/

Ein ehrenwertes Haus

Roman | Elisabeth Herrmann: Der Schneegänger

Nach ›Das Dorf der Mörder‹ (2013) lässt Elisabeth Herrmann in ihrem neuen Roman ›Der Schneegänger‹ zum zweiten Mal den etwas unzugänglichen Berliner Kriminalhauptkommissar Lutz Gehring und die junge Polizistin Sanela Beara gemeinsam ermitteln. Beara absolviert inzwischen ein Studium des »Gehobenen Polizeivollzugsdienstes«. Gehring beißt sich die Zähne an einem wieder aktuell gewordenen Fall aus, den er vier Jahre zuvor im ersten Anlauf schon nicht bewältigt hat. Weil es dabei um das verschwundene Kind deutschstämmiger Kroaten ging, das man nun tot gefunden hat, glaubt der Hauptkommissar, in Beara, deren Familie aus Vukovar stammt, die ideale Ko-Ermittlerin zu besitzen. Und wieder müssen sich die beiden erst mühsam zusammenraufen, ehe sie der Wahrheit um das Verschwinden des kleinen Darijo Tudor auf die Spur kommen. Von DIETMAR JACOBSEN

SchneegängerEine Kinderleiche ist gefunden worden. Mitten im kalten Winter. Von einem Revierförster im Berliner Grunewald. Schnell ist klar: Bei dem Toten hat man es mit dem vier Jahre zuvor entführten und zu jenem Zeitpunkt 9 Jahre alten Darijo Tudor zu tun. Damals führten die Ermittlungen der Berliner Kripo allerdings ins Nichts. Einzige Vermutung: Die Täter mussten einem Irrtum erlegen sein. Statt den jüngeren Sohn des steinreichen Unternehmers Reinartz zu kidnappen, hatten sie den mit ihm leicht zu verwechselnden Darijo erwischt.

Dessen Mutter Lida war bei Reinartz als Haushälterin angestellt und wohnte gemeinsam mit Mann und Kind im Kutscherhaus von dessen Villa am Wannsee. Darijo, die Reinartz-Söhne und deren Freunde spielten gelegentlich miteinander. Doch obwohl sich der vermögende Villenbesitzer sogar bereitfand, die Million zu bezahlen, die als Lösegeld für das Kind seiner Angestellten verlangt wurde, hörte man von den Entführern fortan nichts mehr und der Junge blieb verschwunden.

Ein Fund im Winter

Nun ist er also wieder da, gewaltsam ums Leben gekommen, und neue Fragen tauchen auf. Etwa die, wer Darijo die schweren Verletzungen Monate vor seiner Ermordung zugefügt hat. Und zweifelhaft wird immer mehr, ob es sich bei dem Fall tatsächlich um eine Entführung handelte oder ob nicht ein ganz anderes Verbrechen geschickt vertuscht werden sollte?

Lutz Gehring jedenfalls, der damals bereits ermittelte und nun an den Ort seiner Niederlage zurückkehrt, fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Um ein besseres Gefühl zu bekommen, spannt er die junge Polizistin Sanela Beara, mit der er schon einmal erfolgreich zusammengearbeitet hat, ein. Die besitzt, wie er weiß, nicht nur viel Feingefühl, sondern gehört auch zur kroatischen Community von Berlin und kann sich deshalb vielleicht besser in die Tudors hineinversetzen.

Als das Duo entdeckt, dass kaum ein Jahr nach der Entführung Darijos die Haushälterin ihren Chef geheiratet hat und aus der Dienstbotenwohnung in die herrschaftliche Villa umgezogen ist, hat es auch gleich eine Vermutung. Doch undurchsichtige Rollen spielen auch eine junge Frau aus der Nachbarschaft, die sich in den älteren der Reinartz-Söhne verguckt hat, und Darijos Vater, der in einer Wolfsstation im Brandenburgischen arbeitet und die Trennung von seiner Familie nicht so einfach hinzunehmen gedenkt.

Von der Tellerwäscherin zur Millionärsgattin

Elisabeth Herrmann versteht es in ihrem aktuellen Roman erneut ausnehmend gut, Spannung zu erzeugen. Auch ihr Ermittler-Pärchen funktioniert in seinem zweiten Fall wieder vorzüglich. Und das, obwohl (oder gerade weil) die beiden so verschieden sind, der eine den Dienstweg nur ungern verlässt, während die andere ihre Spontaneität ungezügelt auslebt, was manchmal überaus gefährlich werden kann.

