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Gegen die Obrigkeit!

Kulturbuch | Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität. Zur globalen Zirkulation des Western-Genres

Oh, gäbe es eine Verschnarchtlandrangliste, wir nähmen Pole Position ein. Genau, ich rede vom Wir-sind-Papst-Land, vom Wir-sind-Weltmeister-Land. Das sind unsere Erste-Sahne-Parolen, sehr hilfreich, auf dass die Ohren auf Durchzug gestellt bleiben. Denn nein, Edward-Snowden-Land, das sind wir lieber nicht. Worum geht’s? Von WOLF SENFF

geschichte-mythos-identitaetKeineswegs, es geht hier nicht um die hochnotpeinliche Situation, dass ein befreundeter Geheimdienst de facto das gesamte Leben im Land ausspioniert und der eigene Geheimdienst nicht nur willfährig dabei zu Diensten ist, sondern sich darüber hinaus auch noch bei unseren Nachbarn in deren Häuser einschleicht und auskundschaftet. Wär’s nicht an der Zeit, dass da mal jemand von den hiesigen Helferlein die Augen öffnet, den Löffel wirft, den Bettel hinschmeißt oder auch nur Abschied nehmend kundtut, er wolle dieses Tohuwabohu nicht länger verantworten? Oder gar sagt: Mein Fehler, und träte zurück?

Um was geht’s?

Nein, peinlich ist da nichts mehr. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. Gut gebrüllt, gewiss, aber worum geht’s denn nun?
Ich sag’s doch, um die Verschnarchtlandliste. Oder anders gesagt, also als Frage formuliert: Wie kommen wir mit den Füßen wieder auf den Boden, wo ist der überhaupt hin, und welche Worte sind uns dabei hilfreich und von Nutzen?

Grundmuster Wildwest

Genau. Und damit sind wir, Sie werden es mir kaum glauben, beim Western-Genre, ich werde Ihnen ein Buch vorstellen, das den Western auf die Füße stellt, das ist doch ein Anfang, denn es geht um die Haltung: Dass man die Wirklichkeit wahrnimmt, nicht die Ohren auf Durchzug stellt und die Augen nicht verschließt, denn darum geht’s – raus aus Verschnarchtland.
Thomas Klein erweitert zunächst seinen Untersuchungsgegenstand, er bezieht den lateinamerikanischen, den australischen, den europäischen, den japanischen Film mit ein und stellt fest, dass seit der in den 1910er Jahren einsetzenden Verbreitung der US-Western ein Grundmuster ›Western‹ existiert, das sich national verschieden ausprägt.

»History on its head«

Historisch gesehen handle es sich um einen »postkolonialen Kontext« und, ausgehend von den USA, um eine »kulturimperialistische Strategie«, denn »in vielen Kolonien war es beispielsweise notwendig, dass die Kolonisierten in die Kolonisierung integriert wurden«. Der Wild-West-Film habe die Blaupause für diese Integration geliefert und instrumentalisiere die Geschichte der indigenen indianischen Bevölkerung für diese Zwecke. Hinzu komme eine filmische Tendenz des »othering«, ein Konzept des Fremdmachens, der Andersartigkeit des Fremden als Ausdruck einer seit jeher eurozentristischen kolonialen Perspektive.

Thomas Klein führt überzeugende Beispiele an und zitiert aus einer Untersuchung von Ella Shohat und Robert Stam: »The Hollywood western turns history on its head by making native Americans appear intruders on their own land«, der amerikanische Frontier-Mythos mit seiner Idee einer Hierarchie der Geschlechter und der Ethnien, mit der Idee des Fortschritts entspreche einer »imperialen Imagination«.

Kultur einer Hegemonialmacht

Der Wild-West-Film ist ein äußerst vielschichtiges Phänomen, das Genre, so Thomas Klein, sei national unterschiedlich besetzt und es unterliege dem Wandel durch die Zeit, er verweist auf neue Entwicklungen in den 60er und 70er Jahren, auch sei der Genozid an der indigenen Bevölkerung der USA keineswegs der zentrale Inhalt des Western. Nun sind wir beinahe so klug als wie zuvor.
Klein macht in diesem Teil der Untersuchung auf ein historisches Faktum aufmerksam, das in der hiesigen Medienwirklichkeit immer noch distanzlos und folglich unkritisch hingenommen wird, auf den Aufstieg der USA zur Hegemonialmacht mitsamt der unvermeidlichen kulturellen Begleitmusik, und schon bin ich wieder beim Western.

Vielfalt des Genres

Analytisch hilfreich unterscheidet er – Rick Altman folgend – zwischen der »Syntaktik« und der »Semantik« der Western. Ersterem wäre etwa der Frontier-Mythos mit seinen Gut-Böse-Klischees zuzurechnen, letzterem so charakteristische Figuren wie der Cowboy, der Outlaw, der Sheriff, außerdem bestimmte typische Situationen. Sie sind uns geläufig: die Postkutsche, das Lagerfeuer, das Shootout/Showdown etc. pp.

