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Wasser

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Ernsthaft, sagte Tilman, die Ressourcen des Planeten wollen schonend behandelt werden.

Farb blickte auf.

Sie würden knapp, sagte er.

Im Brandenburgischen tobe ein Konflikt um die Nutzung des Grundwassers, das von einem PKW-Hersteller ausgebeutet werde, die dort lebenden Menschen fürchteten extreme Konsequenzen, Wasser sei ein kostbares Gut.

Zurecht, sagte Farb, die natürlichen Vorräte würden über alle Maßen beansprucht, von schonendem Umgang könne keine Rede sein, das Desaster sei unausweichlich, weltweit, sagte er: in Spanien breite sich Steppe aus, in den USA schrumpften die Stauseen, Australien fahre Jahr für Jahr geringere Ernten ein, die Hälfte der Weltbevölkerung sei heute schlechter mit Wasser versorgt als die Bewohner des antiken Rom.

Tilman lächelte. Diesmal, sagte er, könne er ein Beispiel für angemessenen Umgang mit Wasser nennen.

Da sei sie gespannt, sagte Anne.

Farb ahnte, was auf ihn zu kam, und schenkte Tee ein, er war vernarrt in das Drachenservice.

Drei Jahrtausende, stabil, unerschütterlich, sagte Tilman, die Moderne dürfe froh sein, auf solche Beispiele zurückzugreifen, der Umgang mit Wasser sei von immenser Bedeutung gewesen, an der Überflutung des Nil orientierten sich die drei Jahreszeiten, die Fluten sorgten für eine Durchfeuchtung der Felder, der Nilschlamm brachte Dünger für die Landwirtschaft, über Kanäle mit geringerem Gefälle als der Nil konnten auch entferntere und geringfügig höher gelegene Flächen geflutet werden.

Ausgefeiltes Wassermanagement, sagte Farb, eine fortschrittliche Technologie.

Er glaube nicht, entgegnete Tilman, daß wir dem mit diesen modernen Begrifflichkeiten gerecht werden.

Narrative, sagte Anne und lächelte.

Der Ägypter sieht das anders, spottete Farb.

Du sagst es – die Wasserbewirtschaftung war das Ergebnis einer religiös geprägten Kultur und ohne diese nicht denkbar, der Nil war die Lebensader Ägyptens, die Nilschwemme versorgte das Land mit fruchtbaren Böden, das Wasser war vielfältig in der Kultur präsent, von der Kultgesellschaft der Choachyten wurden Wasserspenden dargebracht, ein wichtiges Ritual jeweils an einem zehnten Tag, dem ersten jeder Dekade, ein bedeutender Totenkult am westlichen Ufer Thebens, dazu wurden Sprüche rezitiert, um das Ereignis zum Medium einer umfassenden Opferdarbringung auszugestalten.

Wasser genoß hohe Wertschätzung, sagte Anne, und war nicht reduziert auf einen Wirtschaftsfaktor oder ein Konsumgut.

Tilman lächelte. Man mache sich das oft nicht klar, sagte er, es herrschte eine grundlegend andere Lebensweise, wir gehen allzu leicht darüber hinweg, und was das Wasser anging, war Osiris die zentrale Figur.

Der Gott des Totenreiches?

Der Gott des Totenreiches, ja, für die Ägypter war jedes Wasser ein Ausfluß des Osiris, ein, wie sie sagten, Leichensekret, und zwar als eine erneuernde Kraft, als eine lebenspendende Substanz, die etwas Verbrauchtes wieder auffüllt, etwas Zerfallenes zusammenfügt.

Wasser ist zum Waschen da/ falleri und fallera/ auch zum Zähneputzen/ kann man es benutzen. Farb zeigte sich trotz allem gut aufgelegt, doch sein Scherz fing nicht.

Elephantine tief im Süden an der Grenze zu Nubien, ergänzte Tilman, galt ihnen als Quelle der Nilflut und als ein Ort der Verjüngung, und alles Wasser wie gehabt als ein Ausfluß des Osiris, Unmengen an Wasser, das wird niemand verstehen.

So zu denken ist uns fremd, sagte Farb, wir sind in unseren Mustern gefangen.

| WOLF SENFF

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