Auch der neuerliche Alleingang Bearas, die sich als Haushaltshilfe für ein paar Tage von Reinartz anstellen lässt, um undercover herauszufinden, was die ehemalige Angestellte an die Seite ihres Chefs gebracht hat und warum die beiden Reinartz-Söhne Tristan und Sigmund nach dem Verschwinden von Darijo Tudor aus dem Hause verbannt wurden, kostet ihr fast das Leben. Am Ende freilich hilft die risikoreiche Aktion, eine Wahrheit ans Licht zu bringen, von der auch der Leser, für den Herrmann auf den über 400 Seiten ihres Romans geschickt ein paar falsche Spuren ausgelegt hat, überrascht wird.

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Elisabeth Herrmann: Der Schneegänger
München: Goldmann Verlag 2015
447 Seiten. 19,99 Euro7

Reinhören und Reinschauen
| Interview mit Elisabeth Herrmann
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Edens verschlossene Tür

Nächster Artikel

Das Leben bleibt seltsam

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Ein interessanter Mann

Menschen | Roman | Neuer Brunetti-Roman zum 75. Geburtstag von Donna Leon am 28. September* Es gibt literarische Figuren, die bekannter sind als ihre Schöpfer. Das gilt für Georges Simenons Kommissar Maigret, für Agatha Christies Miss Marple, für Bella Block aus der Feder von Doris Gercke, für den Detektiv Wilsberg von Jürgen Kehrer und ganz sicher auch für Donna Leons Romanprotagonisten Guido Brunetti. Von PETER MOHR

Da hat man sich viel vorgenommen

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Dicker als Wasser (WDR), 19. April Dieser Fall führt uns tief in die Vergangenheit, auch ein Krimi hat seine Stereotypien, seine Schablonen, die ihm Struktur verleihen, als da wären der Actionfilm, der Psycho-Krimi, das Whodunnit-Muster, die Erpressung, die Beziehungstat usw. usf., die Welt ist bunt. Dieser ›TATORT‹ rückt vor allem die Vergangenheit gerade. Von WOLF SENFF

Die Griechen schreiben schon wieder Geschichte

Roman | Petros Markaris: Verschwörung

Kostas Charitos im Homeoffice? Wäre schön, aber das Verbrechen pausiert nicht während der Pandemie. Im Gegenteil. Gerade der Lockdown scheint sich auf dunkle Existenzen anziehend auszuwirken. Und so ist Athens Stellvertretender Kriminaldirektor auch schon bald wieder mit der Aufklärung heimtückischer Morde beschäftigt. Die diesmal – wie könnte es anders sein – einen bekannten Epidemiologen und den Fahrer eines Impfstofftransporters ins Jenseits befördern. Auch im 14. Fall für seinen bodenständigen Helden bleibt Petros Markaris dem Zeitgeschehen auf der Spur und verhehlt nicht seine Sympathie für diejenigen, die auch während des Lockdowns am wenigsten zu lachen haben und ihren Protest auf ganz eigene Art ausdrücken. Von DIETMAR JACOBSEN

Im Outback ist die Hölle los

Comic | Zidrou/Springer: Dickmadam, die lachte Der Comic ›Dickmadam, die lachte‹ führt auf eine einsame Straußenfarm im australischen Outback. Der Tod kennt dort sehr wohl eine Wiederkehr, wie ein Killer erleben muss, dessen Opfer seinem Schicksal trotzt – indem es nicht totzukriegen ist. CHRISTIAN NEUBERT wurde Zeuge der mit grimmigem Humor erzählten Blutbad-Ballade.

Auf sein Gefühl vertrauen, kann manchmal tödlich sein

Roman | Candice Fox: 606

Aus dem fiktiven Hochsicherheitsgefängnis Pronghorn in der Wüste Nevadas entfliehen fast sämtliche Insassen, 606 teils schwerkriminelle Häftlinge. Captain Celine Osbourne, die Leiterin des Todestrakts der Anstalt, ist vor allem daran interessiert, einen der Flüchtigen schnell wieder einzufangen: John Kradle, vor fünf Jahren wegen dreifachen Mordes verurteilt. Der freilich will die unverhoffte Gelegenheit dazu nutzen, endlich seine Unschuld zu beweisen und den wahren Mörder seiner Frau, seines Sohnes und seiner Schwägerin zu finden. Allerdings heftet sich gleich als die Gefängnismauern hinter ihm liegen ein gefährlicher Psychopath an seine Fersen. Und auch U.S. Marshal Trinity Parker, nicht zimperlich in der Wahl ihrer Mittel, setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um die entwichenen Schwerverbrecher schnellstmöglich wieder hinter Gitter zu bringen. Condice Fox 606 gelesen von DIETMAR JACOBSEN