Gesellschaft | Martin Gessmann: Wenn die Welt in Stücke geht
Ab und zu geschieht es eben doch, dass man aufgrund des Titels auf ein Buch aufmerksam wird, man sollte sich das abgewöhnen. Aber es liegt im Trend, dass Philosophie sich an eine interessierte und wenig oder kaum philosophisch vorgebildete Öffentlichkeit wendet, neuerdings präsentiert sich der Philosoph gerne auch via Flachbildschirm. Ob das wohl gut geht? Von WOLF SENFF
Wie hieß es bei unseren Eltern? Erst kommt die Arbeit, dann das Vergnügen? So ähnlich habe ich diese Lektüre erlebt, der Darstellung eignet viel Seminarcharakter, ich wurde über Geschichte der Philosophie informiert, komplett, viele Namen, klar, wichtige Namen, niemand darf fehlen, und nein, Fragen wurden nicht gestellt, wenngleich der Titel ja eine Frage zu stellen schien, war wohl ein Irrtum.
Deskriptive Wiedergabe
Der Leser folgt, wie Gessmann abschließend selbst formuliert, einer »Inszenierung der Philosophiegeschichte als ein dramatisches, am besten als ein hochdramatisches Geschehen«, doch dieser Intention wird der Text nicht durchgängig gerecht.
Davon, dass »die Welt in Stücke geht«, ist ebenfalls wenig zu lesen, die Darstellung erschöpft sich sehr in deskriptiver Wiedergabe. Gewiss ist es interessant, Kants »Standpunktwechsel zu vollziehen von subjektiver Betroffenheit zu objektiver Beurteilung« oder das »Verstummen der Philosophie« bei Wittgenstein wahrzunehmen, und plausibel ist auch der Ansatz, dass philosophische Sicht auf die Welt mit zeithistorischen Bezügen unterlegt wird, das liest man gern, es versorgt mit Überblick, aber es relativiert den Erkenntniswert .
Die philosophische Umkehrung
Foucault positioniert er »am Umschlagpunkt von einer Weltunvernunft […] zu ihrem wünschenswerten Gegenteil«, und Sloterdijk wende sich »im Gefolge von 1968 und den damit enttäuschten politischen und utopischen Hoffnungen« wieder einer Haltung des Stoizismus zu. Nein, man hat keineswegs den Eindruck, dass »die Welt in Stücke geht«, im Gegenteil, in der Philosophie kann, wie man sieht, alles geordnet erklärt werden, kein Drama.
Etwas überleitungslos, wie Kaninchen oder Taube aus dem Hut gezaubert, folgt auf dem letzten Dutzend Seiten der hoch komplexe Vorschlag bzw. die vorausschauende Wahrnehmung erster Signale einer aktuellen »philosophischen Umkehrung«, die sich auf die Betrachtung von Natur-, Medien- und Geisteswissenschaften beziehe. Dazu gibt es Literaturverweise, die den unangenehmen Beiklang von ›Namedropping‹ haben. Nein, diese Lektüre ist für den fachlich begrenzt vorbelasteten Leser kein Gewinn.
Titelangaben
Martin Gessmann: Wenn die Welt in Stücke geht. Warum wir philosophieren
Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2014
284 Seiten, 29,90 Euro
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