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Verfall

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Verfall

Ausweglos.

Ja gut, ausweglos, Farb, doch was hilft es, ständig die Schwierigkeiten zu beschwören.

Schwierigkeiten, schön und gut, der Rückgang der Vielfalt ist aber eine Tatsache, mit der wir umgehen müssen, du kannst sie nicht ignorieren oder stillschweigen, es wird viel geredet, wer viel redet, wissen wir, der redet viel Unsinn, und was bislang real geschah, ist wenig, ein Tropfen auf den heißen Stein, alle wohlmeinenden Versuche, die etablierten Strukturen zu stabilisieren, schlagen fehl, wir können es nicht, die Lage ist ausweglos.

Richtig, so ist es, doch was, bitte, Farb, unternimmst du, gesetzt den Fall, der Himmel stürzt ein, ein langsamer, qualvoller Prozeß, du weißt das, du siehst dem Verfall zu, seitdem er sich anbahnt, anfangs noch Schritt für Schritt, und es ist sinnlos, eingreifen zu wollen, null Einfluß, der Prozeß wälzt sich heran, eine Lawine, vernichtend, niemand hält ihn auf, stellenweise kannst du ihn vielleicht hinauszögern, man wird dir sachkundig erklären, was Rückkoppelungseffekte sind und was exponentielles Wachstum ist, doch das Theater steht lichterloh in Flammen, und du bist Publikum auf einem billigen Stehplatz, einige sitzen komfortabel in der Loge, was wäre dir lieber, Farb, ein Ende mit Schrecken oder ein Schrecken ohne Ende, aber nicht einmal diese Wahl wird bleiben.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Annika blätterte in einem Reisemagazin.

Es wird keinen wirksamen aktiven Widerstand geben, im Gegenteil, das Geschehen trägt autoaggressive Züge, punktuell wird hier und dort ein Brandherd gelöscht, gewiß, doch es lodert überall wieder auf, der Trend ist massiv, ätzender Qualm mischt sich in die Luft, die du atmest, Panik greift um sich, Angstschweiß vor allem bei denen, die eben noch felsenfest davon überzeugt waren, daß sie wüßten, wohin die Reise führt und welche Weiche zu stellen sei.

Farb tat sich einen Löffel Sahne auf und strich sie sorgfältig glatt.

Er überlege, sagte er, was zu tun sei, Rückbau, sagte er, das wäre sinnvoll gewesen.

Not und Elend breiten sich aus, und wo fruchtbares Land war, herrscht Dürre, die Böden sind ausgetrocknet, der Planet, gänzlich entkräftet, ausgebrannt, seiner Schätze beraubt und geplündert, zieht sich zurück vom Menschen, Schritt für Schritt, unaufhaltsam, heruntergewirtschaftet, der Planet liegt im Fieber, er sucht eine Balance, und was sei der Mensch, fragte Tilman, daß er eingreifen könne.

Annika lächelte. Der Planet liegt auf dem Krankenbett, Tilman, er ist erschöpft und nicht mehr in der Lage, dem Leben eine sichere Heimstatt zu bieten, er hat mit sich selbst zu tun und sucht die schmerzhaften Eingriffe seitens des Menschen, sucht die Störfaktoren auszugleichen, sich selbst zu sortieren.

Farb aß ein Stück von der Pflaumenschnitte.

Annika schenkte sich Tee ein.

Tilman griff zu einem Marmorkeks und warf einen sehnsüchtigen Blick zum Gohliser Schlößchen.

Der Mensch? Der Mensch wird davonlaufen, solange er festen Boden unter den Füßen hat, ziellos laufen, und er wird nirgends eine Zuflucht finden, er rennet, rettet, flüchtet, die Infrastruktur, über Jahrhunderte mühsam gewachsen, sie kollabiert, ein Kartenhaus, sieh nur hin, Schritt für Schritt, er greift zu Drogen, er gibt sich auf, keine Chance, nirgends ein Halt, wie der Fisch, der aus sich erwärmenden Regionen der Ozeane flüchtet, eine Dynamik, die sich nicht aufhalten läßt, der Planet verliert die Grundlage, eine Heimstatt des Menschen zu bleiben.

Farb ging in die Küche, Tee aufzugießen, eine Pause entstand.

Der Mensch, sagte er und setzte sich wieder, hat verloren, was bleibt ihm zu tun, er ist am Ende, Jammern und Wehklagen, in Tränen aufgelöst, nun sucht er Trost, das wird ihm bleiben, er bittet um Vergebung, er fleht um Erbarmen, doch geschenkt, wen wird er finden, der ihm vergeben könnte, wer wird sich seiner erbarmen.

Ob er einsieht, Fehler begangen zu haben, fragte Annika, ob das noch zähle und ob es hilfreich sei, eine Umkehr sei ausgeschlossen.

Das spiele alles keine Rolle, sagte Tilman, vorbei, Homo sapiens hat ausgespielt, die Darbietung war höchst unterhaltsam, vielen Dank, der Vorhang fällt.

| WOLF SENFF

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Zufall, nein, sagte er, das sei kein Zufall und ebenso wenig ein Anzeichen von Demenz, es würden falsche Fährten gelegt.

Annika legte ihr Reisemagazin beiseite.

Tilman schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

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Ob das schwer zu verstehen sei.

Gut gefragt, Farb.

Doch sei das nicht jedem bekannt.

Das sollte man annehmen.

Der Mensch müsse sich ändern, Tilman, grundlegend ändern, nicht nur daß er seine Energieversorgung neu gestalte, nein, er müsse sich in seinem Umgang mit dem Planeten neu orientieren, er tue sich schwer damit und habe die Tragweite dieser Umwälzung längst nicht hinreichend verarbeitet.

So wird es sein, Farb.