Schlagabtausch zwischen den Geschlechtern

Bühne | Das Interview – Badisches Staatstheater Karlsruhe

»Ein gutes Interview ist seinem Wesen nach ein Gefecht«, sagte einst Theo van Gogh (1957-2004), niederländischer Filmregisseur, exzentrischer Provokateur und Publizist. Dieser wurde 2004 von Mohammed Bouyeri ermordet. Der Grund: Der Fundamentalist sah den Propheten Mohammed durch van Gogh beleidigt. Dieser hatte im Film ›Submission‹ (dt. ›Unterwerfung‹) zusammen mit der Islamkritikerin Hirsi Ali mit provokanten Bildern die Unterdrückung der Frau im Islam angeprangert. Von JENNIFER WARZECHA

Foto: Felix Grünschloß
Foto: Felix Grünschloß
Das Theaterstück ›Das Interview‹, wie es im Badischen Staatstheater Karlsruhe Premiere hatte, behandelt zwar, wie der Name schon sagt, ein anderes Thema, zeugt aber von der Gestaltung der Dialoge her von einer ähnlichen Brutalität – von einer leidenschaftlich getriebenen, teilweise wütend, sehnsuchtsvoll und hochemotional geladenen Austragung von einerseits Konflikten zwischen den Geschlechtern und Rollenfindungsproblemen von Journalist zu Schauspielerin sowie der individuellen Suche nach Schuld und eigener Persönlichkeit.

Geschlechterkampf zwischen Schauspielbühne, Ort des Krieges und Realität

Gegensätzlicher als die beiden Protagonisten Pierre (Jannek Petri) und Katja (Joanna Kitzl, noch besser als in Büchners ›Dantons Tod‹!) könnten zwei Partner nicht sein. Aber gerade darin liegt die Faszination, die von dem Stück und seiner Inszenierung ausgeht. Pierre ist Kriegsreporter. Das lässt er sich anmerken, indem er zuerst stolz von seinen Kriegseinsätzen berichtet und Katja, die boulevardeske Schauspielerin, zunächst gekonnt von oben herab behandelt. So ist er in der Eingangsszene in einem der als Haupt-Bühnenbild ausgestellten 50 Fernseher zu sehen. Er telefoniert mit einem nicht zu identifizierenden Gesprächspartner, dem er nörgelnd von seiner geplanten Gesprächspartnerin »mit zwei Titten, den tollsten Titten« erzählt, obwohl er doch »Politikberichterstatter« sei. Dementsprechend bleibt die »Du-Sie«-Ansprache zunächst in einer distanzierenden Haltung der beiden zueinander. Katja räkelt sich lasziv auf dem Bett. Er steht links, leger in Jeans und Hemd gekleidet, daneben und suggeriert Arroganz. Bilder von Britney Spears im sexy Outfit unterstreichen dabei Katjas Verführungstaktik, unterbrochen von Handygesprächen mit ihren Freundinnen, die stets mit einem »Bussi« enden.

Foto: Felix Grünschloß
Foto: Felix Grünschloß
Obwohl Pierre eigentlich das Interview führen soll, übernimmt Katja zusehends die Rolle der Gesprächsführerin. Als sie von sich und ihrem Privatleben, ihrem Verlobten und ihren Freundinnen erzählt, sie sich Pierre und dem Publikum noch dazu Kokain schnupfend zeigt, ändert sich ihr Verhältnis zueinander. Aus Distanz wird Nähe. Pierre fängt an zu erzählen: von seiner Frau, dem Tod seiner Tochter, die beim Autounfall im Auto seiner Frau ums Leben kam. Katja fühlt sich in ihrer Rolle als Schauspielerin wohl, sie zeigt Ausschnitte aus der TV-Serie ›Gute Zeiten – Schlechte Zeiten‹ (im Stück selbst sind allerdings keine Originalausschnitte zu sehen), räkelt sich weiterhin auf dem Bett, erzählt Pierre von ihren zahlreichen Liebhabern und spricht ständig von ihren »Titten«, die sie mit der Form, die auch der menschliche Charakter zum Guten hin annehmen kann, vergleicht.

Schuld, Persönlichkeit und Eklat

Die Rede über das Wesen der eigenen Persönlichkeit geht hinüber in das über das beiderseitige Schuldempfinden. Katja provoziert Pierre, in Ekstase fallen beide schließlich übereinander her. Katjas Verlobter ruft an. Sie geht auf Abstand. Pierre entdeckt Katjas vermeintliches Tagebuch, in dem sich das Wort »Tod« häuft und sie über ihre Krebserkrankung berichtet.
Pierre verwandelt sich vom harten Journalisten in einen verständnisvollen Freund. Katja filmt Pierre, währenddessen er, angesteckt von ihrer Offenheit und Ehrlichkeit, von sich erzählt. Dieses Vertrauen wird ihm zum Verhängnis, denn Pierres Offenheit provoziert nicht das Gleiche in Katja, im Gegenteil …

