Kinderbuch | Ulf Stark: Im Himmel ist es fast genauso
Ulf könnte ein kleiner Bruder geworden sein. Dass er es nicht ist, sorgt für Probleme. Von ANDREA WANNER
Marie-Louise hätte Ulfs große Schwester geheißen, die nie gelebt hat. Sie starb, noch ehe sie zur Welt kam. Und Ulf, der danach geboren, wurde, vermisst sie. Sein Freund Klas hält das für Unsinn, dass man sich nach jemandem sehnt, den man nie getroffen hat: »Quatsch, du hast sie doch nie kennengelernt!« und Ulf setzt dem entgegen »Nein, das ist es ja gerade.« So bleibt ihm nur eine unbestimmte Sehnsucht nach einem Mädchen, das drei Jahre älter wäre als er, der Achtjährige. Die eine Leerstelle in seinem Leben füllen würde, die er nicht recht benennen kann.
Ulf Stark beginnt seine Geschichte mit einer beklemmenden Situation: die Mutter liegt mal wieder mit Migräne im Bett, erträgt weder Licht noch Geräusche. Ulf muss dann ganz leise und rücksichtsvoll sein. Seine Versuche zu helfen und den Schmerz zu lindern, werden missverstanden und vom Vater sofort energisch unterbunden. Die Mahlzeiten bestehen an solchen Tagen für ihn und seinen kleinen Bruder aus Dickmilch, die der Vater auf den Tisch bringt. Und Ulfs Gebete an den lieben Gott sind ebenso rührend wie verzweifelt: »Lieber Gott, mach, dass Mama wieder gesund wird, Kinder brauchen nämlich jemanden, der sich um sie kümmert.« Solch depressive Stimmungen im Haus verstärken den Wunsch des kleinen Jungen nach der großen Schwester. Und weil er weiß, dass sie im Himmel ist, versucht er auf die unterschiedlichsten Arten mit ihr in Kontakt zu treten.
Bis sie eines Tages leibhaftig vor ihm steht: dunkle Haare, pummelige Beine, elf Jahre alt. Aber sie heißt Britta und macht mit Ulf Ringkämpfe. Ulf reiht Indiz an Indiz. Sie muss es sein. Und sie hat einen blauen Pulli an, der aussieht wie ein Stück Himmel. Jetzt kann er sie endlich nach all den Dingen fragen, die er unbedingt wissen will.
Ulf Stark erzählt konsequent aus der Perspektive des Achtjährigen, macht dessen Ängste, Wünsche und Träume sichtbar. Es ist eine kindliche Naivität, die sein Tun und Handeln prägt, die aber getrieben ist von der Vorstellung, wie das Leben besser und schöner sein könnte. Und da denkt er nicht nur an sich. Leonhard Erlbruch lässt den kleinen Jungen mit den blonden Haaren in seinen Illustrationen lebendig werden und fängt ein Stück Kindheit ein, zu dem Streiche, Heimlichkeiten, Abenteuer, Familiensorgen, Frust und Glück gehören. In der kurzen Geschichte steckt alles, was das Leben ausmacht. Auch wenn Britta, der Engel, vielleicht gar keiner ist, flattert am Ende die Wäsche auf der Leine und in der Küche kocht eine Gemüsesuppe vor sich hin: so muss es sein.
Titelangaben
Ulf Stark: Im Himmel ist es fast genauso
(Ett syskon från yttre rymde, 2013)
Deutsch von Brigitta Kicherer
Mit Illustrationen von Leonhard Erlbruch
Hamburg: Oetinger 2015
58 Seiten, 12 Euro
Kinderbuch ab 7 Jahren