/

Die erträgliche Leichtigkeit des Romanciers

Menschen | Zum 90. Geburtstag des großen Schriftstellers Milan Kundera am 1. April

»Man muss sie lieben, die Bedeutungslosigkeit, man muss lernen, sie zu lieben«, verkündet Ramon, eine der Hauptfiguren in Milan Kunderas letztem Roman ›Das Fest der Bedeutungslosigkeit‹ (2015).
Es war ein spielerisches Buch der großen Gegensätze – von Liebe und Hass, von Tragik und Komik, von Wahrheit und Lüge, von Aufrichtigkeit und Selbsttäuschungen. Von PETER MOHR

Trotz der philosophischen Gedankenschwere kam dieser Roman seltsam leicht und bisweilen sogar humorvoll daher. Vermutlich liegt es einzig daran, dass der gealterte, gelassener gewordene Romancier Kundera aus dem übermächtigen Schatten des jungen, bisweilen überintellektuellen Autors Kundera heraustreten wollte und ihn mit den Waffen der Selbstironie zu besiegen versuchte.

Milan KunderaMilan Kundera hat sich schon früh aus der Öffentlichkeit weitestgehen zurückgezogen, seit über dreißig Jahren gibt er nur noch schriftliche Interviews, weil er sich oft falsch zitiert fühlte. Der große Künstler, der sich so oft missverstanden fühlte, hat den Weg in eine Art »innere Emigration« gewählt.

»Der Romancier ist weder Historiker noch Prophet, sondern Erforscher der Existenz«, hat Kundera in seinem Essay ›Die Kunst des Romans‹ (1987) sein dichterisches Credo zutreffend beschrieben. Seit mehr als vierzig Jahren lebt der gebürtige Tscheche Milan Kundera in Paris. Er schreibt seine Romane seit geraumer Zeit auf Französisch und gilt als Kosmopolit westeuropäischer Prägung. 1975 war er einem Ruf der Universität Rennes gefolgt und hatte seine Heimat verlassen. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis hatte Kundera im letzten Jahr in Paris besucht und (bisher vergeblich) zur »Heimkehr« animieren wollen.

Milan Kundera, der am 1. April 1929 in Brünn als Sohn eines Musikwissenschaftlers und Janacek-Schülers geboren wurde, war einst einer der intellektuellen Wegbereiter des Prager Frühlings. Seine Kritik am Stalinismus, die er unverhohlen in seinem ersten Roman ›Der Scherz‹ (1967/wie fast alle Werke im Carl Hanser Verlag erschienen) zum Ausdruck brachte, führte zum Ausschluss aus der kommunistischen Partei, in die er bereits als 18-jähriger eingetreten war.

Diese biographischen Eckpfeiler bilden auch das Handlungsgerüst für Kunderas weltbekannt gewordenen Roman ›Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins‹ (1984). Vor dem Hintergrund der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings inszeniert er die erotischen Irrungen und Wirrungen des jungen Chirurgen Tomas, der durch sein ausschweifendes Sexualleben eine Art Selbstfindung betreibt. In diesem später auch erfolgreich (wenn auch umstritten) verfilmten Roman geht es darüber hinaus auch um die schwierige Situation der Intellektuellen im politisch geteilten Europa.

Kundera avancierte nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings in der Tschechoslowakei zur persona non grata, seine Werke konnten bis zur Wende nicht erscheinen, und ihm war sogar die tschechische Staatsbürgerschaft entzogen worden. Dabei war er nie ein vordergründig politischer Autor, sondern ein philosophischer Grübler, dem die individuelle Freiheit, auch die Selbstverwirklichung des Einzelnen als heiligstes Gut galt: »Wenn ich mich selbst definieren müsste, würde ich sagen, ich sei ein in der Falle einer extrem politisierten Welt gefangener Hedonist.«

Seine Affinität zum philosophischen Erzählen hat Kundera am stärksten im Roman ›Die Unsterblichkeit‹ (1990) ausgereizt, der bei der Kritik auf ein geteiltes Echo stieß. Er ließ Goethe und Hemingway über die traurigen, irdischen Existenzen reflektieren.