Aus einer detaillierten Untersuchung von Standardsituationen beschreibt er die Vielfalt innerhalb des Genres, etwa entlang den verschiedenen Nationalitäten, und es erweist sich, dass auch der australische Bushranger-Film, einige Jahre früher entstanden als der USA-Western, diesem Genre zuzurechnen ist, die Welt des Western ist diffizil, auch Australien kennt eine Frontier-Zeit, den Konflikt zwischen Siedlern und Natives, und erfährt einen eigenen ›goldrush‹.

Ein globalisiertes Genre

Der australische ›Bitter Springs‹ (Ralph Smart, 1950) zeige deutliche Ähnlichkeiten zu Hollywoods ›Broken Arrow‹ (Delmer Daves, 1950), auch Aborigines im Film erfahren das ›othering‹, und erst in Filmen der siebziger Jahre werde der Umgang mit Aborigines kritisch reflektiert. Die Entwicklung des Genres in Australien bleibe hochinteressant: ›The Tracker‹ (Rolf de Heer, 2002) sei eine Mimikry des Western, eine »counter narrative in einem postkolonialen Kontext«, und »es ist davon auszugehen, dass die Diskussionen zum Verhältnis zwischen dem australischen Kino und dem Western nicht abbrechen werden«, ein Anlass zu Freude und Neugier. Der lateinamerikanische bzw. mexikanische Western sei vor allem als Revolutionsfilm ausgeprägt.

Das ›Shootout‹ in der japanischen Samurai-Variante werde bekanntlich mit dem Schwert ausgetragen; Thomas Klein weist auf weitere Entwicklungen hin, etwa darauf, dass das ›Shootout‹ im europäischen Italo-Western der 60er und 70er Jahre einen reflektierenden, ironisierenden Charakter hat. Das Genre sei mittlerweile global in verschiedenen Ausprägungen etabliert, höchst lebendig und dürfe nicht dogmatisch in ein Korsett gezwängt werden.

Gewalt und Moral

Am Beispiel des Outlaws zeigt er en détail, wie reale Figuren, etwa Jesse James in den USA oder Ned Kelly in Australien, aus ihrer realen Biographie gelöst und filmisch stilisiert werden, bis ihnen die »Coolness des Westernhelden« zukommt, und Ned Kelly wird in Jordans Verfilmung von 2003 zum »Symbol für den Widerstand gegen eine ungerechte koloniale Obrigkeit«, ein für die australische Variante typischer Bushranger-Outlaw wie zuvor bereits ›Mad Dog Morgan‹ (1976) oder in diversen Adaptionen ›Captain Starlight‹, und letztlich sei sogar Dennis Hopper in ›Easy Rider‹ (USA 1969) »der Outlaw, der das Pferd gegen das Motorrad eingetauscht hat, der sich gegen Autoritäten und das Gesetz widersetzt, auf der Suche nach dem amerikanischen Freiheitsgedanken«.

Auch der mexikanische Bandit verkörpere Auflehnung gegen die etablierte Obrigkeit, er agiere wie die anderen Outlaw-Figuren dort, wo Gewalt zwar gegen Gesetze verstoße, aber moralisch gerechtfertigt sei, weil bestehende Ungerechtigkeit beseitigt werde. Die mexikanische Wild-West-Variante ist durch die Revolutionszeit um die Wende zum Zwanzigsten Jahrhundert geprägt.

Ein Mythos der Alternativlosigkeit

Der Charro, die Outlaw-Figur dieser Western, sei ein durch die Revolution sozial abgewerteter ehemaliger Haziendero, die Maske etwa in den Zorro-Verfilmungen sei ein typisch mexikanisches Requisit. Der Cangaciero sei der brasilianische, der Gaucho die argentinische Variante des Outlaws, die Ronin und Yakuza japanisch.

Thomas Klein legt eine facettenreiche Untersuchung vor, die den Blick auf das Western-Genre aus einer beengten Perspektive befreit und gleichzeitig eine historisch stimmige Kontextualisierung leistet, frei von Klischees und auf nationale Kontexte eingehend. Man vermisst lediglich den weitergehenden Schritt, mit dem der Western als ein vor Gewalt triefendes Genre eingeordnet wäre, das nichts anderes kennt, als Konflikte gewalttätig zu lösen, und insofern ein langanhaltend wirksames Modell für politisches Handeln perpetuiert, gewissermaßen einen Mythos der Alternativlosigkeit begründet und zementiert. Nun denn, die aktuell beobachtbaren Auflösungserscheinungen des Genres – als Ausdifferenzierung ansatzweise thematisiert – dürften vor diesem Hintergrund ein positives Signal sein.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Thomas Klein: Geschichte – Mythos – Identität
Zur globalen Zirkulation des Western-Genres
Berlin: Bertz + Fischer 2015
316 Seiten, 25 Euro

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