//

Brüche, Lücken, Zerfall

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Brüche, Lücken, Zerfall

Der Karttinger werde es recht sein, sagte Wollmann.

Nichts, sagte Nahstoll und winkte ab, kein Problem.

Farb hatte am Vormittag ein Blech Pflaumenkuchen gebacken und tat sich eine Schnitte auf.

Das Haus in der Vendée sei ihre Zuflucht, sagte Setzweyn, ihr Rückzugsort, und es sei absolut verständlich, daß sie peinlich genau achtgebe, wen sie als Besucher einlade.

Sie meide schon das geringste Licht von Öffentlichkeit, sagte Wollmann.

Schwierig, widersprach Nahstoll, ihr Verhalten sei aller Ehren wert.

Wollmann schwieg. Er bedauerte, daß gar nichts, null über den Besuch der Jugendlichen zu ihm nach außen dringe, seit Tagen keine Nachricht, sie hielten sich wohl drei oder vier Tage in der Vendee bei der Karttinger auf, zu fünft oder zu sechst, hatten sicherlich im Garten ein Zelt aufgeschlagen, und Wollmann war diebisch neugierig, hätte gern Details über das Haus erfahren, weshalb würde nichts mitgeteilt, wie ansprechend sei die Innenausstattung, es hieß sie hätten renoviert, und ob sich der Ehegatte einfände, ein Erzählstrang könne sich doch nicht mir nichts, dir nichts stummschalten, jeder Leser habe sein Anrecht auf vollständige Fakten.

So gehe es jedenfalls nicht, sagte Setzweyn entschieden, lächelte, warf einen begehrlichen Blick auf den Pflaumenkuchen und fragte sich, ob nicht Schlagsahne dazu serviert werde.

Nein, sagte Wollmann, und es blieb im Schwange, was er damit zum Ausdruck hatte bringen wollen.

Heute sei einfach nicht sein Tag, bekannte Setzweyn entnervt und war kurz davor, sich zurückzuziehen, was hatte er hier auch verloren, er kümmerte sich doch sonst nicht um diese Geschichten.

Auch Nahstoll drängte es nicht, den Gesprächsfaden aufzugreifen, es sei legitim, fand er, eine Erzählung zu unterbrechen, sogar unmotivierte Sprünge ließe er gelten, was war heute bloß mit Wollmann, er war doch sonst gut verträglich, er lief herum wie falsch Geld, vielleicht daß ihm die Politik so auf den Magen schlug, wer wollte es ihm verdenken.

Farb tat sich einen Löffel von der Schlagsahne auf, die er eben aus der Küche geholt hatte, und verteilte sie sorgfältig über seine Pflaumenschnitte.

Ob er vom Krankenhaus erzählen solle, überlegte jetzt Setzweyn, vielleicht um positive Akzente zu setzen, einige Wochen war es her, und wie es dem Zimmernachbarn ergangen sei, er hatte nichts mehr von ihm gehört, der Nachbar hatte einen Stock mit eisernem Knauf als Gehhilfe, ein nobles Teil, und hielt sich unsicher auf den Beinen, doch sie redeten nicht miteinander, und Setzweyn wußte nicht, weshalb er hier lag, aber zäh war er, verbissen, das Leben ist nicht leicht zu vertreiben, sondern ist selbst nach Kräften bemüht, daß es festhalte am Menschen, doch der Nachbar war ruhelos, er erhob sich zur Unzeit, er tastete sich zur Toilette, wirkte von Tag zu Tag schwächer, orientierungslos, verwechselte Türen, was trieb ihn an, bis er eines Nachts, wie auch anders, stürzte, und das nicht zum ersten Mal, Setzweyn, selbst noch geschwächt, klingelte eilig nach der Schwester, sie half dem Nachbarn auf, eine Tablette stellte ihn ruhig, er lag nicht im Bett am nächsten Vormittag, während Setzweyn entlassen wurde, doch nein, Setzweyn war nicht danach, davon zu erzählen, es würde sich nicht fügen zu dem gehobenen Umgang der Karttinger.

Farb tat sich eine zweite Pflaumenschnitte auf, dazu wieder einen Löffel Sahne.

So gehe es jedenfalls nicht, überlegte Setzweyn, lächelte und warf einen begehrlichen Blick auf den Pflaumenkuchen.

Farb räusperte sich.

