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Die Dunkelheit unterm Zucker-Candy – Teil I

Thema | Germany’s Next Topmodel

JAN FISCHER hat die erste Folge der neuen Staffel Germany’s Next Topmodel mal gründlich auseinandergenommen. In seinem großen, dreiteiligen Essay findet er unter der bunten Candy-Verpackung der Sendung eine saubere Erzählung von der Dunkelheit am Rande der Stadt.

Laufen lernen ist schwer. Bild: Jean-Christophe Destailleur / CC BY-SA 3.0
Jean-Christophe Destailleur / CC BY-SA 3.0

»Die Boobs stehen in Konkurrenz zum Kopf«
– Wolfgang Joop

»Hier die kleine Nachtkritik zum Staffelstart von ›Germany’s Next Topmodel‹. Morgen gibt’s dann wieder richtige Nachrichten, versprochen!«, so leitete die Hannoversche Allgemeine Zeitung den ersten Artikel zur Auftaktfolge der neuen Staffel GNTM auf Facebook ein. Der Tagesspiegel gibt sich lässig und veranstaltet eine eher ratlose Live-Rezension. Die Süddeutsche ist betont kritisch. Die alte Tante Zeit bemüht sich um Ernsthaftigkeit, spricht Kritikpunkte an der Sendung an, abwägend, behäbig, aber immer mit schrägem Seitenblick.

Niemand aber – und das ist schade – kümmert sich um die Geschichte. Um die Erzählung, die da auf dem Bildschirm passiert. Die Rezensenten interessiert eher, sich über das Format lustig machen oder aus der gütigen Distanz des politischen Medienfeuilletons zu betrachten – also eher, darüber zu stehen, nicht, sich mitten hineinzustürzen in den Dreck. Wo nun aber die Geschichten nun einmal interessanter sind.

Stellen wir uns also einmal vor, nur ganz kurz, als Experiment, dass alle Menschen, die an GNTM beteiligt sind, wissen, was sie tun.

Dass diese ganzen Aufnahmeleiter, Autoren, Lichtmenschen, Kabelträger, Regisseure, Juroren, Kandidatinnen kluge Menschen sind, die zusammenarbeiten, um eine Geschichte zu erzählen. Dass die Geschichte, die sie versuchen uns als Zuschauern zu erzählen formal und inhaltlich genau die Geschichte ist, die sie erzählen wollen. Zugegeben, nach allem, was man über Produktionsprozesse weiß, an denen mehr als ein halber Mensch beteiligt ist, ist das nicht sehr wahrscheinlich. Aber nehmen wir einmal an, das Ergebnis käme dicht an etwas dran, was sich kluge Menschen gedacht haben, wie es auszusehen hat. Und wenn es jemand gebaut hat, kann man es auch auseinanderbauen, um zu sehen, was drin steckt.

Aschenputtel in rosa High-Heels

Bauen wir also auseinander: Im Prinzip besteht diese erste Folge aus zwei Teilen (das Casting und die ersten Schritte in Singapur), die sich thematisch und motivisch größtenteils decken: Körper und Konkurrenz wären die zwei großen Themen, um die alles kreist, angereichert mit kleineren Motiven wie Essen, verschiedene Körperteile (Bauch, Beine, Brüste), Gegenstände, in denen sich Anerkennung ausdrückt – im zweiten Teil sind das die bekannten Fotos, die Heidi wie üblich hat oder nicht hat. Im ersten Teil sind das rosa High Heels – zwei bedeuten, die Kandidatin ist eine Runde weiter, einer bedeutet, sie ist vielleicht weiter, keiner bedeutet Tränen.

Die High Heels übrigens sind ein wunderbares Motiv, das gleichzeitig auf Aschenputtel rekurriert, eines jungen Mädchens also, dass auch mit Hilfe ihrer Schönheit (und schöner Kleider) in ein anderes Leben flüchten wollte – Wolfgang Joop hätte Aschenputtel wahrscheinlich keinen Schuh gegeben und ihr vorgeworfen, dass sie es mit dem »Aufdonnern« übertreibt. Gleichzeitig symbolisieren die Schuhe aber auch die die ersten Schritte ins neue Leben, das die Kandidatinnen sich erhoffen – dies sind deine neuen Schuhe, darin läufst du nun, oder du bleibst auf der Strecke.

Scheiternde Heldinnen

Die vergangenen Staffeln von GNTM waren Erzählungen von Helden- bzw. natürlich Heldinnenreisen – die Heldinnen verließen ihren Alltag, um an sich selbst und den Herausforderungen in ihrem Weg zu wachsen, und um an Ende mit dem Preis zurückzukehren, wie Bilbo oder Luke Sykwalker: älter, weiser, besser, was auch immer das im Einzelfall heißen mag. Die neue Staffel bezieht – im Gegensatz zu den letzten – konsequenterweise auch in kleinen Einspielfilmchen den ersten Teil eines traditionellen Heldenquests mit ein: Den Ruf zum Helden durch einen Mentor.

Heidi entscheidet sich für die klassische Rolle einer aus einer anderen Sphäre herabgestiegenen gütigen Mutterfigur und holt eine Kandidatin aus dem – wirklich wahr – Waisenhaus ab. Thomas Hayo mimt eine weitere klassische Figur, den trickreichen Götterboten, der sich in Verkleidung unter die Menschen wagt und nur von der Auserwählten erkannt wird, und auch dann nur, wenn er es will – einmal in Cowboyverkleidung auf einem Bauernhof, einmal als Karten kloppender bayerischer Stammtischgast. Wolfgang Joop holt übrigens leider niemanden von zu Hause ab, müsste aber im weiteren Verlaufe der Staffel sich dann aber in dieser Staffel zu einem väterlichen Mentor entwickeln – so eine Art gelifteter Aquarell-Obi-Wan.

Neue, frische Erzählung

Das Spannende – und wirklich Interessante – daran, wie diese alte Geschichte der Heldinnenreise erzählt wird, ist, dass wir nicht wissen, wer die Heldin ist – das ist eine Variante der Geschichte, die es nur selten gibt. Wir folgen nicht nur der Hauptfigur. Wir sehen auch, wie diejenigen scheitern, die es nicht zur Hauptfigur schaffen.

Es könnte jede sein. Die mit der Zahnspange. Die mit den Locken. Die mit Tattoo (Namen werden erst in den späteren Folgen wichtig). Eine kehrt mit dem Preis heim. Die anderen bleiben auf der Strecke. Die drei Einspielfilmchen stehen stellvertretend für den Aufbruch jeder Einzelnen aus dem normalen Leben – und gleich im ersten Teil zerknallen die Heldinnenträume an der ersten Herausforderung. Und das ist auch das, wo die wirklich tollen Geschichten verborgen liegen: Wie jemand ein Held wird, haben wir schon tausendmal gesehen. Wie jemand keiner wird, das ist eine neue und frische Erzählung, da irgendwo im Kern der hohl anmutenden kunterbunten Glitzerbonbonwelt von GNTM. Gleichzeitig aber auch die brutalste, tragischste Erzählung der Sendung, ihr eigentlicher dunkler Kern.

| JAN FISCHER

Lesen Sie im nächsten Teil des dreiteiligen Essays: Wie die Kandidatinnen an ihren eigenen Träumen scheitern. Und wie Heidi mit Dönern gegen Drachen kämpft.

Lesen sie heute abend bei @TITEL_Kulturmag, wie unser Autor Jan Fischer die Sendung ab 20:15 live begleitet.

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