Prosa| Christopher Ecker: Andere Häfen
Gründliche Navigation ist sicherlich kein Nachteil bei der Lektüre von Christopher Eckers Andere Häfen. Die nautische Zeichnung auf dem Cover des Erzählbands spricht für sich, wenn der Blick zur Odyssee des Autors wandert, welcher die Zustände und Abgründe der menschlichen Seele in siebenundachtzig Erzählungen ertastet. VIOLA STOCKER zückt den Kompass, um nicht im Labyrinth des Minotaurus verloren zu gehen.
Christopher Ecker hat ein derart scharfes Auge und analytisches Verständnis des menschlichen Zusammenlebens, dass es beinahe beunruhigend ist. In kafkaesker Manier sind die Protagonisten grundsätzlich den Situationen, in denen sie handeln, ausgeliefert.
Selten ist ihnen die Machtlosigkeit bewusst, doch der personale Erzählkommentar Eckers trachtet regelmäßig nach der Zerstörung dieser Illusionen.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt
Es gelingt Christopher Ecker in Andere Häfen noch viel besser als beispielsweise im Fahlmann (2012), dem Autor gegenüber jedwede Art von Ernst zu verweigern. Schon im Geleitwort arbeitet er mit verschiedenen Ebenen und nimmt sich die Freiheit, den Erzähler in die Geschichte hinein und hinaus zu schreiben, wie es ihm gerade gefällt. Das erfordert beim Lesen einiges an Ausdauer und Flexibilität sowie eine Vorliebe für ungewöhnliche Metaphern.
Man spürt in den Erzählungen förmlich die Lust Eckers am Schreiben, den Aberwitz, den er sich erdachte, um fromme Leser zu verschrecken. In paradoxen Alltagssituationen erweist sich Christopher Ecker als Meister des Absurden, Kafka gleich, jedoch mit Eulenspiegels boshafter Komik. Die Grundsituationen sind aus dem Lebensalltag der Menschen gegriffen. Vermietung von Wohneigentum, eine Verabredung, Schwangerschaft, viele Themen, die Ecker bearbeitet, sind ob ihrer Alltäglichkeit nicht erwähnenswert. Bis die Absurdität der Situation einem den Atem nimmt.
Eine Irrfahrt durch die Menschheit
Menschen tun böse Dinge. Sie bringen kleine Katzen um, sie fügen unschuldigen Menschen Leid zu und leben ihren Alltag weiter. Ecker nähert sich in seinen Erzählungen auch immer wieder Protagonisten in Extremsituationen, die sich ihrer Umwelt hilflos ausgeliefert sehen. Manche Erzählszenarien folgen dem Skript wirrer Träume, in denen das Individuum Ereignissen ausgesetzt ist, die es weder beeinflussen noch verstehen kann.
Szenen unter Tage in einem Silberbergwerk, Gedanken eines Autors beim Verfassen eines Romans, oft Überlegungen eines Lehrenden, der vom Lehrinhalt eingeholt wird – Christopher Ecker nimmt sich die Freiheit, ein Leben zu zerschreiben wie ein Mosaik. Die einzelnen Erzählungen gleichen den Mosaiksteinchen, deren roter Faden durch das Labyrinth nichts ist als die Zustände der menschlichen Seele, die in vielen verschiedenen Situationen, wie Schiffe in Häfen, welche ein- und auslaufen, immer das Gleiche versuchen muss: die eigene Existenz verstehen.
Urlaub für die Gedanken
Die Prägnanz der Erzählungen und das meist überraschende Ende der Einzelepisoden tragen zur durchweg guten Lesbarkeit des Bandes bei. Da die meisten Inhalte surreal mit Hang zu einem realen Anfang oder Ende sind, bedarf es einiger Kreativität beim Lesen und die Gedanken können sich sehr frei bewegen. Ecker hat kein Interesse an herkömmlicher Erzählkunst, er möchte auch keinem Leser sein Diktum aufdrängen. Was manchmal überrascht, stößt ein andermal ab und lässt Unverständnis zurück. Fast ungläubig wird nach der Lektüre erneut zum Buch gegriffen.
Titelangaben
Christopher Ecker: Andere Häfen
Halle/Saale: Mitteldeutscher Verlag 2017
240 Seiten. 16,95 Euro
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