/

Deutsch-polnische Kooperation

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – ›Ikarus‹, 10. Mai

Ein junger Mann, schwer verletzt, hängt in einem Baum. Daniel Reef ist Kunstflieger, erfahren, kompetent, wie soll er aus seiner Maschine gefallen sein, wie stellt man sich das vor. Die Maschine selbst, wer flog sie weiter? Die junge Frau, mit der sich der Pilot auf einem Handy-Foto zeigt? Ist sie sicher gelandet? Falls ja, wo? Rätselhafte Zusammenhänge gilt es aufzuklären. Von WOLF SENFF

Foto: RBB / O. Feist
Foto: RBB / O. Feist
Wir erleben den beträchtlich lädierten jungen Mann auf der Intensivstation, einem krimi-affinen Schauplatz, wir kennen ihn vom letzten Sonntag, ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades, und wir wissen nicht, wie es ausgehen wird, die Eltern traf die Nachricht auf der Geburtstagsfeier der Mutter, sie sind erschüttert.

Eigenwillige Balance

Die Verwicklungen werden dichter. Daniel Reef, Sohn eines Solarmodulfabrikanten, ist ein guter Bekannter von Horst Krause, die Firma stellt viele Arbeitsplätze in der Uckermark, doch sie schreibt rote Zahlen, ihr Verkauf an einen polnische Konkurrenten steht zur Debatte, und um all das zu toppen, entdecken die Ermittler in der Maschine eine Tasche mit 750.000 Euro in bar sowie, das Drehbuch sattelt noch einmal drauf, Anhaltspunkte, dass der Sicherheitsgurt des Piloten manipuliert wurde – wenn das keine Kulisse für einen brisanten Fall ist.

Das alles ist auffällig undramatisch inszeniert, wir sehen Bilder wunderschöner Alleen, wir sehen einen Schwarm Kraniche, wir sehen Landschaft vom Flugzeug aus. Hinzu kommen Ermittlergespräche und Einschätzungen, die ebenfalls Tempo drosseln; es entsteht ein eigenwilliges Gleichgewicht, aber deshalb wird der Film nicht eintönig, zum Schluss forciert er wieder und holt sich gut Spannung zurück.

TV pflegt Frühlingsgefühle

Die zweite Schiene, auf der sich Verdachtsmomente sammeln, bilden die eher lockeren familiären Bande, wir zählen gleich zweimal eine Frau zwischen zwei Männern, »Deine Eifersucht geht mir auf den Sack«, da greift eine Dame tief in die Kiste, wie schön kann Liebe sein, doch sie schafft auch Probleme.

Oh je, wir werden, als wäre es in kaltes Wasser, in eine groß dimensionierte Erzählung der Frühlingsgefühle geworfen. Der Spargel schießt. Die große Erzählung vom Sex unserer Tage wurde am vergangenen Dienstag mit der sechsteiligen Wiener Serie ›Vorstadtweiber‹ eingeläutet, sie wird mit diesem erotisch tief eingefärbten ›Polizeiruf‹ fortgesetzt, und am nächsten Sonntag, ich darf es verraten, wird uns mit dem ›TATORT‹ des Hessischen Rundfunks – seit Tukurs hirnkrankem Tumor-Murot tut sich der HR geradezu besessen mit Originalität hervor, wie peinlich – ein erster Höhepunkt beschert. Offenherzig, ja, un-verschämt auch. Und alles in allem: Nein, unterhaltsam ist das nicht.

Sachsen-Anhalt, Texas, Louisiana

Es handelt sich, von all den netten Nackigkeiten einmal abgesehen, dennoch um einen sehenswerten ›Polizeiruf‹, uns werden Grenzbereiche menschlicher Existenz vorgeführt im Big Business und einer deutsch-polnischen Szene, die sich für Big Business hält, das war dann wohl nichts, und die melancholische Stimmung am Schluss wird gerade noch aufgefangen durch die Abschiedsparty, die die Kollegen für den aus dem Dienst scheidenden Horst Krause vorbereitet haben.

