Jugendbuch | Ava Reed: Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen
Das letzte Schuljahr beginnt nach Sommerferien für Leni eigentlich ganz normal. Eigentlich. Denn schon bald ist gar nichts mehr so, wie Leni es kannte. Ost sie nicht mehr so, wie sie sich kannte. Von ANDREA WANNER
Ava Reed erzählt eine Geschichte von Ängsten und Depression. Und sie erzählt, wie man am Ende erfährt, auch von eigenen Erfahrungen. Über das, was sie selbst nicht erlebt hat, hat sie sich kundig gemacht. Ob es reicht, das Spektrum an Gefühlen, die mit der Krankheit verbunden sind, auszuloten und ob die Geschichte diesem ernsten Thema wirklich gerecht wird, darüber wird man geteilter Meinung sein.
Manches gelingt. Leni versteht nicht, was mit ihr geschieht. Sie weiß nicht, warum sie plötzlich Angst überfällt. Natürlich, das Abi bedeutet Stress. Prüfungsangst kann eine da schon entwickeln. Aber ihre Ängste sind mehr. Sie sind bodenlose schwarze Löcher, in denen sie versinkt. Sie kann es niemandem schildern. Weder Emma, ihrer besten Freundin noch ihren Eltern. Sie versucht, es in Worte zu fassen. In ihrem neuen, ledergebundenen Tagebuch, einem letzten Relikt aus guten Tagen. Emma hat es ihr geschenkt und sie hat es so genannt, wie ihre Freundin: Emma.
Die Tagebucheintragungen hat Ava Reed handschriftlich verfasst und mit kleinen Zeichnungen verziert. Das wirkt in der Tat sehr authentisch und teenagermäßig.
Es kommt der Punkt, an dem Leni erkennt, dass sie Hilfe braucht. Professionelle Hilfe. Noch immer hat sie mit niemandem geredet. Es beginnt eine Odyssee durch Artpraxen, eine Fehldiagnose folgt der anderen. Es dauert, bis festgestellt wird, dass sie tatsächlich an Depressionen leidet. Und es dauert, bis sie in einer stationären Einrichtung für Jugendliche im Taunus landet.
Der schwächere Teil der Story beginnt dort. Der Aufenthalt und Lenis Gefühle, die Therapiesitzungen: all das wirkt konstruiert und ohne Leben. Warum, wird spätestens dann klar, als unvermutet eine Parallelhandlung eingeführt wird.
Plötzlich taucht Matti als zweiter Icherzähler auf, der an hereditärer sensorischer und autonomer Neuropathie Typ 4, einer seltenen Störung des Schmerz- und Temperaturgefühls leidet. Und so prallen die beiden aufeinander: die eine voller Angst und Schmerz, der andere ein in Watte gepackter Junge, der sich nach Angst und Schmerz sehnt. Und es beginnt ebenso vorhersehbar wie wenig überzeugend eine Liebegeschichte. Mit Flucht aus der Klinik und allem Drum und Dran.
Spätestens da ist der Kitschfaktor enorm hoch und überdeckt das eigentliche Thema auf ungute Weise. Okay, wer es als Lovestory lesen möchte, wird die ganz nett und berührend finden. Wer tatsächlich an Lenis Krankheit Interesse hat, wird ab diesem Moment das Geschehen eher skeptisch beobachten. Eine Geschichte halt. Und zu wird das Ganze zu gut verdaulichem Lesefutter mit Happy End.
Titelangaben
Ava Reed: Alles. Nichts. Und ganz viel dazwischen
Berlin: Ueberreuter 2019
320 Seiten. 16,95 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren
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