Ein Comic in vier Tagen

Comic | Workshop: Werkwoche / What a photo can tell (Augsburg)

Vor nicht allzu langer Zeit noch undenkbar, aber heute gibt es an Hochschulen in Deutschland eine Comiczeichner-Ausbildung. Auch in Augsburg. Dort kommen auch Studenten mit dem Medium in Kontakt, die sich vorher noch nie damit beschäftigt hatten. Jetzt leitete dort der israelische Künstler Michel Kichka einen Workshop. Mit ANDREAS ALT hat er ein Resümee gezogen.

Michel Kichka (r) und Prof. Mike Loos Abb: Andreas Alt
Michel Kichka (r) und Prof. Mike Loos
Abb: Andreas Alt
Der Fachbereich Gestaltung der Hochschule Augsburg bildet seit einigen Jahren Studenten auch im Comiczeichnen aus. Durch den akademischen Zugang kann Comiczeichnen zu einem richtigen Beruf werden. Zuständig für diesen Bereich ist Prof. Mike Loos, der selbst von Jugend an Comics zeichnet. Das Studium ist eigentlich auf Grafik und Illustration ausgerichtet, aber es wird immer wieder deutlich, dass die Studenten auch das Medium Comic ernst nehmen und sich mit Freude und Eifer damit beschäftigen. Das hat sich gerade wieder in einem Workshop gezeigt, der von dem israelischen Künstler Michel Kichka geleitet wurde.

Am Ende der viertägigen Veranstaltung zeigte sich Kichka im Gespräch sehr zufrieden mit den Ergebnissen. Die 17 Teilnehmer hätten sich allesamt in die Arbeit gestürzt, um einen »guten Job« zu machen, manche hätten bis tief in die Nacht an ihrem Comic gesessen. Kichka hatte folgende Aufgabe gestellt: Jeder sollte ein Foto in den Workshop mitbringen – es konnte ein persönliches Motiv zeigen oder aus einer Zeitung oder Zeitschrift stammen. Das, was ihnen an dem Bild wichtig war, sollten die Teilnehmer dann zu einem dreiseitigen Comic erweitern.

»In einem Comic ist alles möglich«

Wichtig für einen guten Comic sei, dass man das richtige Thema finde, sagte Kichka. Er hielt die Studenten dazu an, ihren Bezug zu dem Foto aufzuschreiben und diesen Text allen anderen vorzulesen. Dann ließ er sie mit dem Zeichnen beginnen. Dabei machte er so gut wie keine Vorgaben mehr. Aber er ging, wie er sagte, von Tisch zu Tisch, schaute ihnen über die Schulter und zeigte ihnen Comics, die in seinem Computer gespeichert waren, um ihnen Anregungen zu geben. »In einem Comic ist alles möglich«, sagte er.

Zwei Drittel der Workshop-Teilnehmer schafften es tatsächlich, ihren Comic innerhalb der vier Tage fertigzubekommen. Bei einigen, so Kichka, stellte sich heraus, dass sie fünf oder sechs Seiten für ihre Geschichte brauchten, manche hätten nur die Vorzeichnungen geschafft, manche kamen am Ende zu der Überzeugung, dass sie ihr Werk überarbeiten müssen. Manche machten die Form der Kommunikation mit fortlaufenden Bildern selbst zum Thema, manche arbeiteten autobiografisch, andere machten Tiere zu Comicfiguren oder griffen politische Themen auf. Es gab Comics, in denen auf Dialoge völlig verzichtet wurde. Insgesamt bescheinigte Kichka allen ein gutes Design der Charaktere und eine sorgfältig ausgearbeitete Sprache. Sie hätten zudem versucht, grafisch aus jedem Panel das Beste herauszuholen.

Fünf oder sechs der Studenten hatten bereits Comics gezeichnet, zwei hatten noch nie etwas mit Comics zu tun gehabt. »Sie waren alle sehr offen; und es gab eine gute Gruppendynamik«, resümierte Kichka. »Ich würde gern zu so einem Workshop wiederkommen.« Der Kontakt nach Augsburg ist beim Comic Salon in Erlangen zustande gekommen. Kichka fiel dort Mike Loos auf; der Designprofessor fand ihn sympathisch und hatte das Gefühl, er würde sich als Dozent eines Workshops eignen. Tatsächlich hat »die Chemie gestimmt«, wie Loos sagte. Es war möglich, Kichka aus Jerusalem einzufliegen, weil das Akademische Auslandsamt die Reisekosten übernahm und auch sein Honorar sich im Rahmen hielt.

