Am Wasser hängt doch alles

Sachbuch | Toni Keppeler und Laura Nadolski: Wasserstress

Wasserstress: Der Titel ist noch milde ausgedrückt für die Lage, in der sich Mexiko-Stadt und seine Bewohner und Bewohnerinnen befinden. Einerseits fehlt hier meist Wasser an allen Ecken und Enden, von sauberem Wasser ganz zu schweigen. Andererseits schüttet es in der Regenzeit oft wie aus Kübeln und es kommt regelmässig zu Überschwemmungen.
Wie es zu dieser äusserst misslichen Lage kam und wer alles Schuld daran trägt, davon handelt ›Wasserstress‹. Gleichzeitig berichtet das Buch ausführlich über einen weiteren Leidtragenden der Wassermisere: den Axolotl (Ambystoma mexicanum) – das Tier auf dem Umschlag des Buchs. Von MARTIN GEISER

Ein Tier mit Jö-Faktor

Zeichnung eines Axolotls, das uns anblicktEs ist ein ganz besonderes Wesen, ein Schwanzlurch und daher mit den Salamandern und Molchen verwandt. Allerdings durchlebt er keine Metamorphose, behält somit zeitlebens Larvenmerkmale wie seine charakteristischen Kiemenäste. Bemerkenswert ist auch seine Regenerationsfähigkeit: Verliert der Axolotl Gliedmassen oder Organe, wachsen diese wieder nach. Sogar Teile des Gehirns oder des Herzens kann der Axolotl regenerieren. Diese Eigenschaft macht ihn seit jeher auch interessant für die Forschung.

Doch das Buch ist nicht nur eine Reverenz an den Axolotl und ein Appell zu dessen Schutz. Denn die Bewahrung der Natur dient gleichzeitig auch dem Menschen. Dies gilt wohl ganz grundsätzlich, auch wenn das gewisse Leute vielleicht anders sehen. Aber in Mexiko-Stadt zeigt sich dieser Sachverhalt besonders deutlich. Und somit ist das vorliegende Büchlein auch eine Mahnung – jedoch nie mit erhobenem Zeigefinger.

Wo ist das Wasser geblieben?

Während bei uns sauberes Wasser stets aus dem Hahn sprudelt, können viele Einwohner von Mexiko-Stadt davon nur träumen. So schildert das Buch in einer kurzen Reportage, wie ein Leben ohne anständigen Zugang zu Trinkwasser aussieht. Die Autoren nehmen uns mit zu Ofelia Silverio, einer Bewohnerin eines Aussenbezirks der Metropole. Sie muss oft mehr als 10% ihres bescheidenen Einkommens für Wasser ausgeben – vieles davon ist nicht einmal direkt trinkbar.

Mexiko-Stadt, so schreiben Keppeler und Nadolski, habe die teuerste Wasserversorgung der Welt. Fast schon verzweifelt sind die Versuche, genug Wasser für die immer noch wachsende Stadtbevölkerung herbeizuschaffen. Eindrücklich, was alles schief gelaufen ist und wie (vermeintliche) Sachzwänge die Lage immer noch verschlimmern. So wird zum Beispiel nach wie vor Grundwasser gefördert, obwohl dadurch im Untergrund Hohlräume entstehen, die den Boden absinken lassen und instabil machen – all das in einem Gebiet nicht weit entfernt von einer Erdbebenzone.

Die Probleme mit dem Wasser haben ihre Gründe in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Dies zeigen unter anderem die im Buch geschilderten Episoden über die Stadtgeschichte. Der Eindruck entsteht, dass Fehlentscheide zum Umgang mit Wasser sich wie ein roter Faden durch die Geschichte ziehen, seit die Spanier unter dem Raubritter Hernán Cortéz die Stadt Tenochtitlán 1521 eroberten und danach auf deren Trümmern die Hauptstadt Neuspaniens gründeten.

Aus Fehlern lernen?

Während Tenochtitlán noch inmitten eines grossen Sees lag, der wiederum Teil eines noch grösseren Seen-Systems war, findet man heute nur noch ein paar Reste jener grossen Wasserfläche. In den Jahrhunderten nach der Stadtneugründung haben die Menschen mit Kanälen und Dämmen das meiste Wasser abgeleitet und so die Gegend ausgetrocknet.

Doch auch die Überbleibsel der einst grossen Seen – gleichzeitig der Lebensraum der letzten Axolotl – sind gefährdet. Dies durch Abwasser aus der Stadt, Müll, Pestizide aus der Landwirtschaft, invasive Arten und nicht zuletzt den Klimawandel. Letzterer macht Extremsituationen wie Hitzewellen mit lang anhaltender Trockenheit sowie sintflutartige Regenfälle noch wahrscheinlicher. Es wird nicht einfach dem Axolotl (und dem Menschen) in Mexiko-Stadt eine Zukunft zu bieten.