Fazit

Wie der nicht endend wollende Applaus im vollbesetzten Studio des Badischen Staatstheaters beweist, ist die Inszenierung von ›Das Interview‹ des Regisseurs Theo van Gogh auch hier auf den Badischen Bühnen, unter der Regie von Dominique Schnizer und unter der Dramaturgie von Jens Peters, ein voller Erfolg. Ein Erfolg, der in den authentisch gestalteten Dialogen, die sowohl die Konflikte innerhalb des weiblich-männlichen Geschlechterverhältnisses, als auch das menschliche Dilemma zwischen Lieben und Töten-Wollen aufzeigen, liegt. Wie im Presseheft geschildert, erlauben die Fernseher mit ihrer doppelten Wirkung eine zusätzliche räumliche und assoziative Bild- und Vorstellungsebene zwischen den Figuren, den Figuren und Zuschauern sowie Bühnenbild, Figuren und Zuschauern. Wahrlich ein sehenswertes Ereignis!

| JENNIFER WARZECHA

Titelangaben
Das Interview
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Regie: Dominique Schnizer

Termine
| Donnerstag, 18.12., 20:00-21:15 – STUDIO
| Donnerstag, 08.01., 20:00-21:15 – STUDIO
| Donnerstag, 15.01., 20:00-21:15 – STUDIO
| Samstag, 07.02., 19:00-22:00 – STUDIO
   DOPPELVORSTELLUNG mit GIFT
| Samstag, 21.02., 19:30-20:45 – STUDIO

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Wie die Liebe an zu tiefem Leiden scheitert

Nächster Artikel

Probate Schmiermittel für Hinz & Kunz

Weitere Artikel der Kategorie »Bühne«

Gewalt? Gerechtigkeit!

Bühne | Heinrich Kleists ›Kohlhaas‹ – Schauspiel Frankfurt Ernst Bloch nannte den Protagonisten Michael Kohlhaas aus der gleichnamigen, 1810 erschienen Novelle von Heinrich von Kleist den »Don Quijote rigoroser bürgerlicher Moralität«. De facto ist Kohlhaas bereit, für sein Recht ganze Städte niederzubrennen, ohne wirklich Recht zu bekommen. Aus der komplexen Novelle hat der Schauspieler und Regisseur Isaak Dentler, zusammen mit der Dramaturgin Henriette Beuthner, in den Kammerspielendes Schauspiels Frankfurt ein Ein-Mann-Stück kreiert, mit Dentler selbst als Erzähler und Protagonisten. Das Publikum quittiert die Adaption ›Kohlhaas‹ mit tosendem Applaus. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere angesehen.

Dit is Berlin

Bühne | Kabarett: 31. Geburtstag der Berliner Kabarett Anstalt Es war ein bunter Eindruck ihres Gesamtprogramms, was die ›Berliner Kabarett Anstalt‹, kurz BKA, zu ihrem 31. Geburtstag in Form kurzer Szenen-Einblicke auf die Beine – und Bühne – stellte. ANNA NOAH über eine vielseitige und interessante Revue.

Zwischen Gut und Böse

Bühne | Carl Maria v. Weber: Der Freischütz Die Kirche wird zum Dreh- und Angelpunkt von Gut und Böse, zum Austragungsort von Rivalitäten, erotischen Machtspielchen sowie der Gier nach Anerkennung – Carl Maria von Webers (1786-1826) romantische Oper ›Der Freischütz‹, unter der Regie von Verena Stoiber, begeistert in Karlsruhe. Von JENNIFER WARZECHA

Not the great Hippie-Swindle

Musik | Woodstock-Shortlist 1967 – Summer of Love. 1968 – Flower People. 1969 – Woodstock. Das Folk-, Rock-, Psychedelic-, Blues- und Countryfestival Woodstock, 3 Days of Peace & Music, fand vor 50 Jahren vom 15. bis 17. August 1969 statt – in White Lake in der Nähe der Kleinstadt Bethel des Bundesstaats New York. Auf dem Set waren mindestens 32 Bands und circa 400.000 Zuschauer und dies völlig friedlich im teilweisen Festivalchaos und in einer Zeit gesellschaftlicher Konflikte. Von TINA KAROLINA STAUNER

Von der kleinen bis zur großen Welt

Bühne | Hermann Hesse: ›Das Glasperlenspiel‹ im Badischen Staatstheater Karlsruhe Wahre Gesellschaftskritik im ewigen Konflikt des Individuums mit der Gesellschaft, im Spiel der Moderne mit ihren Ängsten, hin- und hergerissen zwischen Mikro- und Makrokosmos in Anlehnung an Johann Wolfgang Goethes ›Faust‹ – das ist Hermann Hesses ›Das Glasperlenspiel‹ im Kleinen Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe. Für die Bühne bearbeitet von Martin Nimz und Konstantin Küspert wird es damit zum modern interpretierten und dramaturgisch inszenierten Aufstieg und Fall des Protagonisten Josef Knecht. Von JENNIFER WARZECHA