Wir haben sie alle im Schrank, auf dem Regal, in Dosen oder Streuern: Gewürze, das ist Alltag in der Küche. Aber, wetten: bei ihrem nächsten Gericht, das sie mit Gewürzen schmackhaft machen, werden sie nach der Lektüre dieses Buches ihre Zutaten mit anderen Augen sehen. Von BARBARA WEGMANN
Es sind nur kleine Prisen, manchmal unscheinbare Zutaten, eine Messerspitze, eine Nuance, und doch: sie zaubern aus einer langweiligen Mahlzeit ein Festessen. Gewürze sind aus Alltag, Küche und Speisezettel nicht wegzudenken. Aber was für eine großartige und so lange und überaus spannende Geschichte haben sie? Das geniale Buch entführt in diese Geschichte und beginnt schon im Vorwort mit einer überlieferten Begebenheit aus dem 12. Jahrhundert. Eine in Norwegen lebende Engländerin schreibt ihrem Bruder in Paris einen Brief. Einen Walrossstoßzahn und ein Eisbärenfell schickt sie ihm und erbittet dafür Zimt und Nelken. Das Essen dort oben in der »eisigen Einöde« sei unmöglich, ein wenig Würze täte Not.
Es waren damals die Venezianer, die als wichtigster Importeuer asiatischer Gewürze über lange Handelswege zu Land und Wasser die wertvollen Gewürze bis nach Europa brachten. »Keine andere Handelsware hat so sehr dazu beigetragen, Ost und West, Süd und Nord zu verbinden, wie die Gewürze. Gewürze bilden damit die älteste und am tiefsten reichende Wurzel der Weltwirtschaft.« Dies zeige, dass die Welt schon lange vor unserer Zeit globalisiert war.
Der norwegische Journalist und Autor Thomas Reinertsen Berg erzählt auf faszinierende Weise die Geschichte der Gewürze, ihre globale Bedeutung, schildert ihren Wert und ihre Macht als Handelsware. Dies schafft er in unterhaltender Art und Weise, wenngleich das Gewürz für ein attraktives Layout des Buches etwas arg sparsam verwendet wurde. Das Auge isst schließlich nicht nur mit bei einem gut gewürzten Essen, es liest auch lieber mit dezenten optischen Herausforderungen. Dennoch, die Hintergründe, die Anekdoten aus nah und fern, Begebenheiten aus den »entferntesten Ländern der Erde« schaffen ein buntes, schillerndes Bild zwischen Zimt und Nelken, Kardamom und Muskatnuss, Ingwer und Zimt und vielen, vielen anderen Gewürzen. Es ist ein Geschichtsbuch, illustriert mit vielen farbigen, historischen Abbildungen und Karten, das von Kriegen, Imperien und Kolonialismus erzählt. Es ist aber auch eine Kulturgeschichte über jene in unserem Leben zur Gewohnheit gewordenen kleinen Dinge, die bestimmt nicht für viele Leser einen so ungeahnt fesselnden historischen Hintergrund haben.
Das schafft der Autor nicht nur mit Interesse wachrufender Erzählweise, sondern auch durch eine beeindruckende Recherche, quer durch die Jahrhunderte, quer über den Globus.
Die Ware, die Expeditionen und Seefahrten ins Ungewisse den Antrieb gab, die einst über so lange Handelswege zu uns gelangte, die kriegerische Auseinandersetzungen um das Monopol für Gewürze brachte, sie hatte nicht nur den Zweck Speisen schmackhaft zu machen. Die Gewürze, damals ein Vermögen wert, hatten auch andere Aspekte. »Der Glaube an die heilende Wirkung von Gewürzen reicht mit Sicherheit zurück bis zu der ältesten indischen Heilkunst und ist einer der Gründe für den Wert der Gewürze.« Hinzu komme, so der Autor, dass einige Gewürze als sexuell stimulierend galten und angeblich die Fruchtbarkeit steigerten. Und: »Wer seinen Gästen Gewürze anbieten konnte gehörte definitiv zu den wohlsituierten Bürgern der Stadt.«
Die Kapitel gehen ausführlich ein auf die Geschichte einzelner Gewürze, schildern Land und Kultur, Menschen und Lebensbedingungen. Und gerade die machen klar: Die Gier nach Gewürzen, besonders auch in Krisenzeiten, wie einst die Pest oder heute Corona, sie steigert den Absatz der Gewürze. Zunehmend aber herrschen beim Gewürzhandel keineswegs faire Bedingungen im Anbauland, faire Bezahlung der Arbeitskräfte und faire Preise. Zudem stehen der Anbau der Gewürzpflanzen und die Verarbeitung nicht selten wegen des Gebrauchs von Pestiziden, Zusatzstoffen und Konservierungsmitteln in der Kritik. Große Unsicherheit auch, was der Klimawandel mit dem damit verbundenen Anstieg des Meeresspiegels wohl bringen mag. Damit endet der weite, imponierend recherchierte Bogen über die ausgesprochen begeisternde Geschichte der Gewürze. »Gewürze sind nicht mehr das Statussymbol, das sie einst waren, doch sie bringen noch immer den Duft und Geschmack südlicher Breitengrade auf den Tisch der nördlichen Hemisphäre.«
Im Nachwort gesteht der norwegische Autor, seine Mutter sei der erste Mensch gewesen, der ihm vermutlich Zimt auf den Reisbrei gegeben habe und seine Schwiegermutter koche ausgezeichnet. Dank an Autor und seine Familie, denn das Buch lohnt die Lektüre jeder Seite
Titelangaben
Thomas Reinertsen Berg: Die Geschichte der Gewürze
Genuss, Gier und Globalisierung
Aus dem Norwegischen von Günther Frauenlob, Frank Zuber und Justus Carl
Bern: Haupt Verlag 2023
336 Seiten, 38 Euro
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