Kein Ort für Gott

Roman | Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen

Der polnische Fernfahrer Radek Malarczyk hat Glück: Als ein Unbekannter seinen VW Bulli, in dem er seit einiger Zeit auf Berliner Parkplätzen übernachtet, in Brand steckt, gelingt es ihm, gerade noch mit dem Leben davonzukommen. Der Journalistin Jette Geppert erzählt er daraufhin im Unfallkrankenhaus eine Geschichte von Schuld und Sühne. Die junge Frau Anfang 30 steckt selbst gerade mitten in einer Krise. Doch das Angebot der Polizistin Romina Winter, sich ihr anzuvertrauen, schlägt sie vorerst in den Wind. Und währenddessen glaubt ein junger Postbote dazu bestimmt zu sein, dem über die Stadt herrschenden Satan mit Feuer entgegentreten zu müssen. Johannes Groschupfs drittem Berlin-Roman gelingt auf beeindruckende Weise das Porträt einer Stadt, in der die Widersprüche unserer Zeit und unserer Gesellschaft wie nirgendwo anders in Deutschland zutage treten. Von DIETMAR JACOBSEN

Jette Geppert ist für ihre Reportagen in der Berliner »Tagespost« zweimal mit dem Theodor-Wolff-Preise ausgezeichnet worden. Menschen vertrauen sich ihr an, selbst jene, die sich jeglicher Kommunikation mit anderen verweigern. Dass ihr Boss die junge Frau deshalb auf den Fall eines polnischen Fernfahrers ansetzt, der fast zum ersten Todesopfer eines die Stadt unsicher machenden Feuerteufels geworden ist, versteht sich deshalb von selbst. Und natürlich spricht auch der Pole Radek Malarczyk, der, nachdem er mit seinem Lkw beim Rechtsabbiegen an einer vielbefahrenen Kreuzung eine Fahrradfahrerin getötet hat, alles verlor und sich mit immer stärker werdenden Schuldgefühlen abquält, mit der Reporterin. Nur eines verschweigt er bei seinem Bekenntnis: Dass er den Mann gesehen hat, der den VW Bulli, in dem er seit dem Unfall übernachtet, in Brand setzte.

Menschen der Großstadt

›Die Stunde der Hyänen‹ ist Johannes Groschupfs (Jahrgang 1963) dritter Berlin-Roman. Erneut zeichnet der 1963 in Braunschweig geborene Autor, indem er das Schicksal einer knappen Handvoll Menschen über einen kurzen Zeitraum verfolgt, das Bild einer widerspruchsvollen Zeit und Gesellschaft, in der jeder Einzelne sich vor Entscheidungen gestellt sieht, die nicht nur ihn selbst betreffen.

Jette Geppert, die erfolgreiche Journalistin, deren Freund Laszlo sie schlägt, weil der erfolglose Autor ihr nicht das Wasser reichen kann, will sich aus dieser toxischen Beziehung befreien. Romina Winter, die strafversetzte Polizistin, die sich über die erfolgreiche Jagd auf einen Brandstifter zu rehabilitieren gedenkt, wird von ihrem Ehrgeiz in die falsche Richtung geleitet. Radek Malarczyk, der schuldig gewordene polnische Kraftfahrer, begreift das Überleben eines Brandanschlags als göttliches Zeichen und begibt sich auf eine groteske Bekehrungstour durch Kreuzbergs Kneipen und Kaschemmen. Und der junge Maurice Jaenisch schließlich, als Postbote in Berlin unterwegs und Halt in einer dubiosen Sekte suchend, ist täglich fester davon überzeugt, dass Satan die Macht über die Welt übernommen hat. Sie alle sind Menschen unserer Zeit, geplagt von Ängsten, getrieben von Gier und sich gleichzeitig nach Erlösung sehnend.

Auf der dunklen Seite

Doch die wird vielen der in die dunkle Romanwelt Johannes Groschupfs verstrickten Figuren nicht zuteil. Nicht dem polnischen Messias mit seinem Bekehrungseifer, der sich am Ende selbst als Satan entpuppt. Nicht den drei über die Sekte »Jünger Jahwes« mit strenger Hand herrschenden älteren Herren, die die Orientierungslosigkeit sich ihnen anvertrauender junger Menschen auf perfide Art ausnützen. Nicht der Mutter, die die Not, in der sich ihr Sohn befindet, verkennt, indem sie ihn noch weiter in seine innere Einsamkeit hineintreibt. Nicht denen, die wegschauen, wenn andere in Not sind, und auch nicht jenen, die um eines winzigen Vorteils willen Verrat an ihren Mitmenschen begehen.

Ihnen gegenüber haben es die um Anstand und Wahrheit bemühten Protagonisten nicht leicht. Ist die junge Polizistin Romina, die man in ein Dezernat versetzt hat, das aus »alten weißen Männern, die nervös werden, wenn da eine Frau dazukommt«, besteht, gezwungen, sich tagtäglich aufs Neue ihrer Haut zu erwehren. Und muss die kein ihr irgendwann begegnendes Gesicht vergessende Journalistin Jette, die es lange Zeit trotzdem nicht versteht, hinter die kalt lächelnden Augen ihres neuen Freundes zu blicken, all ihre Kräfte zusammennehmen, um sich aus dieser fatalen Beziehung zu lösen. Allein für die beiden jüngsten Figuren des Romans, den Postboten Maurice und Britta, das Mädchen, in das er seit Jahren verliebt ist und für das er einen Verlobungsring mit sich herumträgt, der sein ganzes Erspartes gekostet hat, scheint sich am Ende ein neuer Weg aufzutun.

