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Im Zentrum – der Mensch: GIACOMETTI-NAUMAN

Austellung | GIACOMETTI-NAUMAN – Schirn Kunsthalle Frankfurt

Zwei Künstler aus zwei verschiedenen Generationen und Kulturkreisen, die unterschiedlicher nicht sein können: Eine umfassende Schau mit rund 70 Werken zeigt überraschende und bislang nicht gesehene Verbindungen im Werk von Alberto Giacometti (1901–1966) und Bruce Nauman (*1941). PETRA KAMMANN hat die Doppelschau in der Kunsthalle Schirn besucht.

GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
»Warten auf Godot« ist geradezu in unsere Alltagssprache eingegangen und zu einem Synonym für langes und aussichtsloses Warten geworden. In Samuel Becketts so bekanntem wie absurdem Theaterstück passiert rein gar nichts. Für die beiden Protagonisten sehen alle Tage der Vergangenheit gleich aus. Im Mittelpunkt des Nichtgeschehens steht allein das Warten Estragons und Wladimirs auf Godot. Während sie endlos warten, beschimpfen und versöhnen sie sich wechselseitig und treiben Gymnastik.

Vielleicht hat der irische Autor Beckett mit seinem minimalistischen Godot-Stück sowohl Pate für die langen, schlanken raumgreifenden Skulpturen des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti gestanden für als auch für die streng auf Wiederholung bedachte körperbetonte Konzept- und Performancekunst des US-Amerikaners Bruce Nauman.

Was die beiden in ihren Ausprägungen nicht nur generationsmäßig so unterschiedlichen Künstler, die immerhin 40 Jahre voneinander trennen, in der Doppel-Schau der Frankfurter Schirn dann aber doch miteinander verbindet, scheint die Sisyphos-Arbeit in der Beschäftigung mit dem (eigenen) Körper, dem Raum, der Leere und dem Scheitern als ständiger Inspirationsquelle zu sein. Etwas auf den ersten Anschein ebenfalls Absurdes.

GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
Und doch steht im Zentrum beider Künstler, Giacometti und Nauman, der Mensch. Im geschickt aufgeteilten Raum der Schirn spürt man förmlich, wie stark die beiden künstlerischen Einzelgänger aus ihrer selbst gewählten Isolation heraus arbeiten. Haben sie deswegen gemeinsame Bezugspunkte? Mag sein. War Beckett für den Schweizer Bildhauer in Paris seit 1937 ein enger Wegbegleiter und Freund, für den Giacometti einen kargen anthropomorphen Baum aus Gips für das Bühnenbild im Théâtre de l’Odéon schuf, so waren Becketts Romane und Dramen für Bruce Nauman in den 1960er Jahren eine stete Inspirationsquelle, die er u. a. in seinem Video ›Slow Angle Walk‹ von 1968 verarbeitete, der auch ›Beckett Walk‹ genannt wird, einmal abgesehen davon, dass Beckett selbst 1981 ein für den Süddeutschen Rundfunk entstandenes Fernsehstück ›Quadrat I und II‹, in dem drei Figuren auf einer quadratisch ausgeleuchteten Bühne agieren, produzierte.

In diesem frühen Videotape ›Slow Angle Walk‹ bewegt sich der Darsteller, Nauman selbst, mit gestreckten Beinen kreuz und quer durch sein Atelier, ohne sich um die Logik der geraden Linie zu kümmern, während der menschliche Körper dabei von der auf der Seite liegenden Kamera als »Instrument des Bewusstseins« aufgenommen wird. Dieser Vorgang jedenfalls kommt der Beschreibung in Becketts Text ›Molloy‹ nahe, in welchem der Protagonist mit steifen Beinen vorwärts stolpert. Beckett nutzt den Akt des Gehens, um einen bewegten Stillstand, in dem der Leser Zeuge seines körperlichen und geistigen Verfalls wird, in Szene zu setzen. Nauman greift das ziellose Hin- und Hergehen wie das endlose Abschreiten der immer gleichen Wegstrecke auf. Jedenfalls korrespondiert die rhythmische Struktur der Schritte mit der repetitiv-monotonen Struktur der Handlung bei Beckett.

