Jugendbuch | Lizzie Wilcock: Brennender Durst
Durst meldet das Existenzbedürfnis. Der Mensch braucht Wasser und Nahrung so notwendig zum Leben wie Atmung, Licht und Wärme. Er braucht noch mehr. Was, davon erzählt Lizzie Wilcock. Von ANDREA WANNER
Der Unfall
Es ist kurz vor Weihnachten. Die 14jährige Karanda ist mitten durch die australische Wüste auf dem Weg zu ihrer sechsten Pflegefamilie als der Wagen verunfallt: Ein Känguru taucht plötzlich auf der Straße auf. Paul, der Fahrer, kommt dabei ums Leben. Karanda überlebt, ebenso wie der acht Jahre alte Solomon auf dem Rücksitz des Wagens. Sie könnten einfach auf ein anderes Auto warten, das auf der Strecke von Darwin nach Alice unterwegs ist. Alles könnte ganz einfach sein. Aber Karanda hat andere Pläne.
Endlich Freiheit. Endlich all dem entkommen, was sie durchgemacht hat. All dem Leid, das sich aneinanderreihte, seit ihre Mutter sie verlassen hat. Wie genau dieses neue Leben aussehen soll, weiß sie nicht. Aber sie weiß, dass sie keine weitere Pflegefamilie mehr aushält – nicht nach dem, was in der letzten geschah. Fliehen. Alles hinter sich lassen. Da gibt es nur ein Problem: Solomon. Aber Karanda kann und will keine Rücksicht auf den Jungen nehmen. Sie macht sich alleine auf den Weg. Da hat sie die Rechnung allerdings ohne den hartnäckigen kleinen Jungen gemacht, der wie eine Klette an ihr hängt.
Die Flucht
Sie haben nicht außer jeweils einem Rucksack und einer Wasserflasche. Karanda besitzt noch ein Foto ihrer Mutter und Solomon war immerhin klug genug, etwas Proviant aus dem Auto mitzunehmen. Lange reicht das nicht. Die Hitze ist mörderisch, Karanda verletzt. Die Chancen der beiden scheinen gering. Aber so unterschiedlich Karanda und Solomon sind, eine erstaunliche Zähigkeit zeichnet beide aus. Tag für Tag warten neue Herausforderungen und Gefahren auf sie, Tag für Tag gelingt es ihnen, zu überleben.
Die Grundschullehrerin Lizzi Wilcock hat bereits Kinder- und Jugendbücher in Australien veröffentlicht, ›Brennender Durst‹ ist ihr erstes Buch, das auf Deutsch erscheint. Geschickt bindet sie ihr landeskundliches Wissen über Flora und Fauna in die Geschichte ein, die vordergründig wie eine spannende Robinsonade daherkommt. Der tägliche Kampf gegen die Hitze, die Nahrungs- und Wassersuche werden zu den bestimmenden Elementen. Solomon lässt sie eine gute Portion Wissen um essbare Pflanzen und Früchte mitgeben, die Fernsehserie ›Bush Tucker Man‹ erweist sich als außerordentlich hilfreich. Und dann finden sie tatsächlich eine Oase mitten in der Wüste, in der sie sich einrichten, Weihnachten feiern. Ein kleines Paradies mitten im Chaos.
Aber das, was sie erlebt haben, lässt sich nicht einfach vergessen. Es geht eben doch um mehr als pures Überleben. Das abweisende Mädchen, das nicht bereit ist, noch einmal eine emotionale Bindung zu einem Menschen aufzubauen, weil der Verlust zu schmerzlich ist, und der Junge, der eben auch nicht nur der vertrauensselige, gutmütige Kleine ist, sondern seine eigenen Probleme und dunklen Seiten hat, näher sich einander zögernd an. Reden irgendwann. Das ist kein geradlinig verlaufender Prozess, sondern eine ganz langsame, behutsame Entwicklung mit Fortschritten und Rückschlägen. Klug gewählt sind der Altersunterschied und der unterschiedliche Blick auf die Welt. Außerdem umgeht Wilcock damit die Gefahr, dass sich eine Liebesgeschichte einschleicht.
Erzählt wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln, unterschiedlich verteilt sind auch die Sympathien. Kurze Sätze, exakte Beobachtungen: Alles wirkt authentisch und glaubwürdig. Wer das aushalten will, muss akzeptieren, dass zum Leben auch der Tod gehört, dass man manchmal hart sein muss, wenn man nicht untergehen will. Und nichts deutet auf eine Lösung hin, die es am Ende geben könnte. Und tatsächlich gibt.
Titelangaben
Lizzie Wilcock: Brennender Durst. Manchmal musst du verloren gehen, um gefunden zu werden
(Thirst, 2015). Aus dem australischen Englisch von Friederike Levin
Weinheim: Beltz & Gelberg 2017
254 Seiten, 13,95 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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