Digitales | Life Is Strange: Out of Time
Mit einem idyllischen Sonnenuntergang schloss die letzte Szene des 3D-Adventures Life Is Strange: Chrysalis ab. Chloe und Protagonistin Max blickten in eine ungewisse Zukunft mit vielen ungeklärten Fragen. Was wird die Zeit wohl bringen? – Keine Ahnung, denn Dotnod lässt uns ziemlich hängen. Wo es anfänglich um die mysteriösen Zukunftsvisionen und das Verschwinden von Rachel geht, spielen nun Teenie-Stress und Alltagsdramen die Hauptrolle. Warum uns die Zukunft und Vergangenheit mittlerweile völlig gleichgültig sind, erfahrt ihr in unserem Test. Wie immer können wir keine Spoiler-Freiheit garantieren. Von PHILIPP LINKE (und EVA HENTER-BESTING).
Die Alpträume, die Max regelmäßig heimsuchen, stellen sich zu Beginn der zweiten Episode als grausame Zukunftsvision heraus. Was jetzt? Im Normalfall würden wir uns als Held der Handlung gewiefte Pläne ausdenken, um die Zukunft zu manipulieren oder wenigstens alle Bewohner von Arcadia Bay vor der nahenden Katastrophe warnen. Max… geht das alles gemütlicher an. Schließlich ist sie Highschool-Schülerin im besten Alter und Zeit hat sie eigentlich auch nicht. Außerdem müssen schwerwiegende Entscheidungen getroffen werden. Was gibt es am Mittag zum Imbiss? Belgische Waffel oder gar Bacon? Alles könnte ein Nachspiel haben…
Der Teenie-Simulator
Wenn wir uns nicht gerade mit Essen, Make-Up oder dem Suchen von Flaschen auf dem Schrottplatz befassen, spielen wir mit Max Superkräften, helfen Freunden im Unterricht oder infiltrieren wortgewandt die antagonistische Mädchengang. Die kleinen Szenen sind zwar kurzfristig unterhaltsam, kommen aber zu oft vor. Von der ursprünglichen Geschichte bleibt nicht mehr viel übrig. Einen Großteil der Zeit versuchen wir unsere blauhaarige Rebellenfreundin von Max‘ Kräften zu überzeugen – und das ist anstrengend.
Das Design der interaktiven Gespräche fällt in der zweiten Episode sehr mühselig aus. Oft müssen wir unsere ganzen Aktionen mehrfach wiederholen, weil wir unsere Glaubhaftigkeit oder das Leben unserer selten dämlichen Freundin verlieren würden. Aber nicht nur Chloe macht uns das Leben schwer, auch die Probleme einer Mitstudentin bereiten Max großes Kopfzerbrechen. Das Kursieren eines Ruf schädigenden Videos im Internet treibt ihre Kommilitonin buchstäblich an den Rand der Verzweiflung und uns an die Grenzen unserer Möglichkeiten.
Wir müssen zugeben, es hat seinen Reiz einen Teenie-Simulator zu spielen. Vor allem die Dialoge, die vor Pseudo-Jugendsprache strotzen und herrlich hölzern klingen, geben ›Life Is Strange: Out of Time‹ das gewisse Extra. Leider gelingt es Dotnod nicht immer, die Gespräche sinnvoll abzurunden, manche Themen lassen die Figuren abrupt fallen. Zudem haben viele von ihnen emotionale Probleme, die sich entweder in theatralischen Gefühlsausbrüchen oder aber in der Regungslosigkeit starrer Gesichter äußern. Mithilfe von Motion Capture wäre sicherlich eine eindrücklichere Serie authentischer Mienensprache möglich gewesen.
Nichts geht mehr.
›Out of Time‹ fühlt sich wie ein Zwischenspurt an, um all die mysteriösen Geschehnisse der ersten Episode aufzuschieben. Denn wirklich weiter kommen wir in der Story nicht, um alle aufgeworfenen Fragen wird ein weiter Bogen gemacht. Immerhin nimmt die Geschichte ab der zweiten Hälfte wieder an Fahrt auf, die nach dem eher mäßig spannenden Beginn dringend nötig ist. Eins hält uns Episode 2 aber bei aller Zurückhaltung vor Augen: Unsere Entscheidungen haben respektive Einfluss auf das weitere Geschehen. Während wir bei ›Chrysalis‹ noch dachten, unser Handeln verändere lediglich Kleinigkeiten und modifiziere marginal Gespräche und Cutscenes, so haben wir dieses Mal ein Repertoire an unwiderruflichen Folgen. Situationen, die auch nicht mehr mit Zeitmanipulationen abwendbar sind. Nichts geht mehr. Dennoch bleibt das Gefühl, dass das Potential der interaktiven Möglichkeiten nur angekratzt wird.
Weiter geht’s
Vor zwei Monaten gelang Dotnod ein gelungener Einstieg mit dem ersten Kapitel des Mystery-Krimis ›Life Is Strange: Chrysalis‹. So gespannt und erwartungsvoll wir der zweiten Folge entgegen sahen, so ernüchtert sind wir nach dem Durchspielen. Die zweite Episode wirkt wie ein erzählerischer Irrweg und im Vergleich wie ein rapider Spannungsabfall. Natürlich gehören Banalitäten zu einem Teenager-Alltag und passen damit wunderbar ins Konzept, allerdings summieren sich die Kleinigkeiten zu einem großen Haufen Langeweile. Der wird erst ab der zweiten Hälfte der Spielzeit langsam abgebaut, schafft es aber nicht, die Ernüchterung wieder gut zu machen. Wir wünschen uns mehr interaktive Möglichkeiten, mehr Spannung, mehr Aufklärung sowie bessere und authentische Emotionen in den Gesichtern der Figuren.
Und wir hoffen, dass vielleicht die dritte Episode dort anknüpft, wo die aktuelle einen doch vielversprechenden Abschluss findet.
Was also tun? Durchhalten, wenn die Geschichte in der ersten Folge überzeugt hat – ansonsten lieber eine zweite Runde ›The Walking Dead‹ oder ›The Wolf among us‹ einlegen, die bleiben konsequent spannend.