Space is the Place

Film | Kino/DVD: Sun Ra: Space is the Place

›Space Is the Place‹ ist ein bizarres filmisches Manifest des Afrofuturismus. Sun Ra, der avantgardistische Jazzmusiker und Schamane aus dem Weltall, will die schwarzen Seelen Amerikas in eine bessere Zukunft führen. Von SABINE MATTHES

Sun Ra Space is the place DVD | AfrofuturismusIn gold- und silberfunkelnden Gewändern, geschmückt wie ein ägyptischer Sonnengott, schreitet Sun Ra, der visionäre Exzentriker und avantgardistische Jazzmusiker, durch einen surrealistischen Paradiesgarten. Aus Pflanzen sprießen gelbe Hände, vermummte menschliche Geister haben Spiegel anstelle von Gesichtern. Die Grenzen zwischen den Arten, den Rassen und Geschlechtern sind gefallen, Mischwesen und Außenseiter haben ihren Platz gefunden. Riesige Seifenblasen und die seltsamen Sphärenklänge von Sun Ras Arkestra wabern durch die Landschaft dieses Phantasieplaneten. »Die Musik ist hier anders. Die Vibrationen sind anders. Nicht wie Planet Erde. Planet Erde klingt nach Gewehren, Wut, Frustration. Es gab dort niemanden zum Reden auf dem Planeten Erde«, – sagt Sun Ra, der afroamerikanische Schamane aus dem Weltall, zu Beginn dieses einzigartigen filmischen Manifests des Afrofuturismus.

1971 hatte Sun Ra den Kurs ›The Black Man in the Cosmos‹ an der kalifornischen Universität Berkeley unterrichtet. 1972 entstand der 85-minütige Film ›Space Is the Place‹ von John Coney, der teilweise auf diesen Vorlesungen basiert. Sun Ra und die Sängerin June Tyson skandieren die poetisch formulierten Thesen seiner opulenten Mythenwelt in Konzert-Mitschnitten des Sun-Ra-Arkestra. Die wohl einzige 35 mm-Kopie des Films wurde jetzt restauriert und digitalisiert, samt Knistern und Rauschen, und ist seit 6. Juli 2017 auf Kinotournee.

Sun Ra Space is the PlaceDer Film ist ein Trip – ein schräger, wahnwitziger, psychedelischer Rausch. Queere afrofuturistische Drag Show und Blaxploitation. Schamanismus und magischer Surrealismus à la Alejandro Jodorowsky. Camp, schwarze Science-Fiction und Pharaonenkult. Hinter dem bizarren Kulissenzauber aber steckt eine echte missionarische Botschaft. Seit die Schwarzen von den Weißen gekidnappt und auf Sklavenschiffen über den Atlantik verschleppt wurden, sind sie ihrer Vergangenheit, ihrer afrikanischen Wurzeln, beraubt. Diesem Alptraum der Sklavenschiffe setzt Sun Ra den Traum vom Raumschiff entgegen.

Er will die gedemütigten Afro-Amerikaner mittels Musik und Technik in eine bessere Zukunft führen – sie endgültig vom Blick und der Zerstörungskraft der weißen Welt befreien und heilen. Sun Ra spielt Keyboard im Raumschiff, sein kosmischer Jazz ist der Treibstoff. Könnte das Raumschiff eine Metapher für unser Bewusstsein sein? Seitlich sitzen zwei riesige blutrot wirbelnde Augäpfel als Propeller. So kommt er zurück auf die Erde, um seine Jünger für das Projekt zu rekrutieren.

In einem Schwarzen Community Center, an dessen Wänden Poster von Eldrige Cleaver und Angela Davis hängen, erscheint er mit mystischen Figuren, die die Masken der ägyptischen Götter Horus und Anubis tragen. Höflich stellt er sich als »Sun Ra, Botschafter der intergalaktischen Regionen vom Weltraum-Rat« vor. Die Jugendlichen fragen ihn amüsiert, ob er eine Art schwarzer Hippie sei, oder real. Ra antwortet: »Ich bin nicht real. Ich bin genau wie Ihr. Ihr existiert nicht in dieser Gesellschaft. Wenn Ihr es tätet, würden Eure Leute nicht für Gleichberechtigung kämpfen. Ihr seid nicht real. Wenn Ihr es wäret, hättet Ihr einen Status unter den Völkern der Welt. Also sind wir beide Mythen. Ich komme zu Euch nicht als Realität. Ich komme zu Euch als der Mythos, weil es das ist, was die Schwarzen sind: Mythen. Ich kam aus einem Traum, den der Schwarze vor langer Zeit geträumt hat. Ich bin eigentlich ein Geschenk, das Euch von Euren Vorfahren geschickt wurde. Ich werde hier bleiben, bis ich bestimmte von Euch ausgesucht habe, um sie mit mir zurückzunehmen.«

