Natur, Kultur, Geschichte, Ruhe und Inspiration

Reise | Barock und Moderne in Ottobeuren

Oberschwaben ist reich an barocker Architektur, doch im Kneipp-Kurort und Heimatort Sebastian Kneipps, in Ottobeuren im Unterallgäu, ganz nah der überaus sehenswerten Stadt Memmingen, da scheint die Kunst des Barock regelrecht zu kulminieren: Hier entstand im 8. Jahrhundert ein Benediktinerkloster, das später zur Reichsabtei erhoben wurde. In der Barockzeit blühte das Kloster auf und wurde ab 1711 neu errichtet – die Klosterkirche in ihrer basilikalen Anlage entstand von 1737 bis 1766. MARC PESCHKE war dort.

Eine große Klosteranlage mit Kirchturm aus der Luft fotografiert. Am Horizont sind Berge zusehen.

»Allgäu für die Sinne« gibt es hier zu erleben, denn die Barockkunst spricht alle Sinne an. Ottobeuren, immerhin schon auf 660 Metern, liegt an der Ostroute der Oberschwäbischen Barockstraße. Das Kloster, ein für die Kleinheit des Städtchens riesiger, prägender Bau, ist nicht der einzige Ort der Kultur, der uns hierher gebracht hat: Das 2014 eröffnete Museum für zeitgenössische Kunst – Diether Kunerth zieht viele Liebhaber aktueller Kunst an.

Doch zuerst schlendern wir durch den mächtigen Klosterkomplex, der in seiner schieren Größe von der Macht und Bedeutung des Klosters erzählt. Die spätbarocke Basilika mit den Stuckarbeiten von Johann Michael Feuchtmayer dem Jüngeren, dem hervorragenden Chorgestühl und dem romanischen Kruzifix, der Kaisersaal (der derzeit renoviert wird), der Theatersaal, die Klosterbibliothek mit den Stuckdecken von Johann Baptist Zimmermann – all das sind Zeichen einer kulturellen Blüte zur Barockzeit, die das Allgäuer Voralpenland bis heute prägt.

Das 2023 neu eröffnete, überaus fein gestaltete Klostermuseum stellt die Geschichte des heute im Besitz Bayerns befindlichen Klosters vor. Mit Hör-, Riech- und Taststationen ist das Museum ein Erlebnisort für alle. Die Baugeschichte und das Leben im Kloster stehen im Fokus, die man ganz klassisch entdecken kann – oder auch als Audioguide via App.

Eine weibliche Statue in einem barock geschmückten Saal. In den Fensternischen stehen raumhohe Bücherregale gefüllt mit alten Büchern.

Teil des Museums ist auch die Staatsgalerie, eine Zweiggalerie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die Gemälde der Spätgotik präsentiert – hochkarätige Arbeiten, Altartafeln oberschwäbischer Meister aus ehemaligen Stiftsbeständen, darunter etwa ein um 1450 entstandenes Gemälde des Meisters der Ottobeurer Marientafel oder auch Werke von Giovanni Battista Pittoni und von Johann Georg Bergmüller. Die Galerie ist mit 37 Exponaten eine der kleinsten Filialen der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, aber sie verfügt über eine unbedingt sehenswerte Sammlung echter Schätze des späten Mittelalters aus dem Allgäu und aus Schwaben.

Bunte Bilder hängen an einer Wand in einem Museum. Davor ist eine kleine Bank.Sprung in die Gegenwart, nur wenige Schritte entfernt: Das Museum für zeitgenössische Kunst – Diether Kunerth ist der jüngste Beleg einer langen Geschichte von Kunst und Kultur in dieser Region. Es ist ein echter Kontrapunkt zur barocken Pracht! Auf 2000 Quadratmetern ist hier die Kunst Diether Kunerths zu sehen – in einem von dem Stuttgarter Architekten Fabian Lohrer entworfenen Gebäude, das mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet wurde. Geleitet wird das Museum von Markus Albrecht, dem Zweiten Bürgermeister von Ottobeuren.

