//

Der Western bleibt

Sachbuch | Anmerkungen zu Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität. Zur globalen Zirkulation des Western-Genres

Man sollte über den Western vielleicht keine nüchternen Texte verfassen, das ist nur unter Schwierigkeiten möglich, und Thomas Klein weist in seiner hier rezensierten grundlegenden Untersuchung zurecht wiederholt darauf hin, dass dieses Genre sich facettenreich entwickelt und sich erfolgreich behauptet, indem es seine Erscheinung chamäleongleich verändert. Nun denn. Vielleicht gibt es dennoch einige Leitfäden. Von WOLF SENFF

Abb: Public Domain
Abb: Public Domain
Einem zentralen Bruch des Western-Genres in den USA schenkt Thomas Klein, der sich auf den globalen Charakters des Genres konzentriert, wenig Aufmerksamkeit. Dieser Bruch ist verursacht durch den McCarthyismus der USA, der in den frühen fünfziger Jahren die US-amerikanische Kultur, Stichwort Kalter Krieg, strikt antikommunistisch ausrichtete, sozialistische wie linke politische Haltungen ächtete und de facto ausgrenzte.

Brainwash

Hier fand politische Indoktrination statt, die Kultur der USA wurde »gesäubert« und zwecks imperialer Verbreitung instrumentalisiert; wir kennen diverse Beispiele, etwa die kaltblütig betriebene Säuberung der Film- und TV-Industrie, die Verhöre von Bertolt Brecht vor dem ›Ausschuss für unamerikanische Umtriebe‹, die für Arthur Miller und Pete Seeger verhängten Haftstrafen, weil sie sich weigerten, vor dem Ausschuss auszusagen etc. p.p. – Beispiele im Überfluss.

Dass der Western vor dem kulturellen Brainwash des McCarthyismus auf intellektuell anspruchsvollem Niveau stand, lässt sich an Beispielen der vierziger Jahre problemlos belegen, etwa an Howard Hughes‘ ›The Outlaw‹ (1943), in dem die Geschichte Billy the Kids erzählt wird, von feiner ironischer Brechung unterlegt. Eine Original Schwarzwälder Kuckucksuhr misst die Frist bis zum Duell, welches dann doch einer spontanen Abrüstung wegen ausfällt.

Doc Holiday etc.

Wir erleben einen ans Absurde grenzenden Nervenzusammenbruch von Pat Garrett: »It sure is funny how two or three trails can cross and get all tangled up«, einen einsichtigen Billy the Kid: »Last night I was ready to kill you but in the daylight I can see things much better«, sowie Jane Russell als Rio, die für ein Pferd eingetauscht wird, und auch das darf als ironische Brechung verstanden werden. So kann’s gehen im Western.

›The Outlaw‹ amüsiert sich über Klischees, auch der Schluss ist ironisch gebrochen. Die zentralen Figuren Pat Garrett, Doc Holiday und Billy the Kid haben ihre Erfahrungen mit Freundschaft und Liebe verarbeitet, sie begegnen den Wechselfällen des Lebens konsequent, aber mit Humor und Gelassenheit, ›reif‹ und ›erwachsen‹.

Ein Western-Mythos welkt

pat garettDemgegenüber ist ›Pat Garrett jagt Billy the Kid‹, das Monumentalwerk Sam Peckinpahs von 1973, eher seicht, Ironie als Nebeneffekt, die Spannung beruht häufig auf kalkulierten Schockeffekten, schön schaurig wird der Schluss wie einst bei RTL Reality-TV inszeniert. Der kommerzielle Erfolg ist nicht zuletzt durch das Auftreten und die Musik Bob Dylans eingeplant, so gelingt Western mehr schlecht als recht.

Generell lässt sich an der Wyatt Earp/Doc Holiday-Erzählung der Niedergang eines zentralen Western-Mythos verfolgen; die bislang letzte Version, ›Wyatt Earp‹ (Lawrence Kasdan, 1994 mit Kevin Costner) war ein Debakel, der Film wurde mit diversen ›Razzie Awards‹, ›Zitronen‹, ausgezeichnet, u.a. für den ›worst director‹ und den ›worst actor‹.

Revolverhelden der 40er

Auf einem dem ›Outlaw‹ vergleichbaren anspruchsvollen Niveau liegt ›The Gunfighter‹ (Henry King, 1950), in dem Jimmy Ringo (Gregory Peck), der Revolverheld, immer wieder deutlich macht, wie verhasst ihm die eigene Lebensweise ist, drei Jahre zuvor ähnlich bereis in ›Gunfighters‹ (George Waggner, 1947) – wie sich heutzutage wohl die ›National Rifle Association of America‹ zu einem solchen Film stellen würde? Ein späteres Beispiel aus den Fünfzigern ist ›Red Sundown‹ (Jack Arnold, 1955), in dem die expansiven Pläne eines tyrannischen Rinderbarons, die von der Bank gefördert werden, zu Fall gebracht werden – wenn das keine aktuellen Themen sind!

