/

Ein Domizil für die Ewigkeit

Kulturbuch | Eva Eberwein: Das Haus von Mia und Hermann Hesse

Man mag es kaum glauben: nur durch viele glückliche Umstände und vor allem den engagierten Einsatz von Eva Eberwein, ist ›Das Haus von Mia und Hermann Hesse‹ im beschaulichen Bodenseeörtchen Gaienhofen erhalten geblieben. Ein reich illustrierter, fundiert aufbereiteter und mitreißend präsentierter Band erzählt von der Historie und dem Fortbestand des Anwesens, das immer doch den Zeitgeist und die Reformideen seiner früheren Bewohner atmet. Von INGEBORG JAISER

Fotografie des Hauses von Mia und Hermann Hesse inmitten eines üppigen Gartens»Und jetzt erst beginnt die Zeit meines Lebens, in der ich nicht mehr zufällige und oft gewechselte Zimmer, sondern Häuser bewohnte, und in welche diese Häuser mir lieb und wichtig wurden«, schreibt der Dichter und Literatur-Nobelpreisträger Hermann Hesse in seiner Erzählung Beim Einzug in ein neues Haus – zufrieden auf jene Lebensphase zurückblickend, in der sein Wechsel von möblierten Zimmern und einfachen »Buden« mit der Gründung einer Familie in die Sesshaftigkeit führen sollte. 1904 heiratet er die fast 10 Jahre ältere Fotografin Maria Bernoulli und schon ein Jahr später wird der älteste Sohn Bruno geboren. Reformgedanken und die idealistische Suche nach dem vermeintlich einfachen, naturnahen Leben führen die junge Familie in die Abgeschiedenheit der Halbinsel Höri am Bodensee. Der kleine Ort Gaienhofen ist nur über einen zweistündigen Fußmarsch von Radolfzell oder über eine abenteuerliche Bootsfahrt über den See zu erreichen. Auch wenn die stattliche Landhaus-Villa, die Mia und Hermann 1907 auf einer Anhöhe errichten lassen, »für die Ewigkeit« geplant ist, hält die brüchige Idylle lediglich fünf Jahre lang. Der Dichter flieht auf weite Reisen bis nach Asien, seine Frau zerbricht an Depressionen.

Einst puristisch und funktional konzipiert

Wechselvolle Zeiten für das Haus: Es folgen neue Besitzer und Nutzungen, Umgestaltungen und Überlagerungen. Bis sich im Jahr 2003 das endgültige Aus abzeichnet. Das geschichtsträchtige Gebäude soll abgerissen, das verwilderte Grundstück mit vier Doppelhaushälften neu bebaut werden. Man kann nur fassungslos auf den sich anbahnenden Frevel blicken. Hier greift die im Rheinland geborene und aufgewachsene, jedoch mit Gaienhofen familiär verbundene Eva Eberwein (ihr Großvater führte das örtliche Gasthaus und brachte den Hesses die Post vorbei) mehr als beherzt ein. Sie erwirbt das Anwesen und rettet es vor dem Niedergang. Nur ihrem ungebrochenen Enthusiasmus und jahrelanger mühevoller Arbeit ist es zu verdanken, dass man heute wieder den in weiten Teilen rekonstruierten Garten und das einst »imposante attraktive Haus, puristisch und funktional« konzipiert, bewundern kann.

Zeitgeist der Reformbewegung

Für die Instandsetzung und liebevolle Pflege des Gartens dürfte Eva Eberweins Biologie-Studium eine fundierte Grundlage gebildet haben, aus ihrem früheren Beruf als Unternehmensberaterin und Leiterin eines Forschungslabors mag sie Organisationstalent, Durchsetzungskraft und Recherchewissen mitgebracht haben. Denn es braucht schon einen langen Atem, um dieses Liebhaberprojekt zu stemmen und zudem das inzwischen denkmalgeschützte und daher achtsam aufbereitete Haus wieder selbst zu bewohnen.

Eva Eberwein ist es auch, die – neben Führungen, Vorträgen und persönlichen Gesprächen – ihre weitreichenden Kenntnisse und sehr persönlichen Erfahrungen mit und zu diesem Anwesen in Veröffentlichungen zugänglich macht, wie in dem aufwendig recherchierten und liebevoll gestalteten Text-Bildband ›Das Haus von Mia und Hermann Hesse‹. Ausgiebige Nachforschungen (wie im Marbacher Literaturarchiv oder privaten Quellen) und ein großes Einfühlungsvermögen in den Zeitgeist der Reformbewegung ermöglichen es der Autorin und aktuellen Bewohnerin, der ursprünglichen Intention der Hauserbauer nachzuspüren, ihnen gerecht zu werden und das Anwesen in ihrem Sinne fortzuführen.

