Gesellschaft | Spitzlinger / Draxler: Probier’s doch mal mit Korruption!
Korruption ist ein beliebtes Medienthema. In Wellen gehätschelt, von individueller Steuerkriminalität bis zu organisierten Mafia-Dschungeln, garantiert es moralische Empörung beim Konsumenten, und die sorgt noch stets für guten Abverkauf und neuerdings auch manche gelungene Twitter-Lyrik. Dramatisieren gehört nun mal zum medialen Kerngeschäft. Wie man mit Witz entdramatisieren kann, untersucht das Wiener »Institut für angewandte Korruption« (IfaK). Seine Gründer Roland Spitzlinger und Julia Draxler haben jetzt einen handlichen Ratgeber dazu zusammengestellt: ›Probier’s doch mal mit Korruption!‹. Von PIEKE BIERMANN
Klaus Wowereit, den meisten Nicht-Hauptstädtern bekannt als Ewiger Regiermeister mit formvollendeter Berliner (Kalt-) Schnauze, hat sich jüngst ebenso formvollendet auf Abschiedstournee durch die Institutionen begeben. Mit warmen Worten bedankte er sich zum Beispiel im Bundesrat bei seinen Sponsoren. Er hatte weder parteispendende Hollywood-Tycoons noch »Landschaftspfleger« aus der Wirtschaft im Visier – sein Dank galt den Länderchefkollegen Horst Seehofer, Volker Bouffier und Winfried Kretschmann. Gönnern, die der Hauptstadt allerdings nur gezwungenermaßen etwas zustecken. Das nennt sich Länderfinanzausgleich und fällt nicht unter »Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil«, die Korruptionsdefinition von Transparency International.
Korruption gehört zu den regelmäßig durchs Mediendorf getriebenen Säuen. Neu ist sie nicht, früher hieß sie Vetterleswirtschaft oder Amigo-System, Nepotismus oder Patronage, heute eher Schmier- und Schwarzgeldskandal oder Lobbyismus. »Korruption« garantiert einerseits guten Umsatz dank moralischer Entrüstung der Medienkonsumenten, führt aber andererseits auch zu nachhaltiger Taubheit und resigniertem Abwinken. Das wollen Roland Spitzlinger und Julia Draxler ändern. Dafür haben sie zunächst in Wien per Crowdfunding das IfaK gegründet. Sie veranstalten Straßentheater mit Dada-Agitprop-Anmutung – zum Beispiel Stadtrundfahrten zu einschlägigen Stätten wie Bauruinen und unseriös finanzierten Luxuswohnungen oder öffentliche Workshops. Jetzt legen sie ein Buch vor, das über die österreichischen Modelle hinaus auch deutsche, schweizerische und EU-weite Möglichkeiten auslotet.
Herzerfrischende Realsatire
Ein Kunstprojekt mit Augenzwinkern. Die gut 300 Seiten Realsatire kommen gleich mal mit einem neckischen Köder daher – einem Lesezeichen in Gestalt eines 500-Euro-Scheins. Natürlich farblich wie formatmäßig nicht ganz korrekt, aus Pappe und auch nur auf einer Seite geldwert bedruckt. Die Rückseite macht Reklame für zwei andere Bücher des Verlags, eines Imprints von Random House. Es gibt außerdem 1032 Quellenangaben, sauber durchnummeriert, zumeist www-Adressen. Fast alles, was sie zitieren oder zu Fallgeschichten umbauen, steht ja längst online – in Print- und anderen Medien, Gutachten, NGO-Reports, Behörden-Dokumenten. Stilistisch ist das Ganze ein amüsantes Pastiche aus Wissenschafts-, Werbe- und Ratgeber-Sprech. Leitmotiv: Korruption kann jede/r! Schluss mit der undemokratischen Verteilung von Reibach auf die happy few!
Herzerfrischend sind gleich zu Anfang die Lektionen, die man, falls man sie vergessen hat, von Kindern neu lernen kann: Wie passiert man die Schulklippen – Zensuren, Mobbing, Prügeleien –, wenn man weder Klassenprimus noch Sport-Ass ist? Nun, mit just den Verhaltensmustern, die im späteren Leben Nepotismus, Patronage, Bestechung oder schlicht Opportunismus heißen.
Praktische Tipps
Nach dieser Art Grundkurs folgt ein ausführlicher Blick auf länderspezifische juristische Umgebungen und Gewohnheiten, Gesetzeslücken und Rechtsverständnis. Die womöglich schon vorhandene eigene Tauglichkeit kann man in anschaulichen Multiple-Choice-Tests im ›Wer wird Millionär?‹-Stil überprüfen: »Was ist hier korrupt – a, b oder c?«
Und schließlich bekommt man probate Mittel fürs Fortkommen an die Hand. Tipps zum Geld- und wechselseitigem Händewaschen am Beispiel der vorbildlichen Branchen: Bau- und Finanzwirtschaft, Pharma- und Rüstungsindustrie und natürlich Fußball. Praktisches Coaching samt Business-Plan: »Wie gründe ich eine Briefkastenfirma und wo finde ich das beste Preis-Leistungsverhältnis für den Briefkasten?« (auf den Virgin Islands). Abgerundet durch Strategien für den Fall, dass doch ein Untersuchungsausschuss oder Prozess fällig werden sollte: Spieß umdrehen! Der Zweck heiligt die Mittel! Es gilt die Unschuldsvermutung!
Roland Spitzlinger, der wissenschaftlicher Referent bei den Wiener Grünen war und Wikipedia-Artikel zu Korruption verfasst, und Julia Draxler, die gelernte Künstlerin und Kunstvermittlerin, verspotten intelligent und fröhlich alles, was an wohlfeilem Moralisieren um Korruption herum wuchert. Wie ernst man was daran nimmt – das darf jede/r selbst entscheiden: aber bitte lachend!
Eine erste Version der Rezension wurde am 4. Dezember 2014 bei Deutschlandradio Kultur veröffentlicht, ein Gespräch mit Pieke Biermann ist als Audio on Demand verfügbar.
Titelangaben
Roland Spitzlinger, Julia Draxler: Probier’s doch mal mit Korruption! Die Erfolgsgeheimnisse der Vettern, Freunderln und Amigos
München: Riemann 2014
320 Seiten. 14,99 Euro (de) / 15,50 Euro (at)