Peru in den 90er Jahren

Roman | Mario Vargas Llosa: Die Enthüllung

In seinem Roman Die Enthüllung beleuchtet der peruanische Schriftsteller Mario Vargas Llosa die Amtszeit des ehemaligen peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori. Von BETTINA GUTIÉRREZ

vlEin mittelmäßiger Boulevardjournalist, dessen Arbeit sich, wie in dieser Branche üblich, auf Unterstellungen und Beschimpfungen gründet und die von ihm geleitete Zeitschrift Enthüllt sind die eigentlichen Protagonisten von Mario Vargas Llosas jüngstem Roman Die Enthüllung, den er kürzlich im Rahmen einer Lesung der lit.Cologne Spezial in Köln vorstellte.

Die Handlung spielt sich im Lima der späten 90er Jahre ab, der Zeit, als der ehemalige peruanische Präsident Alberto Fujimori sein Land wie ein Diktator regierte. »Dies war die schlimmste Zeit der Diktatur. Es war die Zeit des Terrorismus, des Leuchtenden Pfads, der bewaffneten Banden, der ausufernden Kriminalität und der abendlichen Sperrstunden, die bei den Bewohnern Limas eine gewisse Klaustrophobie und Paranoia auslösten. All dies hatte zur Folge, dass die Menschen Angst vor der Zukunft hatten. Es herrschte eine nervöse Stimmung, die sich auch auf das Privatleben der Bevölkerung auswirkte« so Mario Vargas Llosa.

Vor diesem Hintergrund schildert er die Machenschaften des Journalisten Rolando Garro, der den wohlhabenden und landesweit bekannten Unternehmer Enrique Cardenas mit anstößigen Fotos erpresst, woraufhin dessen Privatleben völlig aus den Fugen gerät. Und er beschreibt die Praktiken der Handlanger Fujimoris, vor allem die seines Geheimdienstchefs Vladimiro Montesinos, der in dem Roman als »Doktor« und vermeintlicher Kämpfer gegen den Terrorismus auftritt, dem alle Mittel recht sind:

»Wenn zwanzigtausend sterben und darunter fünfzehntausend Unschuldige, ist das egal. Hauptsache wir töten fünftausend Terroristen« lautet des »Doktors« Maxime in Die Enthüllung. Doch nicht nur eine gnadenlose Menschenjagd, sondern auch die Instrumentalisierung der Regenbogenpresse gehörte zu den Errungenschaften der Amtszeit Fujimoris.

»Alle Diktaturen haben die Boulevardpresse benutzt, um ihre Kritiker einzuschüchtern. Bei Fujimori war dies jedoch besonders ausgeprägt, so ausgeprägt wie in keinem anderen latein-amerikanischen Land« erläutert Mario Vargas Llosa den politischen Kontext seines Romans. »Montesinos selbst hat die Schlagzeilen auf der Titelseite der Zeitschriften und Zeitungen verfasst. Das hat dem seriösen Journalismus geschadet« fährt er fort.

So verwundert es nicht, dass der besagte »Doktor« im Laufe der Handlung seine Macht benutzt, um den ihm abtrünnig gewordenen Rolando Garro ermorden zu lassen, einen Unschuldigen des Mordes bezichtigt und ihn dafür bestrafen lässt. Juan Peneita, ein ehemaliger Gedichtrezitator und Sinnbild einer Zeit, in der das Rezitieren noch als Kunstform galt, muss für dieses Verbrechen büßen. »Er ist ein unschuldiger, harmloser und wehrloser Mensch, der von dem Regime benutzt wurde. Er ist prototypisch für die Opfer dieses politischen Systems, in denen Menschen verurteilt werden konnten, obwohl sie nichts verbrochen hatten« begründet Mario Vargas Llosa die literarische Gestaltung dieses Protagonisten, der zu den anrührendsten Gestalten seines Romans gehört.