Es gibt hochkarätige Sonderausstellungen, wie aktuell die fröhlich-farbenfrohe ›Tütenkunst‹ von Thitz bis 5. Oktober, aber immer wieder wird auch die Kunst des Namensgebers Diether Kunerth in neuen Facetten gezeigt. 1940 geboren und 2024 verstorben, schuf er in Ottobeuren, jenseits der großen Metropolen, sein Werk aus Malerei, Fotografie, Skulptur und Grafik.

Bis 12. April 2026 zeigt das Museum Diether Kunerths Werke der 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahre. Werke, die vor allem auf Reisen entstanden sind, wie der Künstler selbst sagte: »Den Eindrücken, die ich auf meinen vielen Reisen gewonnen habe, verdankt meine Malerei das Meiste.« Das von der Marktgemeinde Ottobeuren getragene Museum ist ein Ort der Kunst und Kultur. Es finden hier auch Konzerte statt – und das alles in einer überaus lieblichen, hügeligen Voralpenlandschaft, die Kunerth dem Kunstbetrieb der Metropole München vorzog, wo er in den 1960er-Jahren studiert hatte.

Musik gibt es auch in der Basilika zu hören. Die ›Basilikamusik‹ präsentiert hier in Ottobeuren ganz große Orchester und Konzertabende – und auch die kulinarische Kultur kommt nicht zu kurz: Am Fuße der Klosteranlage liegt der Marktplatz mit der Touristeninformation im Haus des Gastes und verschiedenen Wirtshäusern, die klassische Allgäuer Küche anbieten.

Am westlichen Rand des Ortes finden wir das kleine, gepflegte Kurgebiet mit Kneipp-Kurkliniken und -sanatorien. Die Gesundheitslehre Kneipps ist das Leitmotiv des wunderschön gelegenen »Kneipp-Aktiv-Parks«. Man kann hier auf Schautafeln Kneipps Lehre, die auf fünf Säulen beruht (Wasser, Bewegung, Heilpflanzen, Ernährung, Balance) studieren – und zum Teil auch direkt praktizieren.

Und so kommt hier in Ottobeuren vieles zusammen: Die Kunstgeschichte, die aktuelle Kunst, die klassische Musik, die Spiritualität mit der inzwischen mehr als 1250-jährigen, klösterlich-benediktinischen Tradition, eine beschauliche, einnehmende Natur und – mit der Tradition Sebastian Kneipps – auch die Gesundheit. Man kann hier herrlich wandern und Rad fahren, beispielsweise auf einer schattigen Fußrunde durch den Ottobeurer Bannwald, begleitet vom Plätschern des lauschigen Motzabächles, oder mit dem Rad auf der ›Glücksfluss-Etappe‹ im Illerwinkel. Karten und Infomaterial – etwa zu den ›Glückswegen Allgäu‹ – sowie der ›Top 10 Guide‹ mit je fünf Wander- und Radtouren-Tipps sind in der Touristeninformation erhältlich. Jetzt im Sommer kann man sich vortrefflich in verschiedenen, ganz nahe gelegenen Badeseen abkühlen – oder natürlich in den vielen Kneipp-Becken der Gegend.

Eine Säule in eineim Park vor Bäumen. Die Säule steht in einem Blumenbeet und trägt eine Bronzeantzlitz Sebastian KneippsPfarrer Sebastian Kneipp wurde 1821 in dem winzigen Dorf Stephansried geboren, das zu Ottobeuren gehört. Auch hier gibt es natürlich eine Wassertretanlage, die auch Dorf-Treffpunkt ist – und ein Denkmal, das an den weltberühmten »Wasserdoktor« erinnert. Er erfand das »Kneippen« in der eiskalten Donau. Sein Gesundheitskonzept, das er später im nahe gelegenen Bad Wörishofen entwickelte, soll den Stoffwechsel aktivieren, den Kreislauf anregen, die Durchblutung verbessern und kann das Immunsystem positiv beeinflussen. In jedem Fall ist es überaus angenehm, sich beim Kneippen im Sommer die Beine oder Arme zu kühlen!