Auch die Fahrräder schlügen ihm aufs Gemüt, sagte Wollmann, Motobécane, was das sei, ein Motobécane, pausenlos werde von diesen Motobécane geredet, die Marke werde längst nicht mehr produziert, sei von Yamaha erworben und unter MBK weitergeführt, die jungen Leute seien wohl nur noch mit Rädern unterwegs, und das wie selbstverständlich ohne Helm, sie setzten sich den Gefahren der Landstraße aus, was geschähe wenn unvermittelt ein Citroën auftauchte, Citroën DS, tiefblau, und Arndt könnte mit Mühe ausweichen, stürzte vom Rad und zöge sich eine blutende Schramme zu, was wäre dann, ja was wäre.

Setzweyn zögerte noch, lächelte, überlegte, tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Nahstoll fand, daß Wollmann übertrieb, nein, er war unleidlich, und weshalb tauchte der Setzweyn hier auf, Nahstolls Zwilling, der sich sonst nie in dessen Rahlstedter Villa sehen ließ, wer sollte das verstehen.

Jedenfalls war da ein Bruch im Erzählfluß, eine Lücke, verhärtet und nicht leicht zu überbrücken, das war unbestritten, und die Schilderung der Radtouren leistete keine Abhilfe, darin hatte Wollmann wohl recht, sondern schuf neues Ungleichgewicht, doch was kümmerte sich Wollmann, war das denn sein Problem, und nun tat sich auch Nahstoll eine Pflaumenschnitte auf, es war ausreichend da.

Nahstoll dachte darüber nach, einen kräftigen Ast der Eiche absägen zu lassen, sie warf viel Schatten, und man hatte tagsüber nur wenige Stunden Sonne.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wenn es »wild« zugeht auf dem Teller

Nächster Artikel

Konstanten im Leben

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Demokratie

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Demokratie

Entbehrlich, er ist entbehrlich.

Farb lachte. Verzichtbar.

Die Welt stünde ohne ihn keineswegs schlechter da.

Ohnehin ergeht es ihm miserabel, da greifen auch all seine Versuche nicht, gute Laune zu stiften, ehrlich, er ist überflüssig, und außerdem – was trage er bei zum Wohlbefinden des Planeten, nichts, wer brauche ihn, niemand, er nehme sich vom Kuchen und gebe nichts zurück.

Tilman rückte näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Durchaus sei denkbar, sagte Farb, daß sein Abgang eine befreiende Wirkung hätte, der Planet würde von Zwängen und Knebelungen erlöst, der Tag zum Beispiel dürfte Persönlichkeit entfalten, als ein lebendiges Wesen wahrgenommen werden wie andere auch, er verströmte gute Stimmung unter einem blauen Himmel, er wäre melancholisch unter dunklen Wolken und Regenschauern, neigte zum Zornausbruch unter Blitz und Hagel.

Blut ist dicker

Kurzprosa | John von Düffel: Wassererzählungen Das eisige Wasser der winterlichen Ostsee, ein riesiges Aquarium, ein zweckentfremdeter Gartenteich und ein Kreuzfahrtschiff im Nordmeer sind Kulisse und Schauplatz von John von Düffels prickelnden Wassererzählungen. Wen wundert es da noch, dass der Autor ein passionierter Schwimmer ist? Von INGEBORG JAISER

Lesen und Leben

Kurzprosa | Arche Literaturkalender 2019 Auch in diesem Jahr vereint der alljährlich erscheinende Literaturkalender des Schweizer Arche Verlags unter dem Motto »Lesen und Leben« alte und neue, illustre und weniger illustre Dichter und Literaten.Von BETTINA GUTIERRÉZ

Karttinger 2

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Karttinger 2

Klein liege im Trend, sagte Wollmann, auf kleine Formate umzusteigen, das zeuge von Vernunft, Nahstoll würde ihm zustimmen.

Wo er bleibe, fragte Dörte spitz.

Er sei nie da, das sei doch bekannt, erwiderte ihr Ehemann schroff, sie könne von Glück reden, wenn statt seiner der Bruder auftauche.

Der Zwillingsbruder, korrigierte Dörte.

Jurikats wüßten nicht, wo ihnen der Kopf stehe, dachte die Breytenfels und unterbrach versöhnlich: Sie fahre seit mehreren Jahren nur kurze Strecken.

Auf Fang

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Auf Fang

Sie waren bei Tagesanbruch in die Lagune aufgebrochen, in zwei Schaluppen, Pirelli und Mahorner im Bug, Eldin hatte mit der ersten Harpune getroffen, es wurde ein erbitterter Kampf, die übliche blutrünstige Routine, der Ausguck würde sich an derartige Bilder gewöhnen.