Interview | Japan Film-Fest Hamburg: Kotaro Ikawa (Tokyo/Lovers, Japan 2013)
Der Film ›Tokyo/Lovers‹ entspricht nicht den im Westen geläufigen Genres japanischen Filmemachens. WOLF SENFF sprach mit Regisseur Kotaro Ikawa über Genrekonventionen, Poesie und Atomkraft.
TITEL kulturmagazin: Was sich mir nach Ihrem Film, Herr Ikawa, als Frage spontan stellt: ›Tokyo/Lovers‹ ist kein Yakuza-Film, kein Samurai-Film, kein Anime – was ist das charakteristisch Japanische an Ihrem Film?
Kotaro Ikawa: In Japan ist es nicht leicht, einen Film zu produzieren, wenn die Felder nicht genau definiert sind. Deshalb fällt ›Tokyo/Lovers‹ aus den Klischees der Genres heraus. Ich mag sehr gern Samurai-Filme, aber auch gern Yakuza- oder Anime-Filme, und so wie es schon gesagt wurde, ist es bei der Produktion wichtig anzugeben, in welchen Feldern man sich bewegt, und dahinter stehen ökonomische Gesichtspunkte.
Das Leiden unter Alltäglichkeit
Das ist jedoch nicht ausreichend für mich, ich möchte meine eigenen Ansprüche geltend machen, und was meiner Persönlichkeit entspricht, möchte ich filmisch umsetzen, und das war in diesem Fall ein Film wie dieser, der sich in die genannten Genres nicht einordnen lässt.
Ist es ein Film über Männer und Frauen, also über Liebesbeziehungen?
Ja, zunächst ja, einverstanden.
Und es gibt kein Happy-end?
Das ist eine schwierige Frage. Sicher gibt es das, sagen wir, normale Paar, in dem die Beziehung nach dem üblichen Standard verläuft und beide leiden selbst unter dieser Alltäglichkeit und versuchen etwas zu verändern, aber ihnen fehlt die Kraft dazu.
Der Kopf darf nicht schlafen
In ›Tokyo/Lovers‹ lasse ich vieles offen, gerade zum Schluss hin, die Zukunft dieses Paares ist eher ungewiss, und ich habe durchaus eine positive Perspektive, dass ich frage, wo sie in zehn, zwanzig Jahren sein mögen. Ich halte nicht für ausgeschlossen, dass eine solche Beziehung sich als sehr stabil erweisen kann
Der Film selbst ist ebenfalls eher ungewöhnlich, er hat eine durchaus charmante Qualität, er hat wunderschön lange Szenen, in denen keine Dialoge stattfinden. Das ist für den gängigen europäischen Standard sehr ungewöhnlich.
Einen Film wie ›Tokyo/Lovers‹ gibt es auch in Japan nicht eben oft. Es ist filmtechnisch bekannt, dass man das Geschehen rafft, abkürzt, versetzt, auch eine Szene unvermutet abbricht, verschiedene Abläufe ineinander verschachtelt, und mir ist klar, dass ein Zuschauer vielleicht ab und zu dem Geschehen mit einem gewissen Unbehagen folgt, weil Zusammenhänge verkürzt sind, und dass es manchmal dauert, bis sich ein Zusammenhang im Kopf einstellt, das geht mir nicht anders, wenn ich Filme sehe.
Die Brüche im Übergang von Szene zu Szene verlangen nun einmal vom Zuschauer, dass er den eigenen Kopf zuhilfe nimmt. ›Tokyo/Lovers‹ ist ein sehr überzeugend und zurückhaltend entwickelter Film.
Yoga im Park
Ich schaue mir auch selbst viele Filme an, das ist eine durchaus kreative Tätigkeit, denn es ist ja nicht nur, dass man passiv etwas empfängt, sondern damit ist auch die aktive Tätigkeit verbunden, die eigenen Gedanken werden angeregt, sie arbeiten. Man soll das nicht kleinreden.
Ich erinnere mich an eine ausführliche Szene, in der der Mann im Park Yoga-Übungen macht, tanzt. Kann man das interpretieren? Es ist eine ungewöhnlich lange Szene.
Sie meinen, als Zuschauer?
Ja, was denkt sich der Zuschauer dabei?
Die Frage sollte man an den Zuschauer stellen. In dieser Szene geht es ja um den Mann, den Tänzer, der eigentlich nicht tanzen kann, und er ist auch nicht sehr gewandt im Sprechen, und aus dieser Folge von Unfähigkeiten entsteht bei ihm eine Frustration, und das wiederum ist in die Form von Bewegung übertragen. Das ist sein individueller innerer Drang, er möchte sich bewegen, sich frei, befreit bewegen.