Der Sommer hier ist herrlich. Natürlich auch für Campingtouristen, die auf dem idyllischen, neu gebauten Campingplatz mit 85 Plätzen am Ortsrand von Ottobeuren von Sabine und Clemens Vollmar herzlich aufgenommen werden. Auch Golfer kommen in Ottobeuren auf ihre Kosten und spielen auf dem 18-Loch-Platz des ›Allgäuer Golf und Landclub e.V.‹ mit schönstem Blick auf die Basilika.

Im Winter, wenn die Schneeverhältnisse stimmen, kommt als weiterer sportiver Genuss-Faktor noch der Langlauf mit gespurten Loipen dazu – unweit der Alpenkette, die aus der Ferne grüßt. Viele Ausflugsziele wie Memmingen, Kaufbeuren, Mindelheim, Kempten, Füssen, Lindau, München, Augsburg oder Ulm machen einen Urlaub in Ottobeuren auch für längere Aufenthalte interessant.

Auf einer Anhöhe in einem Wiesenfeld steht, vor einem Wald, eine kleine sechseckige Kapelle mit rotem Dach.Doch wir wollen gar nicht weit weg und genießen die Tage in Ottobeuren mit seinem so besonderen Flair, seiner Mischung aus Natur, Kultur und Geschichte, Ruhe und Inspiration. Diese finden wir auch in der Erich Schickling Stiftung – einer Begegnungsstätte von Kunst und Religion: Man sieht den weißen Glockenturm schon von Weitem, wenn man über den Weiler Eggisried hinunter ins stille Günztal fährt. Besser noch nähert man sich zu Fuß: Die wunderbare, 13,6 Kilometer lange Wanderung ›Glücksheimat-Runde‹ führt von Ottobeuren hierher (und dann weiter über die Abtei Klosterwald und Stephansried ins Hundsmoor). Das ganz mediterran anmutende Ensemble mit Gebäuden, Hauskapelle, Park und Gärten könnte auf einer Baleareninsel angesiedelt sein und ist schönerweise von April bis Oktober für Besucher zugänglich – die Ausstellungsgebäude sind nicht immer geöffnet, aber mit sonntäglicher Führung besuchbar.

Der Künstler Erich Schickling (1924–2012), der für seine Glasfenster und Wandmalereien in Kirchen bekannt geworden ist, hat hier gemeinsam mit seiner Frau Inge gelebt und gearbeitet. Ein Ort der Begegnung ist entstanden: Immer wieder finden Veranstaltungen statt. Es gibt Bildmeditationen, Hauskonzerte und Lesungen. Und es gibt frei laufende Pfauen – deren schillernd-bunte Schönheit sich in der Kunst Schicklings, die von Matisse und Picasso beeinflusst ist, auf das Schönste wiederholt.

Ölgemälde, das eine Frau zeigt, die an einem Tisch ein Buch liest. Auf dem Tisch steht ein großer Blumenstrauß.

Es ist ein ganz besonderer Ort. »Mir ist wichtig«, so Schickling, »den geheimen Sinn, der in uns angelegt ist, durch die Malerei zu erhellen. Unmittelbar ist immer wieder das Glas das Medium, welches mich fasziniert, nicht Abbilder zu schaffen, sondern im Gleichnis des Transzendenten in mir und in allem innezuwerden.« Seine Glaskunst ist in vielen Kirchen Bayerns und auch an anderen Orten Deutschlands zu finden, aber auch ganz nah, nämlich in der Krypta der Basilika in Ottobeuren. Hier endet unsere Reise ins untere Allgäu, an einen ganz besonderen Ort.

| MARC PESCHKE

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