Dafür eröffnet Ra, der schwarze Erlöser, an einer Ausfallstraße in Oakland eine Agentur für Zeitarbeit. Unter anderen bewerben sich NASA Spione, die das schwarze Raumfahrt-Konkurrenzunternehmen skeptisch verfolgen.

Aber auch innerhalb der Schwarzen Community hat Sun Ra einen schweren Stand. In einer surrealen Szenerie in der Wüste muss er ein mystisches Kartenduell mit seinem Kontrahenten, dem Overseer, ausfechten. Es geht um nichts Geringeres als die Frage, in welche Richtung die Zukunft der Schwarzen geht. Sun Ra, würdevoll, majestätisch glitzernd im Pharao-Look, steht für die kosmische Emanzipation des Afrofuturismus – außerhalb der weißen Welt. Der Overseer, ein schwarzer Macho und Zuhälter im weißen Anzug, mit phallischer Zigarre, übernimmt stattdessen die Insignien weißer Macht. Er verkörpert eine schwarze Emanzipation im Stil der archetypischen Blaxploitation Helden, die sich über Frauen, Waffen, Geld und ausgefallene Autos definieren.

Spave is the Place

Blaxploitation Filme waren seit Anfang der 1970er Jahre das erste emanzipatorische afroamerikanische Filmgenre. Auf Melvin van Peebles ›Sweet Sweetback`s Bad Badass Song‹ (1970) folgten über 100 dieser Filme. Sie beeinflussten neue Moden, Frisuren und Ausdrucksformen. Zuvor waren Schwarze im amerikanischen Kino hauptsächlich als gefährliche Monster oder unterwürfige Bedienstete präsent. Fielen sie außerhalb dieser Rollen, überlebten sie nicht bis zum Filmende. Als die Bilder der Black Panthers in den öffentlichen Medien erschienen, inspirierten sie die Blaxploitation Filme und emanzipierten das Image der Schwarzen. Die symbolische Macht einer Waffe war nicht mehr allein in den Händen der weißen Polizisten, sondern auch bei den Black Panthers.

Die durch die Sklaverei erlittene »Kastration« wurde kompensiert mit dem Image des hyperpotenten Schwarzen, einem sexistischen Macho mit Waffe, wie viele heutige Gangster-Rapper. Der weiße Rassismus wurde durch eine Art schwarze »Phallokratie« abgelöst. Sun Ra kritisierte diese schwarze, patriarchale Männlichkeit und die Gewalt innerhalb der Community. Mit seiner extraterrestrischen Extravaganz war er ein Außenseiter und wurde des Verrats an der schwarzen Sache verdächtigt. Im Film muss er beweisen, dass sein Spleen kein Egotrip ist, kein bloßer Werbegag um den Verkauf seiner Platten anzuheizen. Vielmehr zeigt er eine alternative Schwarze Authentizität, eine Antwort auf die Black Panther Strategie der bewaffneten Selbstverteidigung.

Am 22. Mai 1914 als Herman Poole Blount in Birmingham, Alabama, geboren, entdeckte er früh körperliche Anomalien an sich und hatte Angst, als Freak verspottet zu werden. Später kam seine Homosexualität dazu, die er mit Musik kompensierte. »Musik ist für mich die einzig lohnende Sache der Welt und ich sehe sie als eine vollständige Kompensation für alle Handicaps, die ich habe.«, wird er in John Szweds umfassender Biografie ›Space Is the Place‹ zitiert. Gay Pride musste angesichts von Black Power und der Homophobie im (afro-)amerikanischen Jazz zurückgestellt und unterdrückt werden. Kein Wunder also, dass er sich auf dem Planeten Erde als Außerirdischer fühlte. Und sich selbst neu erfand, mit einer mythischen, intergalaktischen Identität als Sun Ra.

