Lyrik | Peter Engel: Gedichte
Eisblumenzeit
Wie Zitate des Jugendstils
erblühten sie über Nacht
auf den Stubenscheiben,
fein gezeichnete Flora mit
einem Flaum aus Kristallen,
ganz Bündel von Blüten
in einer weißen Landschaft.
Unter dem Atemhauch
verging die kalte Pracht,
wich einem milchigen Loch,
hinter dem der Tag gähnte,
einfältig grau und endlos,
und als der Ofen Wärme gab,
rann es vom Glas wie Tränen.
Eingewohnt
Das Knarren des alten Holzes,
wenn du übers Parkett gehst,
das hörst du schon lange nicht mehr,
auch nicht dein typisches Hüsteln:
Es hat sich in die Zimmer
eingelebt wie die Heizungen
und ist ihr Teil wie die Fenster.
Dem Spiegel bist du vertraut,
ein verschwiegener Gefährte
vieler Jahre, zeigst ihm dein
gelichtetes Haar und deine
schadhaften Zähne, aber er
schont dich und glättet die Falten,
bewahrt was vom Jungengesicht.
Überall haften Gedanken,
am Loch in der Wand, wo mal
der Turmspringer hing und mit
geschlossenen Augen ins Dunkel
tauchte, oder an der Schattenspur
des Rahmens, einer Blindstelle,
zu der du kein Bild finden kannst.
Entnommen aus
Peter Engel: Unter der schwarzen weiße Schrift
75 Gedichte, 1972-2015
Hamburg: Edition Hammer + Veilchen 2015
100 Seiten, 12,00 Euro
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