Alberto Giacometti, Homme qui marche / Walking Man, 1960, Bronze, 190 x 112,5 x 28 cm, Louisiana Museum of Modern Art, Donation: The New Carlsberg Foundation © Alberto Giacometti Estate (Fondation Alberto et Annette Giacometti + ADAGP) Paris, 2016
Alberto Giacometti, Homme qui marche / Walking Man, 1960, Bronze, 190 x 112,5 x 28 cm, Louisiana Museum of Modern Art, Donation: The New Carlsberg Foundation © Alberto Giacometti Estate (Fondation Alberto et Annette Giacometti + ADAGP) Paris, 2016
Scharfe Reduktion und Sparsamkeit der künstlerischen Mittel verbinden alle drei Künstler miteinander, wenn sie das Gehen im Raum darstellen, wie beim raumgreifenden ›Homme qui marche‹ Giacomettis. Nach solchen Verbindungssträngen hat die Kuratorin Esther Schlicht in der Gegenüberstellung der so verschiedenartigen Künstler gesucht und dabei klare strukturierende und vergleichbare Themenbereiche geschaffen wie: ›Die Leere‹, ›Figur und Raum‹, ›Theater des Absurden‹, ›Objekte der Begierde‹, ›Malerei und Prozess‹, ›Das Maß der Dinge‹ und ›Körper und Fragment‹. Passend dazu hat sie im schmalen Bau der Schirn eine entsprechende Ausstellungsarchitektur entwickelt, welche die gemeinsamen Bezüge hervorhebt und die einzelnen Werke atmen oder den Betrachter das Eingeschlossensein des dargestellten menschlichen Körpers förmlich erleben lässt.

Obwohl die beiden so bekannten und gut erforschten Künstler, welche in ihrer Zeit die Bildhauerei revolutioniert haben, einander nie begegnet sind und sich auch nie explizit aufeinander bezogen haben, treten zentrale Werke auf diese Weise sowohl räumlich als auch inhaltlich in ein Zwiegespräch ein, sodass dem Werk des jeweils Anderen dabei auch neue Seiten abgerungen werden können. Unabhängig davon kann der Betrachter auch bestens das jeweilige – bisweilen durchaus irritierende – Einzelwerk auf sich wirken und sich zu neuer Wahrnehmung verleiten lassen wie bei den zu Miniaturen höchst differenziert verkleinerten Figuren der späten 1930er und frühen 1940er Jahre Giacomettis, wo die Lebensgröße der Menschen als Referenz wegfällt, oder in der Beschäftigung mit dem nackten ungeschützten Körper bei Nauman, die einem oft brutal nahekommt. Ein andermal wird der leere Raum als sichtbare Dimension spürbar wie in Giacomettis ›La Cage‹ oder Naumans ›Shelf Sinking into the Wall with Copper-Painted Casts oft he Spaces Underneath‹.

Alberto Giacometti, Grande femme IV, 1960, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Denmark, Donation: The New Carlsberg Foundation © Alberto Giacometti Estate (Fondation Alberto et Annette Giacometti + ADAGP) Paris, 2016
Alberto Giacometti, Grande femme IV, 1960, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, Denmark, Donation: The New Carlsberg Foundation © Alberto Giacometti Estate (Fondation Alberto et Annette Giacometti + ADAGP) Paris, 2016
Zu sehen sind in der Schau ›Giacometti-Nauman‹ hervorragende Stücke aus den berühmtesten Museen Europas und den USA, darunter das Guggenheim Museum in New York, die Tate in London, das Centre Pompidou in Paris oder das Louisiana Museum of Modern Art. Es ist eine wahre Freude, vor allem die bekannten Hauptwerke von Giacometti aus allen Schaffensphasen hier anzutreffen wie u. a. die berühmte Bronzestatue ›Homme qui marche‹ aus dem Jahr 1960, jener leicht nach vorne strebende und gebeugte Mensch mit den dürren Beinen und großen klobigen Füßen. Oder auch die ›Grande femme IV‹ mit ihrem schmalen Oberkörper und breitem Becken – die wohl bekanntesten Werke des Schweizer Künstlers. Gezeigt wird auch das berühmte, mehr als zwei Meter hohe Bronze-Bein ›La jambe‹ (1958) aus dem Lehmbruck Museum Duisburg oder ›Le Nez‹ von 1947 aus dem New Yorker Guggenheim Museum, während wir hier von dem 40 Jahre jüngeren Nauman vor allem dem Frühwerk der 1960er und beginnenden 1970er Jahre begegnen aber auch den ›Ten Heads Circle / In and Out‹ aus den 1980er Jahren, wo er wieder zur Skulptur zurückgekehrt ist.

