Forscherdrang mit Witz

Kinderbuch | Juri Johansson: Von Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern

Spätestens seit Loriots Steinlaus 1983 Eingang in das medizinische Wörterbuch Pschyrembel fand, wundert man sich nicht mehr über bisher unentdeckte Tiere. Und jetzt gibt es tatsächlich zwanzig bisher unbekannte Tiere, über die ANDREA WANNER staunte und lachte.

Das Buchcover zeigt ein Nashhorn sowie eine Schildkröte, die Flöte spieltDie drei titelgebenden Neuentdeckungen zieren das Cover: eine Schildflöte, ein Herdmännchen und ein Großmaulnashorn. Irgendwie kommen sie einem bekannt vor – und irgendwie doch nicht. Es braucht einen zweiten Blick, um das Irritierende zu finden.

Schildflöte? Das klingt ein bisschen nach einem Sprachfehler. Aber nein, das Tier heißt so und was es von einer normalen Schildkröte unterscheidet: die Schildflöte besitzt ein eingebautes Instrument. Ihre Nase ist stark verlängert und weist die typischen Flötenlöcher auf. Praktischerweise wächst eine kaputte oder abgebrochene Flöte einfach nach.

Herdmännchen sehen aus wie Erdmännchen, haben ein graues oder hellbraunes Fell und heißen so, weil sie wie Menschen auf zwei Beinen stehen. Herdmännchen tragen dazu noch eine Kochschürze oder -mütze und sind angeblich die besten Köche im Tierreich – vegane Wurzelwürstchen mit Petersilikum oder Mokka-Mückenmuffins mit Mandelmilch gehören zu ihren Spezialitäten.

Breitmaulnashörner und Spitzmaulnashörner gibt es in Afrika wirklich. Aber Großmaulnashörner? Wenn man ein bisschen mehr über das Tier erfährt, das den Kaiser von Kanada im Tischtennis geschlagen und den Baron von Münchhausen mit dem Fahrrad rückwärts von Hausen nach München gefahren hat, dann fällt der Groschen. Das große Säugetier ist tatsächlich ziemlicher Angeber, der mit seinen Erfolgen prahlt. Auf dem kleinen blauen Fahrrad macht es sich mit seinem Horn auf der Stirn und mit Tischtennisschläger ausgestattet gar nicht schlecht.

Es lohnt sich, ein bisschen über die Originaltiere Bescheid zu wissen, damit man Wiesel, Wiesosel und Warumsel, den Ichwardasnicht-Kranich oder die Mitbringsel-Mücke so richtig genießen kann. Juri Johanssons erstes Buch lebt von einem überbordenden, augenzwinkernden Sprachwitz. Nicht schlimm, wenn die Kleinen beim Vorlesen nicht alles auf Anhieb verstehen: Ein bisschen Bonuslachen tut auch Erwachsenen gut. Stefanie Jeschke hat sich auf den verrückten Spaß eingelassen und neben den linksseitigen Lexikoneinträgen mit kleiner Vignette jeweils ein ganzseitiges Tierporträt gestaltet: einen Magichnicht-Habicht in Braun- und Grüntönen, der entschieden den vorgesetzten Brokkoli ablehnt, einen fröhlich grinsenden Lachlöwen in Savannengelb und -braun, der neben der Lachmöwe einen überzeugenden Vize-Witzeweltmeister abgibt (was wohl erklärt, dass sein Lachen ein ganz kleines bisschen angestrengt wirkt) oder in Meerblau und -türkis eine tierisch beleidigte Schmolle. Hinreißend. Mein Lieblingstier ist der Tiefseehase, der mit seiner roten runden Brille an diesem unwirtlichen Ort lebt, wo sonst noch Radieschenfische, Rübchenfische und Karottenfische zu Hause sind (die in ihren leuchtenden Farben vergnügt blubbernd auch den Vorsatz zieren dürfen).

Das Bilderbuch ist das erste des im Sommer 2021 gegründeten Kraus Verlags in Berlin. Ein Klein- oder bester Kleinstverlag – mit einer Vision, nämlich Bücher zu verlegen, »die spielerisch die Welt erkunden, die lustig und gern auch ein bisschen schräg sind.« Das ist mit dem Erstling schon mal gelungen. Auf der Homepage kann man außerdem fünf Motive aus dem Buch als Postkarten ordern: gute Idee. Und für den Herbst ist bereits ein weiteres Highlight angekündigt: das bereits 1979 im Original erschienene ›The Garden of Abdul Gasazi‹ des amerikanischen Zeichners und Schriftstellers Chris van Allsburg (ich liebe den Weihnachtsklassiker Der Polarexpress«).

Gerade haben wir den Indiebookday gefeiert: eine gute Gelegenheit, den engagierten unabhängigen Kleinverlagen für ihre Projekte alles Gute zu wünschen. Und wir wünschen uns noch viele schöne Geschichten mit Huhnfischen, Malwürfen und Pyjamalamas.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Juri Johansson: Von Schildflöten, Herdmännchen und Großmaulnashörnern
Das kleine Lexikon bislang kaum bekannter Tiere
Mit Illustrationen von Stefanie Jeschke
Berlin: Kraus Verlag 2022
44 Seiten, 14,90 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahre
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wasser

Nächster Artikel

Ein bisschen mehr Koloniegefühl

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Ein zärtliches Gutenachtbuch

Kinderbuch | Marianne Dubuc: Leise durch die Nacht

Zugegeben: es gibt Bücher, auf die freut man sich noch vor dem Erscheinen besonders. Und wenn man sie dann in Händen hält, weiß man warum. Die Geschichten von Marianne Dubuc gehören auf jeden Fall dazu, findet ANDREA WANNER.

Einfach anders

Kinderbuch | Melanie Laibl: Gwendolyn macht's andersrum

Gwendolyn ist ein sehr selbstbewusstes Mausemädchen und mit einem »Papperlapieps« wischt sie die Einwände, die ihre Freunde gelegentlich haben, vom Tisch und macht, wozu sie Lust hat. ANDREA WANNER freute sich an den zehn vergnüglichen Vorlesegeschichten.

Die ganze Wahrheit

Kinderbuch | Antje Damm: Echt wahr? Klar muss man immer die Wahrheit sagen. Muss man? Darf man manchmal schwindeln? Überhaupt, was sind eigentlich: »Wahrheit« und »Lüge«? ANDREA WANNER folgte Antje Damms spannender Suche.

Das Abenteuer der Malerei

Kinderbuch | Daniel Fehr: Ella im Garten von Giverny

Auch ein so bekannter und berühmter Maler wie Claude Monet (1840-1926) hat irgendwann einmal angefangen. Deshalb ist die wichtigste Erkenntnis dieses wunderbaren Kinderbuches: Nie Angst vor Papier, Stift und Farben haben oder gar glauben, es könnte ein »hässliches Bild« werden! Denn das liegt immer im Auge des Betrachters. BARBARA WEGMANN hat die Geschichte von Ella und ihrer ungewöhnlichen Begegnung gelesen.

Glückliches Missverständnis

Kinderbuch | Andrea Tuschka: Stille Post

»Stille Post« oder »Flüsterpost« ist ein wunderbares Spiel: Die von einem zum anderen flüsternd von Mund zu Ohr weitergegebene Nachricht verändert sich von einem von einem Teilnehmer zum nächsten und sorgt für Lacher, wenn am Ende verkündet wird, was der Letzte verstanden hat und was die Originalnachricht war. Für Bär und Maus führt genau dieses Prinzip zu einer wunderbaren Lösung eines Problems, freut sich ANDREA WANNER