Ein Roman, bestehend aus vielen Geschichten

›Die Stunde der Hyänen‹ ist ein Roman, der aus vielen miteinander auf raffinierte Weise verbundenen Geschichten besteht. Dass nur die wenigsten davon wirklich gut ausgehen, macht seinen Realismus aus. Dass man als Leser von Beginn an von ihm gefesselt ist, seine literarische Qualität. Johannes Groschupf erweist sich mit ihm nach ›Berlin Prepper‹ (2019) und ›Berlin Heat‹ (2021) erneut als ein Autor, der jeden noch so kleinen Winkel der deutschen Hauptstadt zu kennen scheint und ihn in seiner sachlich-nüchternen Sprache in die Welt der Literatur zu überführen versteht. Sich auf gemeinsame Spurensuche mit den Vertretern von Recht und Ordnung begeben, muss sich im Übrigen kein Leser dieses beeindruckenden Buches. Denn die Täter sind von Anfang an bekannt. Und so kann Die Stunde der Hyänen ihre Spannung vor allem daraus beziehen, was zwischen den Figuren und in ihrem Inneren vor sich geht. Und das ist manchmal mehr, als man ertragen möchte.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Johannes Groschupf: Die Stunde der Hyänen
Berlin: Suhrkamp Verlag 2022
265 Seiten. 16 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Das Schlimmste ist nicht die Einsamkeit

Nächster Artikel

Wellen kommen und gehen

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Drei Biedermänner auf dem Weg zur Hölle

Roman | Kate Atkinson: Weiter Himmel

Jackson Brodie hat keine Lust mehr auf die großen, ebenso spektakulären wie gefährlichen Fälle. In einem beschaulichen, an der Nordostküste Englands gelegenen Örtchen ist ihm eher an kleinen Aufträgen gelegen, auch wenn die ihm finanziell nicht unbedingt lange über Wasser halten. Und doch wird Kate Atkinsons Privatermittler, der in Weiter Himmel seinen fünften Auftritt hat, schneller als er denkt wieder in einen Fall hineingezogen, in dem drei Saubermänner mit schmutzigen Westen die Hauptrollen spielen. Von DIETMAR JACOBSEN

Bachmann, Börner, Overkill

Literatur | 39. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Klagenfurt Seit fast vier Dekaden lädt Klagenfurt zum jährlich stattfindenden Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ein und sorgt zuweilen für Skandale, Eclats, literarische Überraschungen. 2015 versprach bereits im Vorfeld, ein starker Jahrgang zu werden, mit erstaunlich vielen Multitalenten und Mehrfachbegabten. INGEBORG JAISER genoss den Vornamens-Bonus und verfolgte das Geschehen vor Ort.

Ready to Rumble/ Ready to Read!

Roman | Eduardo Halfon: Der polnische Boxer Südamerikanische Erzähler erzählen phantastische Geschichten wie Jorge Luis Borges, spielen mit Autobiografie wie Mario Vargas Llosa oder experimentieren mit der Struktur des Romans, wie man es von Julio Cortázar oder Roberto Bolaño kennt. Jetzt ist von Eduardo Halfon, einem Autor aus Guatemala, der erste Roman in deutscher Übersetzung erschienen: Der polnische Boxer – ein Text, der mit etwas unerhört Neuem aufzuwarten scheint. Eine Besprechung von HUBERT HOLZMANN

Eine Art neue Inquisition

Roman | Andrew Brown: Trost Andrew Brown gehört zu jenen Autoren, die es in den letzten Jahren geschafft haben, Südafrika auch als Krimistandort im Bewusstsein der deutschen Leser zu etablieren. Nach Schlaf ein, mein Kind (2009) lässt der während der Apartheid mehrere Male verhaftete 48-jährige Autor in Trost erneut seinen Inspector Eberard Februarie ermitteln. Doch was heißt »ermitteln«? Eher nimmt man teil an einem Sich-Durchkämpfen des Helden durch eine von Korruption und Verrat, Gewalt und Hoffnungslosigkeit geprägte Wirklichkeit. Dass Browns Protagonisten dabei tiefe Wunden geschlagen werden und er sich zunehmend auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod, Gesetz und

Auf nach Hellas!

Roman | Hanns-Josef Ortheil: Die Mittelmeerreise ›Die Mittelmeerreise‹ ist die letzte gemeinsame Erkundungsfahrt des jugendlichen Hanns-Josef Ortheil mit dem Vater. Dieses Seestück changiert zwischen heftigen Stürmen, bildungsbürgerlichen Bemühungen und einer starken Männerwelt. Erste Liebe ist auch im Spiel. So gerät die Tour zum elementaren Katalysator auf dem Weg zum Erwachsenwerden, zu Ortheils ganz persönlicher Odyssee. Von INGEBORG JAISER