Film | Im Kino: The Grandmaster (Wong Kar-Wai)
Vielleicht war das bereits ein frühes Signal für das Bröckeln des Westens und seiner Lebensweise, man weiß es nicht. Man soll seine Texte nicht mit »vielleicht« beginnen, vielleicht ist das ein Signal dafür, dass auch die Texte bröckeln, wer weiß das schon, es bröckelt und zittert, wo niemand es vermutet hätte: bei den Banken, der Gesundheitsvorsorge, den Werksverträgen usw. usf., und die Lernäische Schlange reckt ihre Köpfe, jene Hydra, die wir bei Homer endgelagert wähnten, als Merkel ist sie uns auferstanden, Europa liegt in Schockstarre. Von WOLF SENFF
Wir hätten aufpassen müssen. Dass der Wildwestfilm den Lichtspielhäusern kündigte und sich vom Acker stahl – niemand hat’s gemerkt, und noch seine Schwundformen, in denen für den CSD mobilisiert wurde (Brokeback Mountain, 2005) und Femen sich mauserte (Unforgiven, 1992), ließen uns arglos, satt und zufrieden zurück. Also worum geht’s? Was ist Thema?
Der zuerst an der Welt des Wildwestfilms drehte, war Akira Kurosawa. Kurosawas Sieben Samurai von 1954 wurde von Hollywood abgekupfert und lief fortan als Die glorreichen Sieben (John Sturges, 1960) über die Leinwand. Schon da hätten wir aufhorchen müssen. Der Wildwestfilm tat schließlich seine letzten Atemzüge im Italo-Western-Design, und das japanische Schwertkämpfer- und Bogenschützen-Genre nahm seinen Platz ein. Clash of Cultures! Martial Arts! Buddhism to go! The Winner takes it all!!
»Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch«
Tiger & Dragon (Ang Lee, China 2000, mit Zhang Ziyi), Aragami (Ryuhei Kitamura, Japan 2003), ähnlich 2LDK (Yukihiko Tsutsumi, Japan 2003) oder High Kick Girl (Japan 2007), neulich unübertroffen 13 Assassins (Takashi Miike, China 2010) – der Wildwestfilm ist abgelöst, so geht’s mit unseren glitzernden Errungenschaften, ach einst waren sie Blüten des Kapitalismus, nun müssen sie verdorren, sie werden so welk, so schlaff, so unansehnlich.
In diesen Tagen also The Grandmaster (China 2013, Eröffnungsfilm der Berlinale) von Wong Kar-Wai. Sind wir mal neugierig: Ist der fernöstliche Martial-Arts-Film doch nur alter Wein in neuen Schläuchen?
Letzten Endes steht jeder Film für sich. Nur noch mal, dass, wenn wir uns dem Film zuwenden, wir auch die richtige Schublade öffnen. Wong Kar-Wais Werk, erstens, ist ein grandioser Historienfilm, vergleichbar Django Unchained (2012) und – länger her – Gone with the Wind (1939). The Grandmaster eröffnete die Berlinale 2013 und läuft in diesen Tagen in den Kinos an. So gesehen ist er ein alter Hut.
The Grandmaster erzählt vom Chinesen Yip Man (1893-1972) in den dreißiger Jahren in Foshan, als Teile Chinas von Japan besetzt waren und bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten. Yip Man verlor seine Familie und floh nach Hongkong, wo er eine Wing-Chun-Schule gründete und bald hohes Ansehen genoss. Sein berühmtester Schüler Bruce Lee siedelte in die USA über und formte aus Elementen des Wing Chun/Kung Fu seinen eigenen Stil des Jeet Kune Do. Wie jeder weiß, existieren in den Kampfsportarten, auch im Karate Japans, mindestens so viele Schulen, wie es Karateka gibt. Eine Schule, die sich nicht spaltet, hat es nicht verdient. Das muss wohl so sein.
Zierlich und fragil
Schon sind wir mittendrin im Grandmaster. Zuallererst ist es ein Werk über die Schönheit der Kampfkünste (das unterscheidet ihn vom Wildwest-Genre), und man muss zweimal hinsehen, um den Bewegungsabläufen der zierlichen, zerbrechlichen Zhang Ziyi zu folgen. Vier Monate, sagt sie, habe sie trainiert, um sich für diese Szenen vorzubereiten. Fünf Stunden am Tag. Nicht dass sie sich nicht längst als Martial-Arts-Akteurin etabliert hätte. Schönheit verlangt harte Arbeit. Das ist nicht sonderlich neu. Nur dass es manche nicht wissen.
