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Es blüht in Deutschland

Kulturbuch | Loki Schmidt, Axel Jahn: Die Blumen des Jahres

Loki Schmidt war eine erklärte Naturliebhaberin. Bis zu ihrem Tod 2010 nutzte sie ihre Popularität als ehemalige Kanzlergattin für den Einsatz zum Erhalt der heimischen Flora und Fauna. Werkzeug war ihr dabei die eigens gegründete ›Loki-Schmidt Stiftung‹. Axel Jahn, Geschäftsführer der Stiftung und Loki Schmid haben mit ›Die Blumen des Jahres‹ einen wundervollen PR-Schachzug entworfen und dank der kongenialen Betreuung durch den bibliophilen ›Hoffmann und Campe Verlag‹ für alle zugänglich gemacht. VIOLA STOCKER ließ sich verzaubern.

Loki Schmidt - Die Blumen des JahresEs ist immer ein gutes Gefühl, wenn ein Mensch seine Leidenschaft mit einer gemeinnützigen Aufgabe verbinden kann. Loki Schmidt ist dies mit ihrer Stiftung vollumfänglich gelungen. Das aber ist nur die notwendige, nicht die hinreichende Bedingung. Erst wenn das Talent hinzukommt, andere Menschen berühren und motivieren zu können, entsteht daraus etwas Größeres. Loki Schmidt hatte diese Eigenschaft, wie das liebevolle Vorwort von Siegfried Lenz beweist. Wo der Autor früher frisch ausschritt in Wald und Hain, setzt er nun behutsam einen Fuß vor den anderen, denn er hat die Schönheit der heimischen Blumenwelt erkannt. Dank Loki Schmidt.

Die Schönheit im Kleinen

Wer schon einmal in einem botanischen Garten war, ist meist zutiefst beeindruckt von der Schönheit der Pflanzen, zumal im Tropenhaus. Dies führt zur Annahme, dass die heimischen Wiesen und Auen kaum besondere Pflanzen zu bieten haben. Loki Schmidt widerlegt diese Behauptung ein für allemal. Um ihrer Stiftung Aufmerksamkeit zu verschaffen, wird seit 1980 jährlich eine Blume des Jahres gekürt.

Die jeweilige Blume des Jahres stammt aus bedrohten Lebensräumen, die aufgrund der industriellen Landwirtschaft und der Wohnraumgewinnung schrumpfen und ihre althergebrachte Flora verlieren. Viele Blumen stammen dabei aus Norddeutschland, wo die Hanseatin Loki Schmidt ihre Leidenschaft zuerst umsetzte. Mit Hilfe von Spenden gelingt es der Stiftung immer wieder, Land zu kaufen und gefährdete Natur so zu schützen.

Alte Naturlandschaft

Überbleibsel der letzten Eiszeit haben unsere Pflanzenwelt gestaltet. Lange blieben Moore oder Hochgebirgswiesen von Menschenhand unberührt. Sie waren nicht urbar zu machen, Landwirtschaft und Viehwirtschaft lohnten hier nicht und auch als Wohnraum waren andere Bereiche bevorzugt. Solange die Bevölkerungsdichte niedrig war, blieben diese Landschaften wild und entwickelten eine einzigartige Flora und Fauna.

Ob Lungenenzian, Arnika, Sumpf-Calla und Stranddistel – all diese Pflanzen leiden unter der Achtlosigkeit der Menschen. Sümpfe werden entwässert und verlieren so ihre Aufgabe als Lebensraum für Tiere und Pflanzen, im Hochgebirge wird durch rücksichtslosen Tourismus und den Bau von Skipisten die typische Flora verdrängt und auch an den Stränden Norddeutschlands sind typische Pflanzen rückläufig. Auch durchaus gut gemeinte Aktionen von Einzelnen, wie Pflücken oder Ausgraben, tragen nicht zum Arterhalt bei.

Kulturlandschaft als Lebensraum für seltene Pflanzen

Seit vielen Tausenden von Jahren hat der Mensch bereits in die Natur eingegriffen. Die ersten Siedler, die aus dem Orient nach Europa kamen, machten den in Deutschland ansässigen Jägern und Sammlern schnell den Wohnraum streitig. Sie rodeten Wälder und begannen mit rudimentärem Ackerbau. So stammen auch all die Ackerbegleitpflanzen aus dieser Zeit, von der Kornblume bis zur Zichorie. Die blühenden Säume am Ackerrand verschwinden aber, seit mit Kunstdünger und Unkrautvernichtungsmitteln gearbeitet wird und mit ihnen ein alter Bestandteil unserer Natur.

Loki Schmidt und Axel Jahn legen eindrucksvoll dar, dass mit jeder Blüte, die verschwindet, meist auch eine Tierart ihren Lebensraum verliert. Falter finden keine Brutplätze mehr, Vögel, Insekten und Kleintiere können sich nicht mehr von ihren angestammten Wildkräutern ernähren. Der Mensch vernichtet jährlich wertvolle Mitbewohner, die sich über Jahrtausende an diese Lebensräume angepasst haben. Ein wundervolles Beispiel sind hierfür auch die Wiesen, die früher nur ein – bis zweimal im Jahr gemäht wurden, um Heu zu gewinnen. Wer einmal im Frühling über blühende Obstwiesen gewandert ist, wird wohl oder übel nachdenklich. Was zerstört der Mensch?

Appell und Warnung

Natürlich soll der bildhübsche Band mehr als nur informieren und so ist am Ende ein ausführlicher Überblick über die Geschichte und Tätigkeit der Stiftung zu finden inklusive Bankverbindung. Loki Schmidt hat sich sozusagen für ein Werbegeschenk sehr viel Mühe gemacht. ›Die Blumen des Jahres‹ eignen sich ausgezeichnet als überlegtes Geschenk für Naturliebhaber mit dem sanften Appell, künftig doch auch zur Rettung der bedrohten heimischen Blumenwelt beizutragen. Wo er fruchtet, gewinnt die Stiftung Unterstützer oder doch zumindest, wie Siegfried Lenz beweist, Aufmerksamkeit für einen wenig beachteten Lebensraum.

| VIOLA STOCKER

Titelangaben
Loki Schmidt, Axel Jahn: Die Blumen des Jahres
Hamburg: Hoffmann und Campe 2015
232 Seiten, 20 Euro
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