Erinnern und Vergessen

Jugendbuch | Kristina Magdalena Henn: Ende Juli, Anfang August

Die 15jährige Juli hat vor drei Jahren ihre Zwillingsschwester verloren und kommt nicht darüber hinweg. Und dann findet sie am Meer einen leblosen Jungen, der sein Gedächtnis verloren hat. Von ANDREA WANNER

Ein Mädchen unter Wasser, lediglich der Kopf ist über der WasseroberflächeMira ist mit 12 Jahren frühmorgens mit Juli am Strand in Sylt unterwegs gewesen, ins Meer gegangen und nie zurückgekommen. Die Eltern, beide Psychotherapeuten, haben sie schließlich für tot erklären lassen, möchten gerne ein Grab für sie errichten, aber Juli weigert sich. Täglich schreibt sie alles auf, was sie erlebt, um Mira davon berichten zu können, wenn sie zurückkommt. Daran will sie glauben, lässt andere Menschen nicht an sich heran, sondern fühlt sich nur ihrer verlorenen Schwester verbunden und nah.

Und dann entdeckt sie eines Tages am Strand den Jungen, den sie August nennt, weil sie ihn im August findet. Ist es nicht ein Zeichen, dass das Meer ihn ihr quasi vor die Füße gespült hat? Er, ein bisschen älter als sie, spricht Deutsch mit Akzent und Fehlern. Er hat keine Ahnung, wer er ist oder woher er kommt. Bis er im Krankenhaus ein portugiesisches Lied im Radio hört. Die Sprache kennt, versteht und spricht er. In Juli entsteht ein verrückter Plan und gemeinsam machen sich die beiden mit einem geklauten Auto auf den Weg in den Süden.

Einer, der sich nicht an seine Vergangenheit erinnern kann, und eine, die nur in der Vergangenheit lebt: Juli und August geben ein merkwürdiges Paar ab, das sich gar nicht schlecht ergänzt. Irgendwie kommen sie sich näher, auch wenn Juli jedes Gefühl des Einverständnisses mit einem anderen als Verrat an ihrer Schwester empfindet. Sie begegnen auf ihrer Route den unterschiedlichsten Menschen, machen seltsame Erfahrungen und haben beide keine Ahnung, was sie am Ende erwartet.

Kristina Magdalena Henn erzählt nicht nur eine überaus spannende Geschichte, sondern eine mit psychologischem Tiefgang. Das Roadmovie entwickelt sich ganz langsam zur Liebegeschichte und ist nicht weniger als die Suche zweier junger Menschen nach sich selbst.

Titelangaben
Kristina Magdalena Henn: Ende Juli, Anfang August
Bamberg: Magellan 2023
208 Seiten, 17 Euro
Jugendbuch ab 14 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sprache

Nächster Artikel

Falschlieferung

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Schreckenskammer

Jugendbuch | Dianne Touchell: Foster vergessen Was und wie viel Kinder von dem verstehen, was um sie herum vorgeht, wird von Erwachsenen gern unterschätzt. Probleme nicht anzusprechen, vergrößert das Leid von Kindern nur. In ihrem neuesten Buch erzählt Dianne Touchell davon, wie es sich für ein Kind anfühlt, wenn es in eine Schreckenskammer des Leidens und Schweigens versetzt wird. Von MAGALI HEIẞLER

Eine zu große Bürde

Jugendbuch | Sabine Raml: Heldentage Knapp sechzehn zu sein, ist für viele Teenager alles andere als leicht, auch ohne eine Alkoholikerin als Mutter und keinen Vater zu haben und an solcher Angst vor Berührung zu leiden, dass die erste große Liebe daran scheitert. All das bürdet Sabine Raml in ihrem Debütroman ihrer Heldin auf. Aber auch die Geschichte selbst erweist sich am Ende als eine etwas zu große Bürde für die Autorin. Von MAGALI HEISSLER

»Denn es ist alles eins«

Jugendbuch | Kelly Barnhill: Das Mädchen, das den Mond trank Eigentlich funktionieren doch die meisten Märchen nach dem gleichen Prinzip: Es gibt das Gute und das Böse. Das Böse erringt zunächst einen Teilsieg gegen das Gute, aber am Ende gewinnt das Gute. Dass das alles nicht so einfach ist, zeigt Kelly Barnhills märchenhafter Fantasyroman. Von ANDREA WANNER

Outing

Jugendbuch | Liv K. Schlett: Birk

Birk beschreibt sich selbst als ganz normalen, sechzehnjährigen Teenager, der zockt, Skateboard fährt, mit Freunden rumhängt und in ein Mädchen aus seiner Klasse verliebt ist. Aber da gibt es ein Geheimnis, das niemand erfahren darf. Aber irgendwann hält er den Druck nicht mehr aus. Von ANDREA WANNER

Wiedersehen mit Südafrika

Jugendbuch | Lizzy Hollatko: Der Sandengel Südafrika ist kein Land mehr, das häufig in den Schlagzeilen auftaucht. Vieles hat sich geändert dort seit den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Es gab aber eine Zeit, als allein das Wort ›Südafrika‹ Empörung und hitzige Diskussionen auslöste und die liegt gar nicht so lange zurück. Lizzy Hollatko erzählt in dem Jugendroman ›Der Sandengel‹ von einer weißen Kindheit in einem rassistisch geteilten Land. Von MAGALI HEISSLER