Gesellschaft | Martin Ehrenhauser: Die Geldroboter
Da sitzen sie, denkt man, die Strippenzieher, und sie bewegen und gestalten die Geschicke von Nationen. Sie handeln mit Rohstoffen, mit Aktien, mit Anleihen, mit Derivaten; sie wissen, weshalb sie sich im Hintergrund halten und für die Öffentlichkeit unbekannte Figuren bleiben möchten. Von WOLF SENFF
Es gibt sie, die vielen kleinen und großen George Sorosse: Die die Währungskurse beeinflussen und auf staatliche Haushalte Einfluss nehmen, und seit 2009 sind grundlegend neue Geschäftspraktiken etabliert, der sogenannte Hochfrequenzhandel auf der Basis von Algorithmen, die auf Veränderungen der Marktlage der Börsen reagieren und über Kauf- oder Verkaufsorder entscheiden, und zwar innerhalb von Sekundenbruchteilen.
Finanz-Cyberspace
Diese automatisierten Abläufe machen menschliche Mitwirkung überflüssig, erstens – sie werden, zweitens, von eigens dafür gegründeten Firmen etabliert, die global agieren und sich eine goldene Nase verdienen, indem bereits winzigste Kursschwankungen erfasst und durch Kauf oder Verkauf in Windeseile ertragreich umgesetzt werden.
Ein Beispiel aus diesem Finanz-Cyberspace: Im Jahr 2016 handelte der holländische ›Geldroboter‹ Flow Trader mit rund 350 Mitarbeitern Finanzprodukte im Wert von 640 Milliarden Euro; ihm verblieben nach Abzug diverser Gebühren rund 400.000 Euro brutto pro gehandelte Milliarde. Die Geldroboter fungieren als Makler. Und ihre Eigentümer behaupten, sie würden eine Dienstleistung zur Verfügung stellen, und zwar das jeweils kostengünstige Anlegen beträchtlicher Vermögenswerte.
Casino 2.0
Und es ist durchaus schräg, was sich im Detail abspielt. So bietet die sogenannte ›Kollokation‹, die Installation des Robot-Programms direkt im Rechenzentrum der Börse, einen zeitlichen Vorteil um minimale Bruchteile von Sekunden, der den Robot-Programmen beträchtliche Handelsvorteile verschafft. Ehrenhauser verweist auf die US-Börse Investor’s Exchange IEX, die jede Transaktion von vornherein um 350 Mikrosekunden ausbremst und damit den zeitlichen Vorteil von Geldrobotern neutralisiert.
Das klingt zunächst einmal alles wie eine ausgefuchste Spielerei in gigantischen Dimensionen. Spielen als Suchterscheinung, Casino eben. Ehrenhauser zeigt jedoch die Gefahren auf, die entstehen, wenn abgezockte Spitzenkräfte die Börsenabläufe per Hochfrequenzhandel gestalten und allein zum eigenen Vorteil ausnutzen.
Flash Crash
Wie es scheint, regieren auch Gesetze des Dschungels, etwa mit dem Versuch großer institutioneller Anleger, die Abzocke der Geldroboter zu umgehen und in sogenannte Dark Pools abzutauchen. Versuche der EU, die Geldroboter mit Finanzmarktdirektiven zu regulieren (MiFID I von 2007, MiFID II von 2018), hätten die Situation verkompliziert und verschlimmbessert.
Ehrenhauser zeigt die Hintergründe des spektakulären Flash-Crashs vom 6. Mai 2010, 14:32 Uhr, als die Aktienkurse binnen kürzester Zeit weltweit um bis zu zehn Prozent – der Dow Jones Index um mehr als neun Prozent – fielen. Was diesen rasanten Kursverfall bremste? Um 14:45 Uhr stoppte die Chicago Mercantile Exchange den gesamten Handel für fünf Sekunden, und um 15:08 Uhr waren die Preise annähernd wieder auf dem ursprünglichen Niveau. Ein Systemkollaps, hervorgerufen durch Hochfrequenzhandel, automatisierte Abläufe, Vernetzung und banale Eigeninteressen individueller Händler.
Zögerliche Politik
Der Leser wird informiert über Spoofing, Pinging, über immer wieder unzureichende Versuche der EU-Politik, gegen Insiderhandel vorzugehen, wir werden informiert über die lange und bislang ergebnislose Historie der Finanztransaktionssteuer, über den zähen und erfolgreichen Widerstand der Geldroboter-Lobby, über die destabilisierende Rolle von Indexfonds – Ehrenhauser beschreibt anschaulich und verständlich eine scheinbar unübersichtliche und äußerst fragile Gesamtlage.
Ehrenhauser war selbst von 2009 bis 2014 Mitglied des Europaparlaments und sieht kaum Erfolge in den Bemühungen der Politik, die Stabilität der Aktienmärkte zu festigen. Sinnvoll sei eine Begrenzung von Größen und von Konzentrationsprozessen der Akteure und von Geschwindigkeiten der Abläufe. Die Kompliziertheit von Systemen habe stets vielfältige, nicht vorhersehbare Wirkungsketten zur Folge.
Lockruf des Goldes
In Europa wie in den USA gehe es zentral um den Zugang der Finanzmarktaufsichtsbehörden zu den Quellcodes der Geldroboter, und in Europa wie in den USA habe sich die Behörde nicht gegen die Lobby der Geldroboter durchsetzen können, die Behörden seien durch die immense Datenfülle überfordert, sie hinken, so Ehrenhauser, den Geldrobotern um Jahre, wenn nicht Jahrzehnte hinterher.
Die Geldroboter würden zwar immense Vorteile für ihre Betreiber generieren, doch sie seien keineswegs – was von ihren Betreibern stets behauptet werde – ein Fortschritt, nicht für die Realwirtschaft und schon gar nicht für die Gesellschaft. In ihrer einseitigen Ausrichtung auf Selbstverwirklichung durch klingende Münze seien sie eine Gefahr.
Titelangaben
Martin Ehrenhauser: Die Geldroboter
Wie Hochfrequenzmaschinen unser Erspartes einkassieren und Finanzmärkte destabilisieren
Wien: Promedia 2018
240 Seiten, 17,90 Euro
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