Max findet einen Schatz: eine neue Freundin

Kinderbuch | Al Rodin: Das kleine Echo

In einer Höhle kann man alles Mögliche finden: Fledermäuse, einen Bären, vielleicht sogar einen Schatz. Und wenn man Geräusche macht, hört man meist auch ein Echo. Aber gesehen hat man noch keins. Außer Max. Der wird von seinem Echo sogar gerettet. Und findet deswegen einen ganz besonderen Schatz. Von GEORG PATZER

Das Buchcover zeigt eine gezeichnete Fledermaus mit überdimensional großen Ohren in einer Höhle.Das Leben ist nicht einfach für die kleine Echo-Dame: Einsam ist sie, weil sie sich immer verstecken muss, nur aus dem Schatten echoen darf, statt mit den anderen in der Höhle zu spielen – mit dem Bären, den Fledermäusen oder den beiden Eulen, die immer »Schuhuh« rufen. Klein und gelb und mit riesigen Ohren, damit sie auch noch den leisesten Ton hört, sieht sie ihnen sehnsüchtig zu. Bis Max kommt.

Mit Taschenlampe und Spaten stapft er in die Höhle: »Ich suche hier nach dem Schatz!«, verkündet er und leuchtet durch die Dunkelheit. »Schatz, Schatz, Schatz …« echot es leiser werdend. Aber das Wort gefällt Echo. Sie schleicht Max hinterher und hätte ihm gern gesagt, dass er die Schatzkarte falsch herum hält. Aber sie darf ja nicht. »Oha!«, sagt Max und kratzt sich am Kopf: Er hat sich verirrt. »Ha ha ha«, antwortet Echo.

Aber das war Max egal, er gräbt und gräbt und findet nur Steine, und weil es schon spät ist, legt er sich in die Höhle zum Schlafen. Dummerweise hat er sich den Schlafplatz des Bären ausgesucht. Und der Bär ist wütend. Der Bär ist hungrig. Und zum ersten Mal in ihrem Leben traut sich Echo, einmal etwas Eigenes zu sagen: »Lauf!«, schrie Echo: »Lauf. Lauf. Auf. Auf. Auf …« Und so laufen sie.

Vor drei Jahren haben wir den Londoner Illustrator Al Rodin zufällig in Bologna getroffen, zur Zeit der Kinderbuchmesse, aber nicht dort, sondern in unserer Lieblingsbar. Al saß mit einigen Freunden am Nebentisch, wir kamen ins Gespräch, schnell stellte sich heraus, dass auch er auf der Messe war – an einem unserer Lieblingsstände, der Cambridge School of Arts. Dort stellen jedes Jahr die Abgangsjahrgänge ihre Bücher vor, legen Dummies davon aus und hoffen, dass ein Verlag sie entdeckt. Bei Junli Song hat es geklappt, die amerikanische Lyrikerin Zaro Weil hat mit ihr die beiden Bücher ›When Poems Fall From the Sky‹ und ›Cherry Moon‹ publiziert. Und auch bei Al, der jetzt bei einem der renommiertesten Kinderbuchverlage sein erstes Buch auch im deutschsprachigen Raum veröffentlicht hat, dem NordSüd Verlag in Zürich – 2019 erhielt er den Sebastian-Walker-Prize.

Rodin erzählt von einer besonderen Freundschaft und vor allem vom Mut, sich selbst eine eigene Stimme zu geben, eine eigene Persönlichkeit zu werden statt nur das Echo von anderen: Denn indem Echo sich traut, von sich aus zu sprechen, rettet sie Max. Und dann geht es noch weiter: Denn Echo will nicht allein bleiben und traut sich noch einmal, zum zweiten Mal in ihrem Leben, etwas Eigenes zu sagen: »Darf ich mit dir nach dem Schatz suchen? Ich habe eine Ahnung, wo er sein könnte.« Dreht die Karte richtig herum, und ab da bleiben sie zusammen. Und dann wandelt und entwickelt sich ihre Beziehung: »Beim Suchen summte Max. Und wenn Max summte, echote Echo. Irgendwann echote Max zurück …«

Und sie suchen und graben und graben und graben. Und finden: Nichts. »Vielleicht gibt es einfach keinen Schatz«, sagt Echo. »Ein enttäuschender und schrecklicher Gedanke.« Max fragt: »Wollen wir etwas anderes spielen?« Und Echo schlägt Piraten vor: »Dann bin ich der Kapitän«, sagt Max. Und Echo äußert den hintersinnig doppeldeutigen Gedanken: »Und ich habe das Sagen!« Und dann spielen sie und spielen und reden und hören zu.

Sehr kraftvoll und energisch sind die Illustrationen in Al Rodins Buch, die er in verschiedenen Techniken ausgeführt hat, vor allem mit sich überlagernden Wasserfarben. Immer wieder ragt das gelbe Echo mit seinen riesigen Ohren hinter Felsen hervor, stupsnäsig und mit einem kleinen Puschelschwanz lauert es auf Vorsprüngen, lugt auf Max herunter. Düster ist die Höhle und von kleinen huschenden Wesen bevölkert, manchmal scheint es, als wenn die Steine selbst lebendig würden, und nach und nach wird die Atmosphäre heller und freundlicher. Die beiden Hauptpersonen sind ein bisschen comicartig gezeichnet, aber vor allem sind sie sehr lebendig, und die in immer kleinerer Schrift gezeichneten Echofetzen in den Bildern selbst machen die Geschichte noch lebendiger.

Dass die Geschichte auch noch auf den griechischen Mythos der Nymphe Echo anspielt, die von Zeus‘ eifersüchtiger Frau Hera der Sprache beraubt wurde und (nach Ovid) in Narziss unglücklich verliebt war, der aber nur in sich selbst verliebt war, spielt nur eine untergeordnete Rolle: Aber immerhin führt Rodin den Mythos schön menschenfreundlich weiter. Denn Max ist nicht so egozentriert wie Narziss, sondern freundet sich mit Echo an und verlebt eine so schöne Zeit mit ihr, dass sie beiden den Schatz völlig vergessen.

| GEORG PATZER

Titelangaben
Al Rodin: Das kleine Echo
(Little Echo, 2022). Übersetzt von Thomas Bodmer
Zürich: NordSüd Verlag 2022
40 Seiten, 15 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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