//

Sprache

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Sprache

Du mußt ganz vorn anfangen, sofern du die Dinge sortieren möchtest, verstehst du, im Anfang war das Wort.

Wo ist das Problem.

Die Leute haben ihre Bodenhaftung verloren, sie sind hysterisch, doch so möchte man sie haben, leichtgewichtig, daß man ihnen allerlei püriertes Durcheinander andrehen kann, sie haben eine langjährig gezüchtete Kundenmentalität, man kann sie locker für dumm verkaufen, aber ab und zu doch auch wieder nicht, der Widerstandsgeist ist zäh, sie lassen sich glücklicherweise nicht über einen Kamm scheren.

Verstehe das, wer will, Farb.

Sie können störrisch sein wie Esel, ohne mich, sich auf die Hinterbeine stellen.

Launisch.

Auch launisch, ja, aufmüpfig, zickig.

Farb lachte vergnügt und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Aber man muß vorn anfangen, ganz vorn, du verstehst.

Farb aß ein Stück von seiner Pflaumenschnitte.

Wenn ich mir etwas anschaffe, sagen wir für die Küche, etwa einen Kühlschrank, soll der funktionsfähig sein, also soll kühlen, ohne daß Teile zusätzlich montiert werden müssen.

Sicher doch, Farb. Was wäre das für ein Gerät, das halbfertig angeliefert würde, du würdest reklamieren und gebrauchsfertige Neuware verlangen.

Zurecht.

Ebenso wenig darf es Fremden zugänglich sein, daß die nach eigenem Ermessen darin herumwerkeln.

Absurd, Farb, wie kommst du darauf, unvorstellbar, wie sollte man solch ein halbgares Gerät auf dem Markt darstellen können, nein, abenteuerlich.

Es wird noch besser, denn schon die Installierung des Geräts würde nicht zu den Verpflichtungen des Verkäufers gehören, stell dir vor, der Kühlschrank würde in deiner Küche abgestellt, und niemand sorgte dafür, daß er funktionsgerecht in die Küchenzeile integriert wird.

Stehst du dumm da, Farb.

Aber so was von.

Wer ließe sich auf solche Kaufverträge ein, lächerlich, was wären das für krude Geschäftspraktiken.

Das wäre nicht alles. Das Gerät, das du erwirbst, würde nur in Betrieb gehen, sofern du basierend auf einem mietähnlichen Verhältnis zusätzlich Arbeitsprogramme installierst.

Das wird ja immer rätselhafter.

Vermutlich ist das ein höchst willkommener Nebeneffekt, Verwirrung zu stiften, und ist beabsichtigt.

Wer blicke da noch durch.

Eben. Aber warte, Geduld, das war noch nicht alles, denn die Programme wären mit heißer Nadel gestrickt, und ständig werde daran gebosselt und verschlimmbessert, sie wären durchlässig für schädliche Fremdkörper, sogenannte Viren, und könnten im Handumdrehen zweckentfremdet werden, da tue sich ein weitläufiges Schlachtfeld auf.

Was für ein Chaos, weshalb schreite die Behörde nicht ein, man könne heutzutage seinen Kunden wohl jeden Unfug andrehen, und ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode, denn vermutlich springe für die Betreiber eine Menge heraus.

Das wäre das eine, Tilman, gewiß, von Bedienungsaufwand und Materialsensibilitäten wollen wir gar nicht reden, und man möchte sich amüsiert zurücklehnen und dem munteren Treiben zusehen – von Erpressung bis zum Umlenken wäre alles vertreten –, aber man frage sich doch, wozu all dieser Aufwand dienen soll, du verstehst, welche dunklen Kräfte hinter einer solchen groß angelegten strategischen Operation stehen, auch wenn du bedenkst, wie gezielt diese Geräte global etabliert wurden, so scheinbar völlig harmlos und unverdächtig, unterhaltsam mit Spielen kombiniert und mit Bedacht bei den unkritischen, vertrauensseligen Teens eingeführt, keine Ahnung, so nimmt das Verhängnis Fahrt auf, und die repräsentativen Gesichter, sieh sie dir an, Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz, und der Zweck, fragst du dich doch, welchen Zweck all das haben soll und welchen Interessen die Repräsentanten sich andienen.

Tilman griff zu einem Marmorkeks, er hatte Marmorkekse gekauft, die Vanillekipferl hatten an Geschmack verloren, seitdem Lieferketten unterbrochen und die Preise für Vanille beträchtlich gestiegen waren.