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»Ich bin ein Fremder vom Himmel, weit weg, weiter als das Auge sehen kann, ist mein Paradies, eine mystische Welt aus dem Weltall«, schreibt er in ›Stranger from the Sky‹. Science-Fiction Gedichte von Sun Ra wurden Ende der 1960er Jahre in vielen Black Arts Publikationen veröffentlicht, neben Langston Hughes und Allen Ginsberg. Die Suche nach einem exotischen und befreienden Anderswo ist eine Konstante in Sun Ras Gedichten. In ›The Government of Death‹ sehnt er sich nach dem Tod, der alle gleich macht: »Alles im Reich des Todes ist nichts außer Frieden, seine Bewohner haben alle gleiche Riten erhalten, weil sie gleiche Rechte bekommen haben« … alle Regierungen auf Erden, die von Menschen gemacht sind, diskriminieren, aber die Regierung des Todes ist eine unschuldige Regierung, sie behandelt alle gleich«.

Sun Ra - Space is the PlaceSun Ras Romantizismus ist auch eine profunde Kritik an der ordinären Welt, der er den Rücken kehrt. Der banalen Realität, der vulgären Alltäglichkeit, setzt er das Ideal des Wunderbaren und Fantastischen entgegen. Schillernden Afro-Alien-Drag, Cosmic Jazz und psychedelische Multimedia-Performances mit seinem Arkestra – einer offenen, sozialen Kreativ-Fabrik wie Andy Warhols Factory, nur dass statt Drogen strenge Disziplin herrschte.

Jeder Außenseiter sucht sich seinen eigenen Planeten. Der schwule afroamerikanische Autor James Baldwin befreite sich von den Fesseln amerikanischer Rassenidentität auf dem Planeten Europa, in Paris und Istanbul. Quentin Crisp, britischer Exzentriker, Autor und Schwulen Ikone, ging den umgekehrten Weg. Er entfloh dem homophoben England als »Resident Alien« in den Big Apple New York. Henry David Thoreau, amerikanischer Philosoph, Schriftsteller und Mystiker, großer Prophet des zivilen Ungehorsams, weigerte sich Steuern zu zahlen, um nicht die Sklaverei und den Mexiko-Krieg zu unterstützen. Er trat den Rückzug in die Wälder an, sein Raumschiff war eine selbst gebaute Blockhütte namens »Walden Hut«. Mit seinem Essay ›Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat‹ (1849) inspirierte er unter anderen Martin Luther King zum gewissensgeleiteten, gewaltlosen Widerstand gegen die Obrigkeit.

Anarchistische Gesellschaftsrebellen waren auch die beiden ›Easy Rider‹ (1969) Dennis Hopper und Peter Fonda auf ihren Harley-Davidson-Motorrädern. Dem legalisierten Terror unserer Gesellschaft setzten sie in ihrem Film ein romantisch verklärtes Bild von Freiheit und Toleranz entgegen – dem Lebensgefühl der Biker in den späten 1960er Jahren. Ihr psychedelischer Freiheitstrip auf der Suche nach einem geistigen El Dorado wird in der Schlussszene mit einem gewaltsamen Tod bestraft. Sie werden erschossen.

Auch Sun Ra, dem intergalaktischen ›Easy Rider‹, kommt vor seiner Befreiungsmission allerhand in die Quere. Er wird vom FBI entführt und mit Dixieland-Musik gefoltert. Schließlich wird er von zwei schwarzen Kids befreit und zu seinem großen Abschlusskonzert gebracht, das den Exodus vom Planeten Erde einläuten soll. Einige schwarze Charaktere, denen er bei seinem Erdenbesuch begegnet ist, werden in sein Raumschiff gebeamt.

Da das destruktive Potenzial der technischen Erfindungen der Weißen, die Atombombe, die Erde zu einem gefährlichen Ort macht, scheint es keine Hoffnung mehr für diesen Planeten zu geben. Die Verbrechen der Menschheit sind irreparabel. Die Erde explodiert, ihre Teile und das Raumschiff fliegen durch das Weltall, aus dem eine Stimme ruft: »In a far out Place – In Space – We’ll wait for you!«

| SABINE MATTHES
| FOTOS: Rapid Eye Movies

Titelangaben
Sun Ra: Space is the Place
USA, 1974, 81 Min
Regie: John Coney
FSK: ab 12 Jahren

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