Grandmaster ist ein Film über die historische Entwicklung des Wing Chun/Kung Fu in China zuzeiten der japanischen Invasion bis in die fünfziger Jahre, wir erleben die Spaltung in nördliche und südliche Richtung sowie einzelne Schulen, sowie eine sehr zarte, traditionell würden wir sagen platonische Liebe zwischen Yip Man (Tony Leung) und Gong Er (Zhang Zi-Yi). Nein, der Film hat keine Längen, wie der SPIEGEL (Mo., 24. Juni) schreibt; da hat wohl jemand allzu flüchtig zugesehen.
Panzer, U-Boote, Fregatten, Kampfjets
Überlegen wir mal, woran diese andere Kultur & andere Lebenshaltung kenntlich wird. Es ist eine, da mag man sich staunend die Augen reiben, zutiefst friedfertige Haltung (das unterscheidet ihn vom Wildwest-Genre). Mehr noch, eine Haltung, die schon dem Ansatz kriegerischen Denkens einen Riegel vorschiebt: Gong Bao-Sen kritisiert an seiner Tochter Gong Er (Zhang Ziji), dass sie nur ans Siegen denke. Wong Kar-Wai eröffnet in Grandmaster den Blick auf ein kulturelles fernöstliches Erbe, auf eine Lebenswirklichkeit, die locker auf Gier/Raffgier und Egozentrik verzichten kann. Das, zum Dritten, unterscheidet ihn vom Wildwest-Genre.
In den Wing-Chun-Schulen geht um das Paradox eines Kampfes, der diszipliniert und hochritualisiert ausgetragen wird – nur Blutvergießen ist von vornherein tabu, jeder Kämpfer ist zu Respekt und Achtung für den Gegner verpflichtet. Das führt uns, Shaolin sei Dank, schnurstracks in eine Pazifismus-Debatte. Hatten wir lange nicht mehr und wird höchste Zeit. Wer Wong Kar-Wais Grandmaster verstehen will, darf davor die Augen nicht verschließen. Aber genau vor dieser Pazifismus-Debatte machen die Medien zu in diesem Rüstungsexportweltmeisterland. Wir sind dritter, nicht wahr? Export von Panzern, U-Booten, Fregatten, Kampfjets usw. usf.
»Kung Fu als Lebensform« titelt die ZEIT (Do., 27. Juni), nur ist leider der dazugehörige Artikel die Reportage eines Treffens mit Wong Kar-Wai in Hongkong, ohne dass die Autorin auch nur andeutet, dass sie den Titel ansatzweise verstanden hätte. Vermutlich hat die Redaktion den Titel gesetzt, ohne den Artikel gelesen zu haben. So geht’s mitunter zu.
Vom Schweigen im Walde
Man kann lange reden über Kung-Fu als Lebensform, auch der Grandmaster gibt oben bereits erwähnte Antworten, und es geht darüber hinaus um den Lebensentwurf der Martial Arts allgemein. Spontan fällt die Verwandtschaft zu religiösen Lebensentwürfen auf, verbunden mit den Worten Demut, Bescheidenheit, Zurückhaltung, Achtung des Lebendigen etc. Hätte sich angeboten, aus dem Grandmaster herauszuarbeiten, das geht, lese ich aber auch in der Süddeutschen Zeitung (Mi., 26. Juni) nicht.
Man fragt sich, weshalb hier gewissermaßen das Schweigen im Walde anzutreffen ist. Und zwar einhellig in unserer Medienlandschaft. Werden diese augenfälligen Zusammenhänge gar nicht wahrgenommen? Möchte man sie nicht wahrnehmen, weil sie nur wieder den Kapitalismus in Verruf bringen? Irgendwo hapert’s. Bei uns. Hier. Im ach so reichen, so freien, so wohlhabenden Deutschland. Sehen Sie: Das zu allererst ist die Zielrichtung, unter der wir über diesen Film miteinander reden sollten. Er gibt das her.
| WOLF SENFF
Titelangaben
The Grandmaster
China, 2013, 123 Min.
Regie: Wong Kar-Wai
Schauspieler:
Tony Leung,
Zhang Ziyi