Menschen im Salon

Roman | Vicky Baum: Pariser Platz 13

Gut achtzig Jahre ist die »Helen-Bross-Methode« jetzt alt, aber wir sind noch immer kein bisschen weiser: Jugendwahn und Alterungsangst sind bis heute verlässliche Profitgeneratoren. Das wird einem schmerzhaft klar beim Lesen von Vicky Baums Komödie Pariser Platz 13, die der kleine, feine Berliner AvivA-Verlag jetzt mitsamt einigen ihrer Artikel und einem klugen Nachwort wieder veröffentlicht hat. Von PIEKE BIERMANN

Pariser Platz 131930 hatte Vicky Baum die »Helen-Bross-Methode« in die Berliner Welt gesetzt. Die Prosa-Schriftstellerin, deren Bestseller Menschen im Hotel bald darauf in Hollywood verfilmt wurde, und Star-Journalistin (mit Exklusivvertrag und cross-marketing-Status) des größten europäischen Verlags Ullstein hatte sich diesmal für die dramatische Form entschieden.

Und selbstverständlich geht es auch diesmal um ein Wesen, das Vicky Baum selbst geradezu ideal verkörperte: die aus dem Grauen des Ersten Weltkriegs und der revolutionären Verve der kurzen Weimarer Demokratie geborene Neue Frau. Finanziell unabhängig, weil berufstätig, von Korsett und Zopf entlastet, patent bis sportlich, keck, freiheitsdurstig, gescheit – aber alles doch irgendwie not too much.

Gesichtsspannung und Überpflanzung

Pariser Platz 13 ist, wie wir heute sagen würden, eine klassische Boulevardkomödie. An dieser fiktiven Adresse wird nach der »Helen-Bross-Methode« gearbeitet, in der Filiale eines internationalen Schönheitskonzerns nämlich. Hier im Salon lässt sich die Neue Frau nach allen Regeln der kreativen Ausbeutung des Jugend- und Schönheitswahns das Geld aus der Tasche ziehen, das sie ja jetzt selbst verdient. Hier verplempert sie die Zeit, die sie vor lauter Beruf eigentlich gar nicht mehr hat. Hier lässt sie sich freiwillig schikanieren und malträtieren.

Das Laufband fürs Heim, die schnelle Pilates-Tortur oder Botox-Sitzung für die Mittagspause waren damals noch nicht erfunden. Aber sind die seinerzeit praktizierten Gesichtsspannungen und Haarfarben-Rekonstruktionen, sind Experimente mit Diathermie und Affendrüsen, kosmetische Operationen und Versuche der »Überpflanzung« (lateinisch: Transplantation) wirklich absurder als der Altersvermeidungs-Schnick-Schnack, der uns heutzutage so angedreht wird?

Wohl kaum. Jedenfalls nicht, solange auch allerneueste Frauen das ewig-alte Drama kultivieren, das so schöne Profite verspricht. Kundin Katja bringt es auf den Punkt: »Alles, was hier im Salon geschieht, geschieht doch nur für das bisschen Mann!«

Potemkinsche Gesichter

Alles, was dann bis zu Katjas Schlusssatz in jenem Salon geschehen ist, hält eine wunderbare Schwebe aus sarkastisch-ironischer Selbstdemontage, beißendem Witz und lebensweisen Kommentaren. Allein die Figuren mit ihren Be- und Empfindlichkeiten, ihren Fesseln und Freiheiten sind gnadenlos und klug klischiert.

Da sind die Kundinnen, die sich suggerieren lassen, sie sähen jetzt schon so alt aus, wie sie bestimmt nie werden: Zum Beispiel Alix, Architektin und als solche natürlich gleich doppelt auf die gelungene Fassade angewiesen. Oder die graumäusige Schauspielerin, die zur wandelnden Helen-Bross-Reklame umgefriemelt wird. Da ist Helen Bross selbst, die Chefin dieses internationalen Konzerns, gerade auf Promotour in Berlin: Angeblich ist sie Mutter zweier Söhne und »schon 42«, in Wahrheit aber bloß so alt, das heißt jung, wie ihre Produkte sie aussehen lassen wollen. Die äußere Erscheinung als Potemkinsches Dorf.

Da ist – außer dem Personal und diversen weiteren Kundinnen – schließlich auch das erwähnte »bisschen Mann«: der genervte, polyglott in alle Welt telefonierende Geschäftsführer Elias. Alixens junge männliche Schmuckbrosche namens Pix. Und ein Boy, der ausgerechnet Adonis heißt.

Uhu, Dame, Gala, Stern

Was und vor allem wie sie reden, klingt tatsächlich auch nach achtzig Jahren noch taufrisch. Die Anspielungen auf die damals weltberühmten konkurrierenden Kosmetikköniginnen Elizabeth Arden (deren Salon wirklich unweit des Pariser Platzes lag) und Helena Rubinstein, der eingestreute Werbeschwurbel, die Seitenhiebe auf die Eitelkeiten der High Snobiety und vor allem die ausführlichen Szenenanweisungen und Figurenbeschreibungen sind reines Lesevergnügen.