Eine der literarisch anspruchsvollsten Liebesgeschichten der 1990er Jahre legte Kundera 1998 mit ›Die Identität‹ vor. Nachdem die weibliche Hauptfigur Chantal ihrem Lebenspartner Jean-Marc das vermeintliche Versiegen ihrer Attraktivität gebeichtet hat, setzt eine Flut anonymer Briefe ein, deren Inhalte (»Sie sind sehr schön.«) Balsam für Chantals angekratzte Seele sind. Die zunächst versteckten Briefe lösen zwischen Chantal und Jean-Marc turmhohes Misstrauen aus. Eifersuchtsszenen, Missverständnisse und herrlich absurdes Handeln resultieren aus den »Liebesbriefen«.

Eine schmerzliche Selbst-Erforschung betrieb Kundera, der 2007 mit dem Staatspreis für Literatur der Tschechischen Republik ausgezeichnet wurde, im Roman ›Die Unwissenheit‹ (2001), der sich (mit deutlichen autobiografischen Bezügen) um den großen Topos Heimat rankt – und dies auf ideologiefreie, völlig unpathetische Weise. Irina und Josef, zwei Emigranten mit unterschiedlichen Lebensläufen, kehren ins Nachwende-Prag zurück. Eine Mischung aus Heimweh und Neugierde trieb sie an. Umso schockierender sind ihre Erfahrungen, die sich mit denen nach der Emigration decken. Ein Gefühl der Fremdheit, des Nichtdazugehörens, des Eintretens in einen völlig fremden Kulturkreis. Mit einem flüchtigen Liebesglück entschädigen sich die beiden Enttäuschten.

Ein wiederkehrendes Motiv bei Milan Kundera, dem Meister der künstlerischen Verquickung von Liebe und Weltpolitik, dessen faszinierendes Gesamtwerk eigentlich längst den Nobelpreis verdient gehabt hätte.

| PETER MOHR
| TITELFOTO: Elisa Cabot, Milan Kundera redux, CC BY-SA 3.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Sut erzählt von Eldin

Nächster Artikel

Angekommen

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Bewahrer von Kultur und Sprache

Menschen | Jaan Kross Am 19. Februar vor 100 Jahren wurde der große estnische Schriftsteller Jaan Kross geboren. Ein Porträt von PETER MOHR

Zur Buchpremiere gab es die Nationalhymne

Menschen | Der Schriftsteller Gabriel García Márquez ist tot »Ich habe einfach aufgehört zu schreiben. Das Jahr 2005 war das erste in meinem Leben, in dem ich nicht eine Zeile zu Papier gebracht habe«, bekannte der kolumbianische Autor in einem Interview mit der chilenischen Tageszeitung La Tercera. Seine Agentin Carmen Balcells hatte damals schon erkannt: »Ich glaube, García Márquez wird nie mehr schreiben.« Der Nobelpreisträger Gabriel García Márquez ist mit 87 Jahren gestorben. Von PETER MOHR

Eine gemischte Biografie

Menschen | Monika Maron zum 75. Geburtstag Zum 75. Geburtstag von Monika Maron (am 3. Juni) erscheint der Band Krähengekrächz. PETER MOHR gratuliert der Schriftstellerin.

Musik aus der Geisterstadt

Musik | Interview mit Jan Kerscher aka Like Lovers Explosiv, chillig, emotional und vor allem: ehrlich. Like Lovers bringt sein Debütalbum heraus. MARC HOINKIS unterhielt sich darüber mit dem Maestro höchstpersönlich.

Prosa des subtilen Mitgefühls

Menschen | Camilo José Cela zum 100. Geburtstag Als Camilo José Cela 1989 der Nobelpreis für Literatur verliehen wurde, zeigten sich die internationale Fachwelt und auch der ausgezeichnete Autor überrascht von der Entscheidung der Stockholmer Akademie, in deren Begründung es hieß: »Mit der Auszeichnung wird die reichhaltige und intensive Prosa Celas gewürdigt, die in ihrem subtilen Mitgefühl ein eindrucksvolles Bild von der Verletzlichkeit des Menschen zeichnet. Mit Cela wird die führende Kraft der literarischen Erneuerung Spaniens während der Nachkriegszeit ausgezeichnet.« PETER MOHR gratuliert Literatur-Nobelpreisträger Camilo José Cela, der am 11. Mai vor 100 Jahren geboren wurde.