Im Einklang mit Natur und Umgebung

Den außergewöhnlich detailgenauen und einfühlsamen Aufnahmen des Fotografen Martin Maiers ist es zu verdanken, dass allein schon beim Blättern durch das Buch der Spirit des Ortes überspringt: In der Gesamtkomposition von Möbeln, Bodenbelägen, Stoffen und Hausrat spiegeln sich die Rückbesinnung zu einfachen Formen und gediegener Qualität wider, in der auch »Elemente der bäuerlichen Wohnkultur« und lokale Charakteristika Eingang gefunden haben. Welche Auswirkungen ein Domizil auf die gesamte Lebensführung – wie Repräsentationspflichten, Kindererziehung, Vorratshaltung – haben kann, vermag Eva Eberwein mit großer Leidenschaft zu vermitteln. Umfassender, profunder und lebhafter hätte es kein Architekturführer darstellen können.

Ein ideenreiches, mit über 100 Illustrationen anschaulich ausgestattetes Buch, das zum Besuch in Gaienhofen verführt. Haus und Garten können nach Voranmeldung besichtigt werden. Da das Gebäude jedoch kein Museum ist, bitten die Bewohner explizit um Wahrung ihrer Privatsphäre. Sonst könnte es passieren, dass man Eva Eberwein gerade beim Einkochen der Erdbeermarmelade antrifft.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Eva Eberwein: Das Haus von Mia und Hermann Hesse
Leben im Einklang mit der Natur
München: Prestel, 2022
160 Seiten, 32,- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Istanbuls Schicksal ist mein Schicksal

Nächster Artikel

Auf der Suche nach Freunden

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

War Gaddafi Existentialist?

Kulturbuch | Charlie Nash: »Gaddafi, Existentialist«

Vor 50 Jahre, am 14. Mai 1973, hielt Muammar al-Gaddafi in Tripolis eine Rede über Existentialismus. Libyen sei daran nicht interessiert, weil man das letzte Geheimnis der Existenz, das auch die Wissenschaft nicht erklären kann, mit Religion beantworte. Der britische Journalist Charlie Nash tritt den Gegenbeweis an. Sein kurioses Büchlein »Gaddafi, Existentialist« entdeckt einen existentialistischen Faden in Leben und Werk des libyschen Revolutionsführers, Despoten, Außenseiters und Visionärs. Eine faszinierende Neuinterpretation – die das schillernde Gaddafi-Enigma durch das Prisma der Philosophie betrachtet. Von SABINE MATTHES

Axel Hacke hat da so ein Gefühl

Kulturbuch | Axel Hacke: Fußballgefühle Seit einer Woche nun rollt der Ball, grünt das Grün, gellt der Pfiff! Die Fußball-Bundesliga ist zurück: endlich Zeit für große Emotionen! Axel Hacke hat schon mal ganz tief in sich hinein gehorcht, SUSAN GAMPER auch.

Einen Bestseller schreiben

Kulturbuch | Christian Eichler: 90, oder: Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen Ob man dem Titel trauen darf? Was ist das überhaupt, eine Geschichte des Fußballs? Eine Wagenladung voll Stars, eine Liste der großen Siege, der phantastischen Tore – könnte ja sein. Genauso jedoch gehören die tiefen Abstürze dazu, die Niederlagen, und man würde gern etwas erfahren über die Einflüsse von Politik auf Fußball. Von WOLF SENFF

Die späten Geständnisse des Wilhelm Genazino

Kulturbuch | Wilhelm Genazino: Die Belebung der toten Winkel

Nachdem er vor zwei Jahren den Büchner-Preis erhielt, zählt der Schriftsteller Wilhelm Genazino zu den bekanntesten deutschen Autoren. Mit seinen nun publizierten Frankfurter Poetikvorlesungen gibt er tief reichende Einblicke in sein Schaffen und dessen geistige Hintergründe. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Im Rausch(en) der Geschwindigkeit

Ausstellung | Kulturbuch | Christoph Naumann: ›Rauschen‹ in Würzburg (BBK Galerie) Fußgänger und Autobahn. Zwei Formen der Bewegung prallen in der Arbeit des Würzburger Fotografen Christoph Naumann aufeinander. Großformatige Landschaftsbilder zeigen Räume und Orte, denen normalerweise keine Beachtung geschenkt wird. Weil wir sie im Temporausch übersehen – oder zu Fuß nie besuchen würden.