Jugendbuch | Lena Hach: Grüne Gurken
Veränderungen im Leben sind nicht immer einfach zu meistern. So hatte Lotte nicht die geringste Lust auf Berlin, ihre neue Heimat. Aber manchmal macht es einem das Leben dann gar nicht so schwer, doch noch anzukommen. Von ANDREA WANNER
Lotte ist ein Schussel. Ein Tollpatsch. Ein, bei der immer alle schiefgeht. So wird auch gleich ihr erster Auftritt zum Fiasko. Die Wohnungstür fällt hinter ihr ins Schloss und Lotte steht ohne Schlüssel, magenknurrend im Schlafanzug mit Vaters Mantel drüber vor der Tür. Der Hunger führt sie in den Kiosk nebenan, wo sie erst mal einen Dosenstapel zu Fall bringt. Slapstick pur. Aber das ist halt Lotte. Und dann beordert der Kioskbesitzer sie zu ihrem allergrößten Erstaunen hinter die Kasse und geht. Das ist der Anfang von allem.
Lena Hach erzählt temporeich, witzig, originell und lässt ihre Ich-Erzählerin Lotte selbstironisch und überzeugend ihre Geschichte schildern. Lottes Probleme sind vielschichtig und ihr größtes auf den ersten Blick eher ein Luxusproblem: Lottes Eltern, sie Ärztin, er Physiker, sind Mitglieder einer Gesellschaft für Hochbegabte, »Verein der Intelligenzbestien«, wie Lottes es nennt, und sie selbst soll auch Mitglied werden. Wie all ihre Cousins und Kusinen das längst sind. Aber bisher ist sie an den Aufnahmetests gescheitert. Der elterliche Druck ist ein permanenter und Lotte leidet darunter. Statt offener Auflehnung macht sie sich lieber über sich selbst lustig und verarbeitet ihre persönlichen Erfahrungen zu kleinen Diagrammen.
Die Infografiken hat Katja Berlin beigesteuert: frech, verblüffend und eine geniale Bereicherung. Wundervoll überspitzt bringen sie die Dinge auf den Punkt. Ein Kreisdiagramm beispielsweise als Auftakt: »Wer von uns Dreien die Arschkarte gezogen hat«. Darunter die Legende: GRÜN: Meine Mutter; ROT: Mein Vater; Gelb: ich. Und wie sieht das Diagramm aus? Durch und durch gelb!
Lotte, die kein Interesse an Berlin zeigt, die sich eigentlich nur verstecken will und zurück in das alte Zuhause, steht plötzlich vor ungeahnten Herausforderungen. Sie bekommt einen Job bei Yunus im Kiosk, lernt Miri, die Freundin von Yunus, kennen und verliebt sich in einen Jungen, der montags immer exakt zehn saure Gurken aus dem Glas mit den Weingummis angelt. Zum ersten Mal steckt Lotte voller Tatendrang, voller Ideen, voller Energie.
Lena Hach begleitet den Teenager auf ebenso sympathische wie authentische Art. Sich Verlieben ist nichts, was die Welt von heute auf morgen perfekt macht. Aber es ist etwas, das die Welt verändern kann, einfach weil man selber etwas tun kann. Gestalten. Ausprobieren. Klar, wer etwas riskiert, kann auch verlieren. Schlimmer ist nur, es gar nie versucht zu haben. Lotte verlässt ihr Schneckenhaus und stellt sich dem Leben. Dass man es dabei nie allen recht machen kann, ist klar. Dass man Prioritäten setzen muss, gehört dazu. Selten wurde das so amüsant und überzeugt wie in diesem Jugendroman.
Und am Ende? Ist Lotte angekommen. In Berlin. In ihrem Leben.
Titelangaben
Lena Hach: Grüne Gurken
Mit Illustrationen von Katja Berlin
München: mixtvision 2019
224 Seiten, 17 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
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