Ein Zauberdings

Kinderbuch | Brigitte Weninger: Der kleine blaue Schirm

Wenn man die Dinge mit offenen Augen anschaut, können sie sich verwandeln. So findet im Wald ein wunderbarer Hokuspokus statt, findet ANDREA WANNER.

Brigitte Weninger: Der kleine blaue SchirmEin Schirm ist ein Schirm ist ein Schirm. Oder etwa nicht? Auf den ersten Blick scheint es sonnenklar. Schirme sind gewölbte Gegenstände, die vor bestimmten Dingen schützen, z. B. vor Sonne oder Regen.

Und genau dient der kleine blaue Schirm, den der Försterjunge zum Spielen mit im Garten dabeihat. Und den er liegen lässt, als er zum Essen gerufen wird. Da sorgt ein böiger Wind dafür, dass der Schirm fortgeblasen wird. Und bei einem Eichhörnchen im Baum landet.

Frau Eichhorn hat so etwas offensichtlich schon mal gesehen. Hoch oben am Himmel, auf dem Weg zur Erde. So identifiziert sie den Schirm beinahe korrekt als Fallschirm: ein »Wolkenspringding« – und probiert ihn kurzerhand aus. Das wiederum ist weniger erfolgreich. Sie landet sehr unsanft auf dem Boden und versetzt dem blöden Ding einen ebenso unsanften Tritt.

So landet der bei einer Rabenfamilie. Auch die Rabenkinder haben so was Ähnliches schon mal gesehen: »Die wachsen auf Spielplätzen«, erklären sie dem Rabenvater und schon sitzen alle drei in dem umgedrehten Schirm, der vom Vater in Bewegung versetzt zum »Rundumsauser« wird. Super! Aber wie bei das Karussellfahrten so ist: Allzu lange hält das niemand aus. Und schlecht wird es dem, der das Ding drehen muss, dem Vater. So endet der Spaß und der Schirm wird vom Wind weitergetragen.

So wird er für einen Frosch zum »Superwindfänger«, für eine Mausfamilie zum »Plitschplatschbecken, für einen Hasen zum »Kleetrockenhaltedach«. Und als es schließlich richtig regnet, finden sich alle Tiere unter dem schützenden Schirm zusammen.

Brigitte Weninger erzählt eine einfache Geschichte, deren charmanter Witz allein durch die ganz unterschiedliche Benutzung eines eigentlich so banalen Gegenstandes wie eines Schirms zustande kommt. In den Dingen steckt eben mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Konventionen sollten niemanden davon abhalten, sich der Welt neugierig und kreativ zu nähern. Vielleicht entdeckt man so einen Mehrwert, der einem andernfalls verborgen geblieben wäre.

Was daraus ein gelungenes Bilderbuch macht, sind aber vor allem die originellen Illustrationen von Katharina Sieg. Da sorgen die Simultandarstellungen schon mal dafür, dass gleich fünf blaue Schirme über die Doppelseite purzeln.

Sie wählt eine harmonische, an der Natur orientierte Farbpalette von Erdbraun über Grasgrün bis Himmelblau, gelb leuchtet der Regenmantel des Försterjungen wie ein Fremdkörper, wohingegen sich der blaue Schirm wie eine exotische Blume bestens in die Natur, in die er ja eigentlich gar nicht gehört, einfügt.

Die Tiere zeigen ein breites Spektrum an sehr menschlichen Emotionen: von Staunen bis Ärger, von Verblüffung bis Erleuchtung. Tja, das blaue Ding im Wald ist einfach ein Erlebnis!

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Brigitte Weninger: Der kleine blaue Schirm
Mit Illustrationen von Katharina Sieg
Berlin: Annette Betz 2019
32 Seiten, 14,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Fantasy-Metal-Abenteuer der Extraklasse

Nächster Artikel

Von Drachenblut bis Verwirrnis

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Was macht einen Freund aus?

Kinderbuch | Ye Guo: Ist okay

Gute Freunde zeichnen sich durch Eigenschaften wie Vertrauen, Loyalität, Empathie, Respekt und Zuverlässigkeit aus. Freundschaften basieren auf gegenseitiger Zuneigung, gemeinsamen Interessen und dem Gefühl, akzeptiert und unterstützt zu werden. Und wo findet man so jemanden? Ziege und Hase lernen sich vor dem Dosengrasregal im Supermarkt kennen. Das ist ein guter Anfang, um Freunde zu werden, stellt ANDREA WANNER fest

Wer braucht schon eine Krone?

Kinderbuch | Davide Calì: Die Königin der Frösche, die sich nie die Füße nass macht

Ja, ich gebe zu: Frösche gehören mit zu meinen Lieblingstieren, früher habe ich sie einmal gesammelt, in Form von Bildern, Keramik, Seifen. Und wehe Freunde erfuhren, was man sammelte. So war ich beim Anblick des Titelbildes dieses Kinderbuchs sofort verliebt in diese Geschichte. Und die Begeisterung hielt übrigens an bis zur letzten Seite, findet BARBARA WEGMANN

Das Mädchen in der Silvesternacht

Bilderbuch | Hans Christian Andersen: Das Mädchen mit den Schwefelhölzchen Märchen sind oft brutal, denn sie bilden auf ihre Art die Wirklichkeit ab. Da wird munter ermordet, gestorben, Kinder werden ausgesetzt oder versucht zu essen … Nicht nur die Volksmärchen, sondern auch die Kunstmärchen. So wie das Mädchen mit den Schwefelhölzchen, die versucht, in der Silvesternacht noch etwas Geld zu verdienen. Von GEORG PATZER

Wenn die Dinge erzählen

Kinderbuch | Elefant seit 1932 / Das Kleid und das Mädchen

Normalerweise spielen Menschen oder Tiere die Hauptrolle in Bilderbüchern. Aber was passiert, wenn die Geschehnisse mal aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet werden. In zwei neuen Bilderbüchern wird die Welt von aus der Sicht zweier selbstgemachter Gegenstände geschildert: der eines Holzelefanten und der eines Kleides. Spannend! – findet ANDREA WANNER

Maar’scher Hokuspokus

Kinderbuch | Paul Maar: Die Tochter der Zauberin

Die Tochter einer Zauberin zu sein, klingt eigentlich ziemlich cool. So direkt an der Quelle kann man vielleicht von manchem Kunststück profitieren. Aber wenn die eigene Mutter eine fiese, wirklich böse Hexe ist? Ein amüsantes Märchen von Paul Maar, findet ANDREA WANNER