Terroristenjagd ohne Terroristen

Roman | Franz Dobler: Ein Schuss ins Blaue

Zum dritten Mal nach Ein Bulle im Zug (2014) und Ein Schlag ins Gesicht (2016) schickt Franz Dobler seinen Ex-Bullen Robert Fallner auf Verbrecherjagd. Diesmal winkt dem in der Sicherheitsfirma seines Bruders Hans Tätigem sogar eine nicht unbeträchtliche Summe, sollte es ihm und seinen Kollegen gelingen, einen islamistischen Extremisten dingfest zu machen, bevor der größeren Schaden anrichten kann. Aber warum verhält sich dieser Iraker so gar nicht wie ein Terrorist, während sich die Atmosphäre um ihn und seine Beobachter herum von Tag zu Tag mehr mit Fremdenfeindlichkeit auflädt? Von DIETMAR JACOBSEN

Schuss ins BlaueWer die beiden ersten Romane von Franz Dobler, in deren Mittelpunkt der inzwischen nicht mehr zur Polizei gehörende Robert Fallner steht, gelesen hat, weiß, dass jeder Leser, der Kriminalromane nur deshalb liest, um sich von einer spannenden Mörderjagd für ein paar Stunden unterhalten zu lassen, von Dobler enttäuscht sein wird. Auch in Ein Schuss ins Blaue, Fallners drittem Auftritt als (nunmehr privater) Ermittler, knallt es erst auf Seite 260, also kurz vor Schluss.

Die dann fallenden Schüsse sind allerdings gut gezielt und töten nicht nur einen Iraker, der von Fallner und seinen Kollegen von der Münchner Sicherheitsfirma SIS (Safety International Security) seit Tagen beschattet wird, weil er ein Gefährder sein soll und dubiose »Amerikaner« auf seine Festsetzung sage und schreibe zwei Millionen Euro ausgesetzt haben, sondern auch Fallners jüdischen Freund und Ermittler-Kollegen Landmann. Ganz anders als der Verdacht, der Observierte trage sich mit dem Gedanken eines alsbaldigen blutigen Anschlags, handelt es sich bei diesen Schüssen also keineswegs um solche, die lediglich ins Blaue treffen.

Zwei Millionen auf den Kopf eines Gefährders

»Nichts passt zusammen, aber irgendwas ist dran.« Der Satz, den eine Figur des Buches äußert, könnte auch als Motto über dem Ganzen stehen. Da aber hat sich Franz Dobler für eine Zeile aus dem Danny-Dziuk-Song Zu groß, um zu scheitern entschieden: »Der Geist ist aus der Flasche und der macht, was er will.« Das Lied gehört in das 2016er Album mit dem Titel Wer auch immer, was auch immer, wo auch immer. Auch das würde passen als Leitspruch für einen unkonventionellen Roman, dessen Ziel – im Spannungsgenre ja immer gleichbedeutend mit der Auflösung eines wie auch immer gearteten »Falls« – tatsächlich der Weg ist.

Und der ist bei Dobler mal komisch, mal ernst, mal grotesk, mal nachdenklich stimmend, mit popkulturellen Verweisen gespickt, herrlich schrägen Dialogen gewürzt und lyrischen Einsprengseln garniert. Dass sich der lukrative Auftrag, der das alles in Gang setzt, letzten Endes als Falle erweisen wird, ahnt man ziemlich bald.

Aber es gibt so viel in sich aufzunehmen an wunderbar erfundenen Figuren (Armin, der Punker, Jorgos, der Grieche, Bruno, der Penner), Meinungen, mit denen man nicht immer übereinstimmen muss, und bedenkenswerten Blicken auf die Verfasstheit unserer heutigen Welt – da ist es dann schon beinahe egal, worauf das Ganze schließlich hinausläuft.

Auf seine ganz eigene Art – nach drei Romanen darf man den unverkenbaren Sound dieses Autors durchaus bereits als »dobleresk« bezeichnen – spürt der Münchner Autor in Ein Schuss ins Blaue der aktuellen Gefühlslage in unserem Land nach.

Und er hat, um eine deutlich negativer und nervöser, gereizter und gewalttätiger werdende Stimmung, in der viele Menschen das Zuhören verlernt und das Sich-gegenseitig-Anschreien zum normalen Umgangston erhoben zu haben scheinen, zu kennzeichnen, ein paar herrlich entlarvende Geschichten rund um seinen Helden erfunden.

Ob der mit einem Rollator als perfekter Tarnung den Zorn ungeduldig-genervter Autofahrer auf einer Münchner Magistrale erregt oder eine Gruppe von Jugendlichen, die in einer U-Bahn-Station einer unschuldigen Schwarzen bedrohlich auf den Leib rückt, brachial in die Flucht schlägt – nichts ist in der Welt dieses Romans zufällig, auch wenn vieles auf den ersten Blick so daherkommen mag.

Existentielle Fragen eines Teenagers

Für das Fragenstellen ist in Ein Schuss ins Blaue übrigens die 14-jährige Nadine zuständig, ein »Ossigirl« wie es an einer Stelle des Romans heißt, das Fallner und seine Frau Jaqueline bei sich aufgenommen haben, nachdem es einer kaputten Leipziger Familie davongelaufen ist. Deren Probleme reichen von »Hilft Gott den Menschen wirklich, wenn sie ihn darum bitten?« bis zu »Ist es wahr, dass meine Mutter eine Hure ist?« und zwingen Fallner immer wieder dazu, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, seine Ansichten und Meinungen zu hinterfragen, wach zu bleiben für die tausend Rätsel, die sich einem Teenager heute stellen, und gleichzeitig für alles, was um ihn herum geschieht.

Ganz wie bei seinen beiden Vorgängern hat der Musikexperte, Journalist und Nebenberufs-DJ Dobler (Jahrgang 1959) auch mit Ein Schuss ins Blaue wieder nicht nur eine verwirrende Kriminalgeschichte, sondern gleichzeitig eine messerscharfe Zeitanalyse vorgelegt. Es geht um Fremdenfeindlichkeit und Fake News, SUV-Fahrer, sozial Abgestiegene und Gangsta-Rapper, Terrorhysterie und die Klimakatastrophe, Mobbing auf Schulhöfen, die Ost-West-Problematik, den NSU und rechtsradikale Seilschaften in den deutschen Sicherheitsbehörden.

Dass die Jagd auf einen islamistischen Gefährder mit dessen Tod durch Erschießen endet, ohne dass der Mann bis dahin tatsächlich terroristische Absichten zu erkennen gegeben hat, charakterisiert eine gesellschaftliche Atmosphäre, die geprägt ist von Misstrauen, Angst und allgemeiner Unsicherheit. Also genau jenes Klima, mit dem sich zur Zeit jeder auseinandersetzen muss, der in Deutschland lebt.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Franz Dobler: Ein Schuss ins Blaue
Stuttgart: Tropen 2019
288 Seiten, 20 Euro
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