Wir beobachten eine vollmundig gepriesene Technologie, sagte Farb, alles Lüge, sagte er, eine stramm destruktive Tendenz arbeite daran, daß festgefahrene Verhältnisse bröckeln, Strukturen seien in Auflösung begriffen, das gelte für die Ökonomie wie für den Staat, Schritt für Schritt werde der Mensch ebenso marginalisiert wie das Leben, und eine fatale Sehnsucht, gänzlich zu verschwinden, werfe dunkle Schatten auf die Zivilisation der Moderne.

Tilman zögerte zu antworten, er traute all dem nicht über den Weg, was spielte sich ab, so viele Worte, und ziele das nicht letztlich auf eine obskure Verschwörungstheorie, wer sollte das denn sein, die erwähnten dunklen Kräfte, vielleicht das Maschinenwesen, schön und gut, die Megamaschine, unmöglich wäre das nicht, keineswegs, ehrlich, mitsamt dessen die Jahrhunderte übergreifenden Strategie einer Vernichtung unabhängigen Denkens, könnte durchaus sein, er werde das nicht abstreiten.

Annika schenkte sich Tee ein, Yin Zhen, und blätterte in ihrem Reisemagazin.

Farb tat sich ein zweites Stück Pflaumenschnitte auf und nahm einen Löffel Schlagsahne.

| WOLF SENFF

[Stichwort Maschinenwesen: »Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich«, Joh. W. Goethe, Wilhelm Meisters Wanderjahre, 1829,
Stichwort Megamaschine: Lewis Mumford, Der Mythos der Maschine, 1974, ebenso Erich Fromm, Haben oder Sein, 1976]

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vermischte, vielschichtige Welt

Nächster Artikel

Erinnern und Vergessen

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Zuflucht

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Zuflucht

Gramner lehnte sich zurück und stützte sich mit den Ellenbogen auf den Rand der mittschiffs ausgespannten Persenning. Die Ojo de Liebre, sagte er, ist unsere Zuflucht vor den Unbilden des Alltags.

Was redet er, fragte sich Rostock, unser Alltag ist hart, wir kennen keine Zuflucht.

Gramners Satz galt, davon war Mahorner überzeugt, allein für diese Tage der Fangpause, das war in der Tat ungewöhnlich, er sollte besser nicht so viel Aufhebens davon machen, sondern sich freuen, wie entspannt die beiden Jungen diese Tage nutzten: sie lagen am Strand, schwammen in der Lagune oder schlugen Salti.

Dieser Aufenthalt ist unser Alltag, flüsterte Bildoon, wir sitzen dem Teufelsfisch im Nacken. Dort, sagte er und deutete auf eine abtauchende Fluke.

Auf Fang

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf Fang

Sie waren bei Tagesanbruch in die Lagune aufgebrochen, in zwei Schaluppen, Pirelli und Mahorner im Bug, Eldin hatte gleich mit der ersten Harpune einen Treffer gelandet, es wurde ein erbitterter Kampf, die übliche blutrünstige Routine, der Ausguck mußte sich noch an derartige Bilder gewöhnen.

Christoph Heins aktuelles Buch »Vor der Zeit« erzählt alte Mythen neu

Kurzprosa | Christoph Hein: Vor der Zeit. Korrekturenx Mythen sind versprachlichte Menschheitserfahrungen. Jede Kultur besitzt die ihren. In poetischer Form geben sie Auskunft über das Woher und Wohin einer Gesellschaft. Christoph Hein hat sich nun 25 dieser Erzählungen vorgenommen und sie mit kleinen Korrekturen versehen. Und augenblicklich wird evident: Auch uns haben Zeus und Hera, Helena und Dionysos, Eros und Echo noch einiges zu sagen. Von DIETMAR JACOBSEN

Beste Aussichten

Literaturkalender 2023

»Ein Kalender ist ein Jahr, das man auf Vorrat kauft,« wusste schon Inge Meysel. Und auch ein literarisches Depot kann uns jene Rationen an Halt, Hoffnung und Zuversicht schenken, aus denen sich täglich neue Kraft schöpfen lässt. Inspiration für kommende Lektüren gibt es obendrein. INGEBORG JAISER hat mit Vergnügen durch Literaturkalender für das neue Jahr geblättert.

Vertreibung

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Vertreibung

Farb war nicht von dieser Welt, nein, die Welt glitt an ihm vorüber, Tag für Tag, ihr hohes Tempo ließ ihn kalt, ihr verführerischer Glanz und ihre laut grölende Musik hinterließen keinen Eindruck, er war damit zufrieden, an den Nachmittagen in aller Stille einen Tee zu trinken und zu plaudern.