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Drei Gedichte

Kalendernotiz

Ein Kribbeln in der linken Hand,
als wollte sie mir sagen,
daß der Bruch nicht ausgeheilt ist
und das Gelenk nicht belastbar,
daß ich mich auf nichts verlassen kann.

Was tut sich in den Sehnen, woher
kommen die Verspannungen,
was geht in den Fingerspitzen vor
mit ihrem tauben Gefühl,
warum haben sie keinen Spürsinn?

Als ich damals den Halt verlor
und in die Tiefe stürzte:
War das nur ein Riß durch den Tag
mit schneller Wiederherstellung
oder dauert alles noch an?

Da war der Begriff Fallhöhe
plötzlich unterlegt mit Anschauung,
der Unterschied zwischen oben
und unten trat vor Augen
wie eine klare Erkenntnis.

Blick in meine Werkstatt

Wo die Worte geschliffen werden
und die Verse zugespitzt,
damit sie genauer sitzen,
überall liegt Material,
Beschriebenes, Klebstoff, Stifte.

Auf dem Tisch feiner Abrieb,
der von zu groben Wörtern
runter mußte, Kommata,
weil sie nicht richtig saßen,
dazu dürre Sprachhülsen.

Zu Boden gefallen Stoff,
der sich nicht verwandeln ließ
beim schreibenden Zugriff,
und ein kleines Liebesgedicht,
dem es an Erfahrung fehlte.

Fingerübung

Damit sie gelenkig bleiben
und die formbaren Wörter
hinschreiben wie aus einem Guß,
ihnen den Weg in die Zeilen
bahnen, zuweisen ihren Platz.

Sie brauchen die tägliche Übung
wie beim guten Klavierspiel,
müssen gedehnt und gespreizt werden
und immer im Training bleiben
mit der sperrigen Sprache.

Keine Ermüdungserscheinung,
kein Mangel an Elastizität,
die Finger müssen geknetet
werden durch neue Anforderung,
durch die Anspannung des Schreibens.

Wie beweglich sie immer sind,,
wenn ihnen ein ganz neues Wort
zuströmt durch den ganzen Körper
und vordringt in die Fingerspitzen
durch einen ganz frischen Impuls.

| PETER ENGEL

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