Vielleicht hilft es dem Axolotl, dass er ein so putziges Kerlchen ist und ein mexikanischer Sympathieträger. Damit fungiert er als Flaggschiff-Art – also als Spezies, dank der den Menschen einfacher vermittelt werden kann, wie wichtig der Erhalt ihres Lebensraumes ist.

Doch was in Mexiko passiert, ist kein Einzelfall. Klimawandel und Artensterben betreffen den ganzen Globus. Es ist wohl eine Frage der Zeit, bis auch bei uns »Wasserstress« herrscht. Sollte es Menschen geben, die meinen, wir könnten auf die eine oder andere Tierart wie den Axolotl gut verzichten, so dürfte doch ein breiter Konsens darüber herrschen, dass Wasser lebenswichtig ist.

| MARTIN GEISER

Titelangaben
Toni Keppeler und Laura Nadolski: Wasserstress
Noch sind Mexiko-Stadt und der Axolotl nicht verloren
Zürich: Rotpunktverlag 2025
189 Seiten, ca. 25 Euro/CHF
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Matrone der Schöpfung

Nächster Artikel

Ein Symbol für Freiheit, Flucht und Hoffnung

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

Ins rechte Licht gerückt

Sachbuch | Émilie Zangarelli: Babys fotografieren

Ein Wunder sind sie allemal, eigentlich benötigen sie weder besonderes Licht, eine besondere Umgebung oder Dekoration und Hintergrund: Babys schaut man unweigerlich an und mag den Blick nicht mehr abwenden. Aber: dass die kleinen Erdenbürger auch eine fotografische Herausforderung sind, das zeigt dieses wunderbare Buch aufs Feinste. Von BARBARA WEGMANN

Revolution X

Sachbuch | Wael Ghonim: Revolution 2.0 Versionsbezeichnungen bei Revolutionen liegen im Trend: Nach dem Buch ›Revolution 3.0‹, das Porträts und Stimmen von Online-Aktivisten bündelte, folgt nun ›Revolution 2.0 – Wie wir mit der ägyptischen Revolution die Welt verändern‹. Der Autor Wael Ghonim schildert darin seine Rolle als Facebook-Aktivist während des Sturzes des Machthabers Hosni Mubarak. Der Titel des Buchs wirft unweigerlich drei Fragen auf: Was ist aus der Revolution 1.0 geworden? Welche Rolle spielten die »Neuen Medien« während des Umsturzes tatsächlich? Und welchen Einfluss auf die Welt kann die ägyptische Revolution haben? Antworten auf diese Fragen hofft JÖRG FUCHS in

»Was machen wir aus unserem Leben? «

Menschen I Der Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll

Sie sind zwei der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts: Ingeborg Bachmann und Heinrich Böll. Sie waren auch persönlich miteinander befreundet. Über diese Freundschaft ist jedoch nur wenig bekannt. Nun liegt der gemeinsame Briefwechsel vor, der lange unter Verschluss gehalten wurde: ›Was machen wir aus unserem Leben?‹ 122 Briefe sind es, 58 von Bachmann und 64 von Böll. Den ersten davon schrieb Bachmann im Dezember 1952 an den »lieben Heinrich«; er war die Antwort auf einen (verlorenen) Brief Bölls, mit dem dieser den Briefwechsel eröffnete. Vielleicht bedankte er sich darin bei Bachmann für eine Rezension seiner Erzählung ›Der Zug war pünktlich‹ in der österreichischen Kulturzeitschrift ›Wort und Wahrheit‹. Von DIETER KALTWASSER

Wenn ein Kochbuch zum Kunstwerk wird

Sachbuch | Magic Food

Eine sicher seltene Kombination: ein prachtvoller Bildband, der sich als wunderbares Kochbuch entpuppt; eine Geschichte davon, dass man mit der richtigen Ernährung auch gesund werden kann und ein Buch voller kulinarischer Schätze. BARBARA WEGMANN ist begeistert.

Klimawandel für Einsteiger

Jugendbuch | Jana Steingässer: Paulas Reise oder Wie ein Huhn uns zu Klimaschützern machte Warum legt Emma, das Zwerghuhn, ausgerechnet im Dezember ihr allererstes Ei. Jeder der Hühner hat, weiß doch, dass das gar keinen Sinn macht. Und weil diese Frage die ganze Familie Steingässer beschäftigt, gehen sie der Sache auf den Grund. Von ANDREA WANNER