Die Ausstellung beginnt mit einer Gegenüberstellung zweier Frühwerke, die fast noch ungeschlacht wirken. Alberto Giacomettis ›Objet invisible (Mains tenant le vide)‹ von 1934/35 aus der Fondation Marguerite et Aimé Maeght im südfranzösischen Saint-Paul und ihm gegenüber Bruce Naumans stark blendendes ›Lighted Center Piece‹ von 1967. In beiden Werken ist aber schon das Phänomen des Unsichtbaren, der Leere, angelegt – ein Thema, das sich durch die gesamte Ausstellung zieht. Um das Fragmentarische des Körpers wie Nase, Hand, Kopf oder um ein überdimensioniertes Bein, geht es dann im letzten Saal der Frankfurter Schau. Giacometti, der von seinem Rückzug in die Schweiz wieder in das zum Teil zerstörte Paris zurückgekehrt war, zeigt den entfremdeten Menschen nach den Katastrophen des Zweiten Weltkriegs.

GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
GIACOMETTI-NAUMAN, Ausstellungsansicht © Schirn Kunsthalle Frankfurt, 2016, Foto: Norbert Miguletz
Nauman hingegen setzt sich in den 60er Jahren größtenteils mit der Fragmentierung der Sprache und des Körpers auseinander. In den 80er Jahren werden für ihn dann die realistisch bis drastischen Abgüsse einzelner Körperteile bedeutsam, die eine andere brutale Wirklichkeit ausstrahlen als Giacomettis Skulpturen. Über einem Kreis pendeln die grellen farbigen gegeneinander schlagenden Wachsköpfe. Als Paare hängen sie von der Decke herab. Hier scheint der Kreis der Kommunikation vollständig unterbrochen.

Während Giacometti als Vertreter der klassischen Moderne sein eigenes, originäres, weil anders proportioniertes Menschenbild entwirft, kreisen die Werke Naumans in seiner Performancekunst um die Aggressivität des Körpers. Da drückt er zum Beispiel drastisch seinen ausgestreckten Zeigefinger gewaltsam und unerbittlich in Auge und Nase oder bohrt ihn ins Ohr.

Beider Künstler Werke, die insgesamt rund 70 großartigen Exponate, handeln von der conditio humana, den Bedingungen des Menschseins, in einer unbehausten Welt. In ihren jeweiligen Ausdrucksformen war der eine so radikal wie der andere. In Naumans ›Corridor with Mirror and White Lights‹ von 1971 schließlich, einem Gang, der so schmal ist, dass man ihn nicht betreten kann, weil man Klaustrophobie empfindet, mag der Betrachter sich selbst, so Esther Schlicht im Katalog, »als fadendünne Giacometti-Figur imaginieren«. Ein fadenscheiniges Argument? Das Urteil mag sich jeder selbst bilden, der sich auf diese Art von Raumerfahrung einlässt.

| PETRA KAMMANN

Titelangaben
GIACOMETTI-NAUMAN
Schirn Kunsthalle Frankfurt
28. Oktober 2016 bis 22. Januar 2017
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