Genauso staunend liest man danach die Prosastücke und entdeckt, wie cool die hochmoderne Vicky Baum ihr eigenes Material in der Komödie recycelt hat. Es sind fünf ihrer Artikel aus dem Uhu und eine Glosse aus der Dame. Darin finden sich, neben kiebigen Bemerkungen über Psychoanalyse, Chemie, Biologie, Medizin, auch dialektische Bedenken in Sachen Liebe & Co, über die bis heute räsoniert wird: »Es ist ein bißchen viel Betrieb rund um die Erotik, etwas Ernüchtertes und Geschäftsmäßiges, eine zu laute Propagierung der sexuellen Freiheit und Abwechslung. Wir sind am Ende ein wenig über das Ziel geschossen, indem wir allen und jeden Liebesballast abgeworfen haben? Oder warum machen unsere jungen Männer einen so blasierten, gelangweilten Eindruck, und warum bekommen unsere jungen Mädchen so rasch etwas Abgebrauchtes, Schmelzloses?«
Der globalisierte Bubikopf

Vicky Baum hat auch in der Verjüngungsindustrie recherchiert, teilweise im Selbstversuch, und zerpflückt mit mildem Spott die Innovationsinvasionen aus Amerika. Dort, in New York, persifliert just um dieselbe Zeit Dorothy Parker die alten Leiden der neuen flappers und ihr Geplapper. Und in den heiteren Genuss zieht beim Lesen eine leise Wehmut ein: Wie viel Weltläufigkeit, welche strotzende Vitalität ist hierzulande verlorengegangen!

Was für eine Chance hätten diese roaring twenties sein können! Allein die schreibenden deutschen flappers, die »Bubiköpfe«: die Keun, die Kaléko, die Tergit, Helen Grund… Und – eben – die viel zu lange als »trivial« geschmähte Vicky Baum. Man soll sie unbedingt lesen. Und gern auch aufführen, aber nur so intelligent, wie sie geschrieben hat, bitte!

| PIEKE BIERMANN

Eine erste Version dieser Rezension wurde am 22. Juli 2012 im WDR 3 »Gutenbergs Welt« veröffentlicht und ist als Podcast nachzuhören.

Titelangaben
Vicky Baum: Pariser Platz 13
Eine Komödie aus dem Schönheitssalon und andere Texte über Kosmetik, Alter und Mode
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Julia Bertschik
Berlin: AvivA Verlag 2012.
220 Seiten. 13,90 Euro

Voriger Artikel

»Krieg ist immer schlimmer, als ich beschreiben kann«

Nächster Artikel

Kampf den Tigerhaien

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Der Traum von der Golden Gate Bridge

Jugendbuch | Ying Chang Compestine: Revolution ist keine Dinnerparty Die Kulturrevolution in China endetete offiziell im Jahr 1969. Die Säuberungsaktionen gegen Andersdenkende, der Tod von Hunderttausenden, physische und psychische Misshandlungen währten aber bis zum Tod Maos. Was das tatsächlich für eine Familie bedeutet, erfährt man aus der Sicht der neunjährigen Ling. Von ANDREA WANNER

Eine Menschenjagd in der Neuen Welt

Roman | Robert Harris: Königsmörder

Am 30. Januar 1649 wurde König Karl I. aus dem Hause Stuart, nachdem er am Ende eines siebentägigen Prozesses zum Tode verurteilt worden war, in London öffentlich enthauptet. 59 Mitglieder des über ihn zu Gericht sitzenden High Court of Justice unterzeichneten das Urteil. Mit der Hinrichtung des 48-jährigen begann für England eine elf Jahre andauernde republikanische Phase, ehe Karls Sohn Karl II. 1860 die Monarchie restaurierte. In der Folgezeit blies man zur Jagd auf die 59 »Königsmörder«. Zwei von ihnen, Edward Whalley und William Goffe, hatten sich über den Atlantik nach Neuengland abgesetzt. Ihrem Schicksal spürt in einer raffinierten Mischung aus Geschichte und Fiktion der neue Roman von Robert Harris nach. Von DIETMAR JACOBSEN

Altern ist nichts für Feiglinge

Roman | Stewart O’Nan: Henry persönlich Fast ein ganzes Jahr – vom Valentinstag bis zu Silvester – umspannt der neue Roman von Stewart O’Nan. Ein weitgehend unspektakuläres Jahr für Henry persönlich, auch wenn der langsame Verfall dem eigenen Körper, der Familie, dem Alltag zusetzt. Wie sich der Mittsiebziger trotzdem gegen das Altern stemmt und seine kleinen, ritualisierten Freuden bewahrt, beruhigt und sorgt für Zuversicht. Von INGEBORG JAISER

Realität aus zweiter Hand

Thomas Glavinic: Der Kameramörder
Thomas Glavinic ist noch keine dreißig Jahre alt und legt nun nach ›Carl Haffners Liebe zum Unentschieden‹ (1998) und ›Herr Susi‹ (2000) mit ›Der Kameramörder‹ bereits seinen dritten vorzüglichen Roman vor. Einem ganz brisanten Sujet hat sich der gebürtige Grazer gewidmet: dem sensationslüsternen Boulevardjournalismus der privaten Fernsehsender. Von PETER MOHR

Ein Superheld im Super-Wirr-Warr

Roman| Alina Bronsky: Nenn mich einfach Superheld Wie kann das arme Opfer eines Kampfhundunfalls ein Superheld sein? In Alina Bronskys Roman Nenn mich einfach Superheld beweist Marek genau dies, indem er das Leben mit all seinen Problemen, Verrücktheiten und Liebeleien gekonnt meistert – mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in petto. Von ANNA NISCH