Michel Kichka: Aus Belgien nach Jerusalem

Kichka hat eine interessante Biografie. Der 62-Jährige wurde in Belgien geboren, wo er bis zum Ende seiner Schulzeit lebte und dabei die frankobelgische Comicszene genau kennenlernte. 1974 ging er nach Israel und studierte Grafik-Design in Jerusalem. Wie er sagte, hat er schon in Belgien Amateurcomics veröffentlicht, arbeitete in Israel aber zunächst hauptsächlich als Illustrator. Wie in Deutschland gibt es auch dort keinen großen Comicmarkt und kaum eine Möglichkeit, vom Comiczeichnen leben zu können. Er fand dann aber glücklich eine Stelle als Zeichner von Kindercomics. Nebenher produziert er auch Cartoons und Illustrationen und lässt sich, wie hier, als Dozent engagieren.

Vor einigen Jahren setzte er sich an seine erste Graphic Novel. Heraus kam der Band ›Zweite Generation‹ (in Deutschland bei Egmont erschienen), ein sehr persönlicher Comic, in dem er sein Verhältnis zu seinem Vater und damit seine jüdische Identität aufarbeitet. Sein Vater wurde 1942 in KZ Auschwitz deportiert, überlebte jedoch das Grauen. Allerdings war Kichkas Jugend stark von den Erlebnissen des Vaters geprägt. Dieser Comicband, der zuerst in Frankreich veröffentlicht wurde, bedeutete für ihn den Durchbruch als ernst zu nehmender Comickünstler. In Israel wurde er in der nationalen Gedenkstätte Yad Vashem vorgestellt. Laut Kichka traf er die Menschen »ins Herz«.

Vielleicht etwas überraschend hat er mit Deutschland kein Problem: Er sei schon viele Male hier gewesen, sagte er ganz leichthin, und er hat auch keine Vorbehalte gegen Deutsche: »Die Deutschen sitzen hier im Raum; die Nazis, das waren ihre Väter und Großväter.« So sei er zwar nicht erzogen, räumte er ein, aber er habe seinen Horizont erweitert. Als er das Augsburger Rathaus besuchte, fiel ihm auf, dass es dort zwei Gedenkstätten gibt: eine für die Opfer des Zweiten Weltkriegs und eine für die Holocaust-Opfer. Und so möchte er das gern sehen: Beide Seiten hatten unter der Zeit des Nationalsozialismus zu leiden.

Kichka - Zweite Generation Cover

Was wird nun aus den im Workshop entstandenen Comics? Bis vor kurzen gab Loos erst jährlich, dann in etwas größeren Abständen eine Anthologie mit dem Titel ›Strichnin‹ heraus, in der Comics seiner Studenten der Öffentlichkeit präsentiert wurden. Nun hat er sich aber eine Denkpause verordnet. In der bisherigen Form möchte er ›Strichnin‹ jedenfalls nicht weiterführen – vielleicht etwas einfacher gestaltet als Schwarz-Weiß-Band. Aber ob die jetzt entstandenen Werke in einem solchen Band erscheinen werden – Loos zuckt die Schultern. Trotzdem waren die vier Tage nach seinen Worten ein besonderes Erlebnis: »Sonst gibt es ja Unterricht; eine Stunde folgt auf die andere. Hier wurde nun vier Tage lang konzentriert gearbeitet, teilweise Tag und Nacht. Es war den Studenten klar: Danach ist der Typ wieder weg…«

| ANDREAS ALT

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| Zum Workshop
| Kichkas Graphic Novel „Zweite Generation“

1 Comment

  1. […] Ein Comic in vier Tagen Titel Kulturmagazin, Andreas Alt  Professor Mike Loos bringt seine Studenten an der Hochschule Augsburg immer wieder mit Comics in Berührung und gibt dort seit einigen Jahren die Anthologie Strichnin heraus. Nun hat er den israelischen Comickünstler Michael Kichka (Zweite Generation) eingeladen, in Augsburg einen mehrtägigen Workshop abzuhalten. […]

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