Vom Tanzen und von Musik
Dabei möchte er sehr gerne dieses Tanzen gerade und direkt zum Ausdruck bringen, ohne Absicht dahinter, das ist seine persönliche Begabung.
In Ihrem Film spielt Musik ebenfalls eine wichtige Rolle.
Kakushi sind eine Gruppe, mit der ich privat eng befreundet bin, ich hoffe das habe ich in Tokyo/Lovers auch zum Ausdruck gebracht. Ein Mitglied der Gruppe hat in einem früheren Filmprojekt mitgearbeitet, gemeinsame freundschaftliche Arbeit ist für mich eine wichtige Voraussetzung, das Musikstück ist eine eigene Produktion der Kakushi, die für den Film gesondert bearbeitet wurde.
Mag mag diese Privatheit und freundschaftliche Atmosphäre in Tokyo/Lovers wiedererkennen, aber der Film ist ja keinesfalls darauf reduziert, und nicht einmal auf die Liebesbeziehung.
Erstmal war’s nur ein Beben
Die Szenen der Fukushima-Demonstrationen in Tokyo verleihen ihm eine eminent politische Aussage.
Als das Unglück am 11. März geschah, saß ich im Zug. Der Zug war auf einer Brücke, er stoppte unvermittelt und es wackelte unaufhörlich. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie es war, das hielt zwei volle Stunden lang an, lustig war das nicht. In diesem Zug saß eine ältere Dame, die sich an das Bombardement Tokyos vom 10. März 1945 erinnerte, sie erzählte davon, und natürlich muß man dann auch an solche Erinnerungen denken.
Anschließend konnte ich nach Hause gehen, und die Menschen, die ich sah, die meisten von ihnen Angestellte, waren ebenfalls auf dem Heimweg. Nein, zu diesem Zeitpunkt sprach noch niemand über Fukushima, niemand wusste von den weitreichenden Dimensionen, es war zunächst wirklich und ausschließlich ein sehr starkes Erdbeben. Und in den Gesichtern las man sogar freudige Spannung, vielleicht können Sie das nachvollziehen, dass so etwas eine anregende Spannung hervorruft.
Aber ›Tokyo/Lovers‹ zeigt doch Szenen von den Fukushima-Demonstrationen, und das ist doch eher weniger spannend und anregend.
Sicher, in dieser unmittelbaren Situation des Erdbebens dachte ich zunächst auch, diese angespannten Gesichter, wie ich sie im Zug sah, wiederzugeben, meine Gedanken beschäftigten sich bereits mit einem Drehbuch.
Vom trügerischen Schleier der Normalität
Da kam aber schon am folgenden Tag die Nachricht von Fukushima, wir haben auf einmal nichts mehr im Supermarkt bekommen, und dann fiel der Strom in Teilen Tokyos aus, Tokyo war plötzlich ganz ganz dunkel, so wie es niemand jemals erlebt hatte. In dieser Situation begann ich mein Drehbuch zu schreiben.
Deshalb verstehe ich persönlich Ihren Film als einen politischen Film gegen jede weitere Nutzung von Kernenergie, und politisch ist er auch deshalb, weil er neue Formen partnerschaftlichen Zusammenlebens von Mann und Frau entwirft. Ich gebe zu, das mag eine europäische, allzu distanzierte Sicht der Dinge sein.
Ich hatte vor, diese außerordentliche Situation in meinem Drehbuch zu verarbeiten. Aber es zeigte sich deutlich, wie grenzwertig diese Situation war, ich kann sie nicht darstellen, und es ist unglaublich, seitdem entwickelt sich in Tokyo schon wieder Normalität. Alles sieht genau so aus wie vorher und es ist doch nicht dasselbe.
Nach dieser atomaren Katastrophe fragen sich viele Menschen genau wie ich, was in Zukunft sein wird. Diese berechtigte Angst lässt sich nicht einfach unter den Teppich kehren. Es ist hierzulande aber nicht möglich, diese innere Haltung offen zu demonstrieren oder auch den politischen Willen nach außen zu tragen, und das ist eben der Widerspruch, den man im Herzen trägt, verstehen Sie, und das habe ich verbunden eben mit dieser Liebesbeziehung in meinem Film. ›Tokyo/Lovers‹ ist ebenso mein eigener, persönlicher Versuch, selbst nachzuvollziehen, was eigentlich nun der Zustand Tokyos ist.
Übersetzung: Monika Mizuno Bereuter
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