Falsche Erwartungen

Jugendbuch | Laura Foster: Der Fluch von Cliffmoore

Ein Umzug in ein Dorf in England, ein altes Cottage, in dem es nachts unheimlich zugeht, Familiengeheimnisse und das Raunen von einem alten Fluch sind es, mit denen dieses Buch ins Abenteuer lockt. Dieses Versprechen erfüllt es nicht. Und wenn sich jemand verflucht vorkommt, dann höchstens die nichtsahnende Leserin, die hier auf das Banalste abgespeist wird. Von MAGALI HEISSLER

CliffmoreLisa fühlt sich vom Unglück verfolgt. Die Eltern haben sich getrennt, sie muss mit ihrer Mutter, einer Britin, in deren Heimatort nach England ziehen. Damit hat sie ihre Freundinnen verloren, muss sich eine neue Schule und überhaupt eine neue Welt erobern. Schon der Weg in die neue Welt ist furchtbar. Nicht nur musste die Heldin um vier Uhr in der Frühe aufstehen, nein, auch andere Menschen waren in Scharen unterwegs. In England sprechen alle englisch, Regen fällt nass. Gekrönt wird der Horror durch einen Fehltritt auf den Fuß des süßesten Jungen, den Lisa in all ihren knapp vierzehn Jahren je gesehen hat.

Das Cottage, in das sie ziehen, hat ihrer Großmutter gehört. Eigentlich ist es ganz gemütlich, nur nachts rappelt es mal oben, mal unten und knarren tut’s auch. Da kann so ein Teenagerherzchen schon schneller schlagen!

Richtig lospocht es aber, als Lisa aufgeht, dass die neue Schule das Tragen einer nicht modischen Schuluniform bedeutet. Als sie in der Schule schließlich auch noch den süßesten Jungen der Welt wiedersieht, verhindert nur der Umstand, dass das Buch noch kaum dreißig Seiten alt ist, den sofortigen Infarkt der blonden Schönheit, knapp 1,70 m groß, prima Figur, rehbraune Augen.

Von allem etwas und nichts richtig

Man ist gut beraten, wenn man sich spätestens beim Wiederauftauchen des schönen Ben mit den blauen Augen vom Abenteuer mit Fantasy-Einschlag auf Teenager-Schnulze ein gutes Stück unterhalb der besseren Mitte einstellt. Die Autorin liefert jedes Versatzstück des Genres. Die ‚bitch‘ mit Anhang und Klauen im süßen Jungen, Herzeleid der Heldin, die sich doch gar nicht verlieben will, eine treue Freundin, die immer Rat weiß, oder zumindest Nugat parat hat, denn ihr Onkel besitzt eine Schokoladenfabrik, Lehrerinnen und Lehrer, die aus einem Kuriositäten-Kabinett des 19. Jahrhunderts stammen, Shoppingtour, Schminkparty und, ganz klar, Pizza.
Als sei das nicht genug, wird mit der Darstellung des englischen Hintergrunds genauso verfahren. Es ist ein billiges, vor allem verstaubtes Tourismus-England, das auch nicht aktueller wird, wenn man Harry-Potter-Anspielungen daruntermischt.

Dazu gibt es die Probleme mit der Trennung der Eltern, Papas neuer Freundin (ein blondes Biest), Mamas möglichem neuen Partner (mit zwei Kindern, eins davon ein Emo-Girl – gibt es die überhaupt noch?), drohende Arbeitslosigkeit und, natürlich, dieser Fluch da, der der Autorin dann auffällt, wenn ihr nichts einfällt.

Der Fluch wiederum hat mit Mamas Vergangenheit zu tun, mit dem Friedhof, zauberischen Kristallen, Löwe und Einhorn – Lisa hatte einen schottischen Großvater – einem Geheimgang und Voodoo, was unsere zartbesaitete Schönheit dazu veranlasst, mal eben Löcher in die Kirchenmauer zu hauen, weil sie Ziegelstaub für den Abwehrzauber braucht. Wer nun glaubt, damit sei das Ende dessen erreicht, was eine einzige Autorin in eine bis dahin schon sinnlose Geschichte schreiben kann, die hat sich selten so geirrt. Hier gibt es alles, dafür nichts richtig.

Girlie-Chicklit, trallala

›Der Fluch von Cliffmoore‹ ist weniger als Geschichte, als vielmehr deswegen interessant, weil es zeigt, dass Erzählen sich eben nicht darum dreht, beliebige Teile eines Bausatzes ebenso beliebig aneinanderzureihen. Selbst einfache Genreliteratur erfordert einige Überlegung im Vorhinein. Das fehlt hier. Serviert werden vage Ahnungen, überkommene, aber nie hinterfragte Vorstellungen vom Familienleben ebenso wie etwa vom englischen Alltag, vom Essen, von Schule, selbst vom Teenagerleben. Nichts entwickelt Tiefe, keine Figur, kein Geschehen, dafür bekommt man das nächste Klischee. Wer nie geglaubt hat, wie viele von der Sorte es gibt, lese das Buch.
Lisa ist manchmal vierzehn, dann darf sie sich als Erwachsene aufführen, etwa bei ihren Recherchen zur Familiengeschichte. Sie soll unsicher sein, ist aber vom ersten Tag an zur Siegerin auserkoren. Nirgendwo wird gezeigt, dass sie sich anstrengen muss. Ihre Probleme lösen sich schnellstmöglich in Luft auf. Am Ende hat sie nicht nur ein gutes Zeugnis, sie sticht auch die »bitch« beim Tanzwettbewerb aus. Kein Wunder, dass das arme Ding überreagiert und kriminelle Energie entwickelt. Lisa sieht das nicht so, sie erkennt, dass es daran liegt, dass ihre Gegnerin mutterlos aufwuchs. Damit ist man zu Mordanschlägen prädestiniert, keine Frage.

