marbacher Magazin begleitet klug, spannend und aufschlussreich eine Ausstellung über Friedrich Hölderlin, auf den sich wohl fast alle deutschen Dichter irgendwie und irgendwann bezogen haben, vor allem Paul Celan. Von GEORG PATZER

Den Worten verfallen

Lyrik | Peter Engel: Den Worten verfallen

Schon am Morgen der starke Rausch,
wenn die Einfälle kommen
beim Erwachen und mich erste
Worte hin zum Schreibtisch ziehn,
wenn sie mich nötigen,
ihnen genug zu tun auf dem Blatt.

Eisblumenzeit

Lyrik | Peter Engel: Gedichte Eisblumenzeit Wie Zitate des Jugendstils erblühten sie über Nacht auf den Stubenscheiben, fein gezeichnete Flora mit einem Flaum aus Kristallen, ganz Bündel von Blüten in einer weißen Landschaft.