Auch ›My Darling Clementine‹ (John Ford, 1946), in dem Henry Fonda als Wyatt Earp auftritt, hängt nicht an Klischees, sondern es ist in diesem Fall die angegriffene Gesundheit, die den Helden das Leben kostet. Ungewohnte Verhältnisse für einen Western, will sagen ›My Darling Clementine‹ spielt auf hohem Niveau.

Der Bruch des McCarthyismus

gunhillDer Western schlug jedoch spätestens seit Mitte der fünfziger Jahre andere Wege ein, vergleichbar dem Krimi, dessen Film-noir-Tradition unter der Propaganda des Kalten Krieges versiegte. Es wäre aufschlussreich, diesen Bruch detailliert zu untersuchen und nachzuweisen. Neu ist auch, dass der Western nun das Thema Sex und Gewalt – an das in ›The Outlaw‹ noch kein Gedanke verschwendet wird – in Besitz nimmt, unübersehbar z. B. in ›Forty Guns‹ (Samuel Fuller, USA 1957), und Vergewaltigung leitet ›Last Train from Gun Hill‹ (John Sturges, USA 1959) ein, einen Film, in dem ein lapidares Resumee gezogen wird: »The human race stinks«.

›Man in the Shadow‹ (Jack Arnold, 1957) ist ein Hybrid aus Krimi und Western; der Sheriff fährt Buick und tippt Schreibmaschine, der mächtige Rancher umgibt sich mit zeitgenössischem Hochsicherheitsaccessoire, u. a. einem zähnefletschenden German shepherd. Probleme von Herrschaft und Demokratie treten so offensichtlich zutage, dass man sich fragt, weshalb sie bis heute gänzlich unverändert fortbestehen.

Produktive Jahrhundertmitte

Zugegeben, ein Notebook hätte dem Sheriff das Tippen erleichtert und ein Handy hätte das Geschehen beschleunigt, aber neue Technologien lösen keine gesellschaftlichen Probleme. Aber nett. Sofern man über Schwarzweiß und ein Übermaß an musikalischem Beiwerk hinwegsieht.

Die vierziger, die fünfziger und noch die sechziger Jahre sind höchst produktiv, liefern aber alles in allem mehr Quantität als Qualität, und angesichts einzelner Anleihen aus der japanischen Samurai/Ronin-Tradition – ›Die glorreichen Sieben‹ (John Sturges, USA 1960) sind eine Adaption von Akira Kurosawas ›Die sieben Samurai‹ (Japan 1954) – wirkt das Genre hilf- und orientierungslos.

Neue Tendenzen

Kritik an den Klischees des eigenen Genres und Ironie begegnen uns wieder in den Italo-Western der frühen sechziger Jahre, europäische Filmproduktionen, die an die positiven Traditionen anknüpfen und das Genre relaunchen, verbunden jedoch mit einer Brutalisierung des Genres. Gegen Ende der Sechziger hat man den Eindruck, das Genre fasere aus, es tritt mit Terence Hill und Bud Spencer als ein Vorläufer der ›Spaßgesellschaft‹ so infantil auf, als wolle es sein eigener Totengräber sein.

›Barquero‹ (Gordon Douglas, USA 1970) zieht Spannung aus einer schrägen Figurenkonstellation mit Lee van Cleef als Fährmann und einer Horde Banditen, denen er die Überfahrt mit der Fähre verwehrt – die Fähre verbleibt am anderen Ufer –, wodurch eine eigenwillige Handlungsstruktur entsteht. In Kid Vengeance (Joe Manduke, USA 1977) wird ein Kind zum Racheengel, der Western bemüht emotional anrührende neue Motive – ›human interest‹ wird vom Boulevard abgekupfert – und führt darüber hinaus ein kaltblütiges Vergnügen am Töten vor, dazu gibt’s rohe Sexualität inklusive Vergewaltigung.

Anpassungsfähig, wandlungsfähig, stabil

zatoichi2003dvdDas Genre erweist sich als wandlungsfähig und höchst lebendig, indem es sich atmosphärische Tendenzen der Zeit einverleibt. Wir stoßen immer wieder auf ernstzunehmende Produktionen wie ›Unforgiven‹ (Emanzipation/ Clint Eastwood, USA 1992), ›Brokeback Mountain‹ (Homosexualität/ Ang Lee, USA/ Kanada 2005), ›Django Unchained‹ (Rassismus/ Quentin Tarantino, USA 2012).