Der oberflächliche Ton des Ganzen macht aus dieser Geschichte dann endgültig eine Vorform der albernen Romanzen, in denen Liebe und Konsum die Hauptrollen spielen. Unangenehm ist, dass so etwas einem so jungen Publikum vorgesetzt wird. Nirgendwo hier wird die Neugier der kleinen Leserinnen auf die Welt, auf Menschen, auch auf Rätsel und Geheimnisse angeregt. Stattdessen bekommen sie Kitsch, Klischees und schiere Dummheiten. Nichts wird wirklich ernst genommen, am wenigsten die kleinen Leserinnen. Humor sucht man vergeblich, dafür findet man jede Menge abgedroschener Witzeleien. Mit so etwas wird ein junges Publikum dumm gehalten, ehe es noch die Chance hat, ein bisschen gescheiter zu werden. Oberflächliches Trallala, also, für künftige Girlies.

Und das war nur der Anfang. Ein zweiter und dritter Band warten schon. Ob doch etwas dran ist an dem Fluch?

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Laura Foster: Der Fluch von Cliffmoore
Ravensburg: Ravensburger Buchverlage Otto Maier 2015
380 Seiten. 14,99 Euro
Jugendbuch ab 12 Jahren
Erwerben Sie dieses Buch bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Far, far away

Nächster Artikel

Vakuum und Wahrheit

Weitere Artikel der Kategorie »Jugendbuch«

Dinge ändern sich

Jugendbuch | Lara Schützsack: Sonne, Moon und Sterne Der Sommer wird eine Katastrophe: Der Familienurlaub in Dänemark fällt ins Wasser, Gustavs Eltern brauchen eine Auszeit voneinander. Und dann stecken die Ferien doch voller Überraschungen. Von ANDREA WANNER

Blinder Aktionismus – und die Folgen

Jugendbuch | Robin Stevenson: Der Sommer, in dem ich die Bienen rettete Betrachtet man die Welt, kann einer schon angst und bange werden. Boden, Meer, Wälder, Flüsse, Tiere und auch noch die Politik, alles scheint im Untergang begriffen. Dagegen muss etwas getan werden, jetzt und auf der Stelle! Die Folgen von blindem Aktionismus sind jedoch nie die, die man erwartet hat. Robin Stevenson zeigt schmerzhaft deutlich, wie und warum das so ist. Von MAGALI HEISSLER

Die Macht des Gewohnten

Jugendbuch | Karen-Susan Fessel: Liebe macht Anders Sie sind fünfzehn. Der Schulunterricht hat wenig Bedeutung für sie, was das Leben sonst verspricht, viel mehr. Sie wollen ihre Kräfte messen, sie posieren, schlüpfen in Rollen und sind überzeugt, die Welt zum ersten Mal zu entdecken. Sie glauben an ihre eigene Macht und übersehen, dass diese nur die Macht des Gewohnten ist. Wenn etwas Ungewöhnliches auftaucht, scheitern sie an Kinderängsten. Dann können sie gefährlich werden. Karen-Susan Fessel hat in Liebe macht Anders ein raffiniertes Psychogramm von Teenagern vorgelegt, das zugleich ein ungutes Licht auf die Gesellschaft wirft, deren Kinder sie sind.

Wie es sich anfühlt, wenn man vor den Nazis gerettet werden muss

Jugendbuch | Peggy Parnass: Kindheit. Wie unsere Mutter uns vor den Nazis rettete Man weiß es ja. Man hat davon gehört. Es gibt sogar ein paar Bücher darüber, dass jüdische Eltern ihre Kinder nach England oder Schweden schicken durften und ihnen dadurch das Leben retteten. Es kann einer insgeheim ganz wohlig werden bei dem Gedanken, geht es doch ums Gerettet werden. Gut, dass es Peggy Parnass gibt. Sie war eines dieser Kinder und erzählt, wie es sich wirklich anfühlt, wenn man von den Eltern derart gerettet werden muss. Von MAGALI HEISSLER

Notgemeinschaft und die Folgen

Jugendbuch | Patrycja Spychalski: Heute sind wir Freunde Fünf Jugendliche, die in der leeren Schule festsitzen, draußen ein tobender Sturm – das kommt einer so bekannt vor, dass man das Buch eher mit geringen Erwartungen aufschlägt. Zwei, drei Seiten genügen für die Einsicht, dass man sich selten so geirrt hat. Spychalski ist eine Autorin, die immer überrascht, und das tut sie auch mit ihrer neuen Geschichte einer kleinen Notgemeinschaft. Und den Folgen. Von MAGALI HEISSLER