Als nunmehr verarmter Fernsehstar, dessen Leben und Karriere von Rolando Garro ruiniert wurden, führt er mit seinem Kater Serafín ein bescheidenes Leben in einem Hotel, im Hotel Mogollón. Dies, bis er plötzlich von der Geheimpolizei aufgespürt, gefoltert und zu einem Geständnis gezwungen wird, das ihm Demenz attestiert und einen Aufenthalt im Seniorenheim bescheren soll. Doch wäre Die Enthüllung kein Werk Mario Vargas Llosas, wenn es zum Schluss nicht eine Überraschung und Wendung zum Guten, also ein »Happy End« geben würde. Hiervon sollte sich der Leser aber am besten selbst überzeugen.

| BETTINA GUTIÉRREZ

Titelangaben
Mario Vargas Llosa: Die Enthüllung
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot
Berlin: Suhrkamp Verlag 2016
301 Seiten. 24.- Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei auf Osiander

Reinschauen
| Leseprobe| mehr von Mario Vargas Llosa in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

»Es fühlt sich nach Zukunft an hier«

Nächster Artikel

Ein Comic in vier Tagen

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Die zweite Spielzeit spiel ich alleine

Roman | Verena Boos: Kirchberg Eine Frau verliert ihre Gesundheit, ihre große Liebe, eine sichere Zukunft. Erschöpft und ernüchtert kehrt sie in ihr Heimatdorf zurück und sucht Unterschlupf im Haus ihrer Kindheit. In ihrem zweiten Roman ›Kirchberg‹ kartographiert Verena Boos die mehrfach verschlungenen, häufig gebrochenen Lebenslinien und Lebensentwürfe mehrerer Generationen. Von INGEBORG JAISER

Die Amerikaner kommen

Roman | Anthony Horowitz: Der Fall Moriarty Ganz London ist in Aufruhr – von der Unterwelt bis zum Oberhaus. Offenbar hat ein Mann namens Clarence Devereux den Tod von Professor Moriarty in den Reichenbachfällen genutzt, um sich an die Spitze der Verbrecherwelt der Themsestadt zu setzen. Devereux kommt aus New York und einer, der ihn im Auftrag der Pinkerton-Agentur von dort nach Europa gefolgt ist, weiß, was das bedeutet: »Der amerikanische Kriminelle hat kein Urteilsvermögen und keinen Sinn für Loyalität.« Wahrscheinlich mordet er sogar in der heiligen Stunde des Five’o’Clock-Teas – eine ganz neue Qualität von Verbrechen sucht die britische

Entgegen der Schwerkraft

Roman | Joachim Meyerhoff: Man kann auch in die Höhe fallen

Das kann noch nicht alles gewesen sein, ahnt man nach dem letzten Band aus Joachim Meyerhoffs autobiographischem Zyklus Alle Toten fliegen hoch. Nach einem Schlaganfall und emotionalen Ausnahmesituationen flieht der Schauspieler zurück zum mütterlichen Rückzugsort. Nicht nur im familiären Kosmos liegt vieles nah beisammen: Komik und Tragik, Übermut und Absturz, doch Man kann auch in die Höhe fallen. Von INGEBORG JAISER

Bauen für den Endsieg

Thema | Fatherland: NS-Architektur im Roman Der dystopische Roman ›Vaterland‹ greift die Bauvorhaben des Hitler-Regimes auf und verarbeitet sie kritisch durch die Augen des Protagonisten. Dabei nutzte der Schriftsteller Robert Harris dieselben NS-Pläne für Berlin, die auch dem Publizisten Ralph Giordano für sein Sachbuch ›Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte‹ vorlagen. Von RUDOLF INDERST

Leiden unter dem Glück

Roman | Daniel Glattauer: In einem Zug

Seinen literarischen Durchbruch schaffte der 64-jährige Wiener Daniel Glattauer mit seinem 2006 veröffentlichten Roman Gut gegen Nordwind, einem modernen Briefroman, der ein wenig an den Kinofilm „Email für dich“ mit Tom Hanks und Meg Ryan erinnerte. Im Mai 2009 wurde eine Bühnenfassung in den Wiener Kammerspielen uraufgeführt. 2019 folgte die Verfilmung des Bestsellers mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen. In den letzten knapp zwanzig Jahren ging es bei Daniel Glattauer, der es schafft, eine wohl austarierte Mischung aus E- und U-Roman zwischen die Buchdeckel zu bringen, steil bergauf. Von PETER MOHR