Film | Serie | Im TV: Das Verschwinden am 22., 29., 30., 31. (ARD)
Der Schluss kommt hammerhart. War das ein Krimi? Schon, gewiss, ja, doch das interessiert weniger. Und nein, eine Schusswaffe taucht nirgendwo auf. Eine vierteilige Serie, jeder Teil hype-mäßig als Doppelfolge angekündigt, also voll das Gewese. Und? Lohnt sich’s? Ja, das würde WOLF SENFF so sagen, doch, unbedingt.
Das Casting muss auf adäquates Personal Wert gelegt haben, jede Figur wirkt von vornherein grenzwertig, oder sagt man besser: vom Leben gezeichnet? Michelle, die die kompletten Folgen hindurch ihre Tochter sucht, setzt ihr soziales Beziehungsgeflecht mitsamt Beruf und die Beziehung zur kleineren Tochter aufs Spiel. Diese Beharrlichkeit verändert die Welt drumherum und demaskiert die anderen. Michelle tut sich damit keinen Gefallen, aber sie will halt wissen, was geschehen ist. Logisch.
Eltern und ihr Nachwuchs
»Stellen Sie eine Kerze ins Fenster. Vielleicht sieht sie das Licht. Dann kommt sie.« Sehr einfühlsam hört sich dieser Rat nicht eben an, nein. Man möchte das schwarzmalende Filmepos zurecht in die Tradition des Film Noir stecken, auch wenn uns das kaum klüger macht. Der Schluss kommt hammerhart.

Eine so aparte Figur wie Nina Kunzendorf spielt die überspannte, ausgezehrt wirkende Gattin, ein bejammernswertes Schrapnell aus der morbiden Welt unserer Besserverdiener. Crystal Meth macht an sozialen Grenzen nicht halt. Der Film blättert diverse Problemzonen auf: Integration in einer spießigen Wohngegend, prekäre Lebenswelten, sexuelle Übergriffe, Abgründe zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs. Das wären übrigens, blicken wir kurz zurück, treffende Themen für unsere im TV debattierenden Kanzlerkandidaten gewesen, aber kamen sie nicht drauf, nun ist’s vorbei.
Hohe Professionalität
Das Thema ›Ich suche mein vermisstes Kind‹ ist ja, nach Unterhaltungswert beurteilt, ein spitzenmäßiger Langweiler. Und in der dritten Folge – nach zweihundertfünfzehn Filmminuten – endlich der entsprechende Klopfer. »Na?«, wird gefragt, »Zufrieden? Passiert mal was?« Langeweile? Echt jetzt? Das täuscht aber gewaltig, da hat jemand komplett nicht aufgepasst, denn der Film steckt voll unterschwelliger, subtiler Dramatik. Der Schluss kommt hammerhart.
Sind gleich drei Freundinnen im Spiel, die teils ähnlich, teils grundverschieden mit voller Kraft gegen Wände anrennen, und Eltern, die auf der anderen Seite derselben Wand stehen und nichts kapiert haben. Der Film überzeugt nicht durch atemlose Krimi-Handlung, triefendes Blut, Messerstiche, Ballerei etc., sondern es gelingt ihm, fesselnde Spannung aus dem brüchigen Netz der Beziehungen zu ziehen. Das wird uns nicht oft angeboten.
Selten genug
Man könnte versucht sein zu behaupten, dieser Film verführe Leute zum Nachdenken, aber besser sagt man’s nicht, weil das unsere Couch Potatoes und unsere Ikke-Hüftgold-Fans in gleicher Weise abschrecken würde, Mitdenken und Mitempfinden sind in diesen Parallel-Universen total uncool, dabei wäre ausgerechnet ihnen dieser faszinierende Film recht liebevoll nahezulegen.
Alle anderen werden ihn sich eh nicht entgehen lassen, kommt ja selten genug vor, dass uns das angeboten wird. Vier Folgen à neunzig Minuten. Der Schluss? Der Schluss kommt hammerhart, nun wissen Sie’s.
Titelangaben
Das Verschwinden
am 22., 29., 30., 31. Oktober
jeweils 21:45 Uhr, ARD
Regie: Hans-Christian Schmid
Drehbuch: Bernd Lange, Hans-Christian Schmid
Hauptdarsteller:
Julia Jentsch (Michelle Grabowski)
Johanna Ingelfinger (Manu Essmann)
Saskia Rosendahl (Laura Wagner)
Musik: The Notwist
Ich habe den ersten Teil schon vorab in der mediathek gesehen und kann die Sichte des Kommentators nur bestätigen. Der Film, bzw. die Serie geht unter die Haut, wenn man ihn lässt.