Demgegenüber bleibt in Japan die Tradition der Samurai/Ronin-Filme ungebrochen; die TV-Serie ›Zatoichi‹ lief mit großem Erfolg seit den sechziger Jahren bis zum Ableben des Hauptdarstellers in den frühen neunziger Jahren. ›Zatoichi, der blinde Samurai‹, eine herrlich ironische Zugabe, wurde als Kinofilm 2003 von Takeshi Kitano inszeniert. Die Tradition des Western ist, wie wir sehen, trotz aller Barrieren global zuverlässig verwurzelt, sie tritt in Japan in vertrauter nationaler Eigenart auf, wir dürfen neugierig bleiben.

| WOLF SENFF

Reinschauen
| Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität. Zur globalen Zirkulation des Western-Genres
Im TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vorbeigeschrieben

Nächster Artikel

Gegen die Obrigkeit!

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Die Mitschuld tragen alle

Film │Im Kino: ›Spotlight‹ Gradlinig und doch verworren, weder Helden noch greifbare Feindbilder, aufwühlend und zugleich distanziert: ›Spotlight‹ ist ein Film, der nicht gesehen werden möchte. Aber der gesehen werden muss. Weil das Drehbuch auf wahren und immer noch aktuellen Begebenheiten beruht und weil Tom McCarthy diese Ereignisse brillant aneinanderreiht. Von der Academy of Motion Picture Arts und Sciences wurde der Mut, eine Geschichte zu verfilmen, die nicht das große Geld an den Kinokassen verspricht, aber in den gesellschaftlichen Diskursen der Kirche, des Journalismus und der individuellen Verantwortung notwendig erscheint, mit dem Academy Award, dem Oscar, ausgezeichnet. Zu Recht findet

Von toten Winkeln und Räumen

Digitales | Film | Games: Dead Space 2 Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen, nach der Sichtung der recht amüsanten Marketing-Kampagne »Your Mom Hates This« einen feinen Text zu EAs Horror-SciFi-Actioner ›Dead Space 2‹ zu schreiben. RUDOLF INDERST über das Grauen im All.

Im Reich des großen Bären

Film | Im Kino: Der große Bär (Den kaempestore björn) »Er ist zu gefährlich, um zu leben«, sagt der Jäger über den großen Bären. Sein Wald liegt jenseits der meterhohen Steinmauer um das Haus des Großvaters, den Jonathan und seine kleine Schwester Sophie besuchen. Nie dürften sie durch die kleine Tür in der Mauer durchschreiten, warnt der Großvater. Durch diese Tür verschwindet Sophie … Von LIDA BACH

Dünnes Eis – ein Ocean’s Film ohne »Danny Ocean«

Film | Im Kino: Ocean’s 8 Wenn keine geringere als die Schwester von Danny Ocean fünf Jahre im Knast verbringt – und das auch noch unschuldig – kann das nur eins bedeuten: Debbie Ocean nutzte die gesamte Zeit, um sich einen Racheplan auszudenken. Denn, was ihr Bruder kann, das sollte für sie doch ein Klacks sein! Der Schuldige, ein fieser Galeriebesitzer, wird büßen, soviel ist klar. Sie weiß auch genau, wie. Doch sie muss es allein schaffen, ohne ihren Bruder. Gelingt es, die beliebte Ocean’s-Reihe mit einer rein weiblichen Besetzung wiederzubeleben? ANNA NOAH sitzt mit gemischten Gefühlen in einem ungewohnten

Die Oper des 20. Jahrhunderts schlechthin

Film | DVD: Alban Berg – Lulu Nur zwei Jahrzehnte liegen zwischen der Entstehung des Rosenkavaliers und der Fragment gebliebenen Lulu. Was aber bei der Oper von Richard Strauss irritiert (und manche Fans gerade begeistert), dass Hugo von Hofmannsthal ein völlig anachronistisches Libretto beigesteuert hat, trifft auf Alban Bergs zweite Oper nicht zu: Hier haben mit Wedekinds Stück, das er aus seinem Erdgeist und der Büchse der Pandora kombiniert hat, und der Komposition des Schönberg-Schülers zwei Kunstformen zusammengefunden, die auf der Höhe der Zeit standen und bis heute den Anspruch der Modernität bewahrt haben. Von THOMAS ROTHSCHILD