Für nächste Folgen ist angekündigt, dass weiterhin im deutsch-polnischen Bereich ermittelt wird, wir bleiben neugierig und empfehlen Ihnen, was Horst Krause betrifft, ihn durchaus einmal in einer seiner Paraderollen zu genießen: ›Schultze gets the Blues‹ (2003), Drehorte: Sachsen-Anhalt, Texas, Louisiana. In diesem thematischen Zusammenhang unvergessen sowie weiterführend übrigens auch ›The Straight Story/ Eine wahre Geschichte‹, Regie David Lynch, 1998.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Polizeiruf 110 ›Ikarus‹ (rbb)
Ermittler: Maria Simon, Horst Krause
Regie: Peter Kahane
Sonntag, 10. Mai, 20:15 Uhr, ARD

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Let the good times be never ending: The Charlatans live in Belfast.

Nächster Artikel

Abstiegskampf

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Von toten Winkeln und Räumen

Digitales | Film | Games: Dead Space 2 Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, nach der Sichtung der recht amüsanten Marketing-Kampagne »Your Mom Hates This« einen feinen Text zu EAs Horror-SciFi-Actioner ›Dead Space 2‹ zu schreiben. RUDOLF INDERST über das Grauen im All.

Vom Traum, ein Rebell zu sein

Menschen | Zum 85. Geburtstag von Miloš Forman »Ich finde es schrecklich, wenn Regisseure denken, sie würden etwas wahnsinnig Wichtiges kreieren. Hey, Leute, es ist nur ein Film! Macht euch locker«, hatte Miloš Forman 2008 in einem FAZ-Interview erklärt. PETER MOHR zum 85. Geburtstag des oscar-gekrönten Regisseurs.

Den westlichen techno-zentrischen Mindset umpolen

Filme | Neptune Frost

Auf einem Elektromüll-Friedhof in Burundi plant ein anarchisches Kollektiv glamouröser Cyber Punk Hacker die Revolution
Der afrofuturistische Musicalfilm »Neptune Frost« zeigt diese phantastische Odyssee, wild und geheimnisvoll – ein bildgewaltiges Feuerwerk von poetisch-bizarrer Sinnlichkeit. Von SABINE MATTHES 

Vom Staat, den es nicht gibt

Film | Filmfest auf der Alster Hamburg, 18. bis 21. September 2014 Zum Filmfest Hamburg wird freiluft auf der Binnenalster ein Vorlauf vom 18. bis 21. September gezeigt, das Filmfest in geschlossenen Räumlichkeiten beginnt am fünfundzwanzigsten. Das Filmfest Hamburg hat traditionell diverse Themenbereiche, in der ›Sektion Deluxe‹ werden Filme aus ausgewählten Ländern oder Regionen vorgestellt: Iran (2013), davor Quebec (2012), auch Finnland (2006), auch Österreich (2005). Von WOLF SENFF

Radikales Konzept der Sexualität

Kulturbuch / Film | Georg Seeßlen: Lars von Trier goes Porno / Lars von Trier: Nymphomaniac II ›Nymphomaniac‹ ist ein viereinhalbstündiger Film des dänischen Regisseurs Lars von Trier, der die Kinos in zwei annähernd gleich langen Teilen erreicht, sein Thema ist eine Entwicklung von Sexualität. Im Februar schon lief der erste Teil in Deutschland an, knapp zweistündig. Kaum jemand hat es bemerkt, dieser Tage folgt ›Nymphomaniac II‹, gut zweistündig, zur »Lebensbeichte einer Nymphomanin« aufgehübscht beim Deutschlandfunk. Er wäre – ein hardcore-Porno ist ehrlicher – kaum der Rede wert, wenn nicht der kluge Kulturkritiker Georg Seeßlen passend zum Filmstart einen Essay