Roman | Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald
Der Niederösterreicher Reinhard Kaiser-Mühlecker ist trotz seiner gerade einmal 34 Jahre längst weit mehr als nur ein Geheimtipp in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Als der auf dem elterlichen Bauernhof in Eberstalzell aufgewachsene Autor 2008 mit dem schmalen Roman Der lange Gang über die Stationen debütierte, wirkte diese Prosa über das bäuerliche Leben in der Provinz wie ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Von PETER MOHR
Aber die Nachfolgewerke machten schnell deutlich, dass hier ein herausragendes sprachliches Talent, ein exzellenter Beobachter und subtiler Menschenkenner heranwächst.
Kaiser-Mühlecker bewegt sich inhaltlich und formal stets ein wenig abseits des literarischen Zeitgeistes, immer ein wenig melancholisch und immer im Spannungsfeld zwischen idyllisch anmutendem Landleben und unaufhaltsamen Veränderungen, die die moderne Landwirtschaft mit sich bringt.
Im Mittelpunkt des neuen Romans stehen die Brüder Jakob und Alexander Fischer, die in einem bäuerlich geprägten Drei-Generationen-Haushalt aufwachsen. Die Landwirtschaft bringt keine Erträge mehr, der Vater muss mehr und mehr Land verkaufen. Der gepflegten Familientradition steht die notwendige Herausforderung der beruflichen Neuorientierung gegenüber. Der Großvater thront über allem, verwaltet geradezu patriarchalisch sein Vermögen und spendiert sich »Jahr für Jahr wieder einen nagelneuen Jaguar«. Das passt so gar nicht in das Klischee des bäuerlichen Provinzlebens.
Zu Beginn sitzt Jakob mit seinem 15 Jahre älteren Bruder Alexander in einer Kneipe. Der Ältere befindet sich als Soldat auf Heimaturlaub. Er hat das Militär gegen die heimatliche, bäuerliche Enge getauscht, ohne allerdings die Fesseln wirklich abschütteln zu können. Und Jakob kam es vor, »als streiche er immer nur – suchend, suchend – entlang an einer glatten, fugenlosen Mauer.«
Eine bedrohliche Grundstimmung schwingt durch die Zeilen, allenthalben existieren große und kleine Krisenherde. Jakobs Freund Markus erhängt sich, und es wird hinter vorgehaltener Hand getuschelt, dass Jakob etwas mit der Sache zu tun haben könnte. Alexanders ehemalige Geliebte Elvira, die einst eine ganze Generation junger Männer betörte, hat sich als Anführerin einer fanatischen religiösen Sekte, die in einen Mordfall verstrickt sein soll, einen zweifelhaften Ruf erworben.
Zwischen Viehstall und endlosen Weiden ist jede Menge los, von romantischem Landleben keine Spur. Die Figuren taumeln ein wenig durch das Hier und Jetzt, sind sich der Veränderungen bewusst (»Etwas ging zu Ende und war doch noch nicht zu Ende.«), verharren aber in einem relativ passiven Zustand, der von Hilflosigkeit und Skepsis geprägt ist. Man lebt zwar miteinander, aber ein wirklicher Gedankenaustausch (abseits der täglichen Routine) findet nicht statt. Eisiges Schweigen lässt die Seelen der Figuren gefrieren. Die Fischers leben zwar unter einem Dach, begegnen einander aber wie Fremde.
So bleiben die Brüder Jakob und Alexander bis zum Schluss orientierungslose Suchende des kleinen Glücks. »Mich interessiert auf jeden Fall die andere Seite des Glücks«, hatte Autor Reinhard Kaiser-Mühlecker 2011 schon völlig zutreffend über seine Werke erklärt.
Alexander sitzt in Wien als Oberleutnant im Militärstab und hat sich in die Frau eines Vorgesetzten verliebt. Jakob geht kurzzeitig eine Beziehung zu Nina ein, die schwanger wird (allerdings nicht von Jakob), verlässt vorübergehend den Hof, schlägt sich als Leiharbeiter durch, kehrt aber – nach dem Ende der Beziehung – fast reumütig auf den Fischer-Hof zurück.
Schlussendlich landet er – traurig, traurig!! – in der Sekte von Alexanders Jugendfreundin Elvira, wird dort »Teil eines großen Zusammenhalts«, und deren Ehemann gibt ihm Arbeit in einer Sägerei. Glück hört sich anders an, aber bei Reinhard Kaiser-Mühlecker geht es (wie so oft in den Vorgängerwerken) darum, sich mit dem Schicksal zu arrangieren und eigene Sehnsüchte auf kleiner Flamme zu halten.
Mit einer beinahe einzigartigen elegisch-melancholischen Hintergrundmelodie beschreibt er den Wandel in der ländlichen Provinz. Dort, wo der Alltag über Generationen hinweg von geradezu ritueller Monotonie geprägt war, bröckelt das existenzsichernde Fundament immer mehr ab.
Der Umbruch vollzieht sich langsam, aber mit gewaltigen Auswirkungen. Langsam und bedächtig, manchmal gar leicht altbacken und ausschweifend ist auch Kaiser-Mühleckers Erzählton, doch die Wucht seiner Worte, die Vitalität seiner Sprache ist einmal mehr überragend.
Titelangaben
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Fremde Seele, dunkler Wald
Frankfurt/Main: S. Fischer Verlag 2016
302 Seiten, 20.- Euro
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