/

Sonderkommission »Käfig«

Roman | Simone Buchholz: Beton Rouge

Chastity Riley, Simone Buchholz‘ unangepasste Hamburger Staatsanwältin, ermittelt bereits zum siebten Mal. In ›Beton Rouge‹ landen Manager nackt in Käfigen vor den Türen eines Hamburger Verlagshauses. Ein Mädchen wird totgefahren und in Rileys Freundeskreis, ihrem großen Rückhalt in der Welt, geht es auch nicht mehr ganz so friedlich zu. Als die Spur dann noch in ein bayerisches Elite-Internat führt und Chastity an ihrem neuen Partner Stepanovic mehr zu finden scheint, als sie eigentlich gesucht hat, wird die Sache langsam unübersichtlich. Von DIETMAR JACOBSEN

Buchholz Beton Rouge Die haben es aber auch wirklich verdient. So lautet die allgemeine Meinung, als gleich zwei Top-Manager des großen Hamburger Verlagshauses Mohn & Wolff – nackt, brutal gefoltert und in enge Hundekäfige gesperrt – im Abstand von drei Tagen vor den Türen ihres Unternehmens abgeladen werden. Kaum Empathie kommt da auf bei den vielen Mitarbeitern des Hauses. Stattdessen Spott – und der eine oder andere spuckt sogar im Vorbeigehen auf die zur Schau Gestellten.

Denn sowohl dem Chef der Personalabteilung als auch dem Geschäftsführer des Hauses traut man alles zu – nur keine Politik im Sinne der Belegschaft. Ein Racheakt, ausgeführt von einem der vielen Gedemütigten? Denn um die Blätter, die hier unter einem großen Dach versammelt sind, noch profitabler zu machen, hat man Verträge gekündigt und beschäftigt lieber freie Mitarbeiter zu Dumping-Preisen als Festangestellte, während man sich selbst weiterhin fette Boni genehmigt. Der Hamburger Staatsanwältin Chastity Riley und ihrem neuen Partner vom Landeskriminalamt, dem etwas undurchsichtigen, als Mann freilich nicht ganz uninteressanten Ivo Stepanovic, kommt das etwas zu einfach vor. Erst recht, als die beiden noch eine weitere Gemeinsamkeit der Opfer entdecken: Die besuchten nämlich alle das gleiche bayerische Eliteinternat, ehe sie sich im Management von Mohn & Wolff wiederfanden.

Internatsgeschichten

Also auf nach Süddeutschland zur Fortsetzung der Recherche! Hier heißen die Gasthäuser »Zum letzten Hieb«, alles ist »viel zu niedlich«, um tatsächlich die Idylle zu sein, als die es sich nach außen hin darstellt, und eine »unverdünnte Mischung aus Misstrauen und Aggressivität« schlägt Chastity und Ivo entgegen, als sie sich im Internatsort Biesendorf schlau machen wollen über das gymnasiale Vorleben ihrer Hamburger Opfer. Dass die in ihrer wilden Jugend eher unter die Täter zählten, indem sie einen wehrlosen Mitschüler mobbten und offenbar in den Tod trieben, ist schnell ermittelt. Aber Rache ist bekanntlich etwas, zu dem Tote kaum mehr in der Lage sind.

Wer also ist der große Unbekannte in dem Käfigspiel? Der schon wieder zugeschlagen hat, als Riley und Stepanovic an die Alster zurückkehren. Jetzt ist mit dem Vorstandsvorsitzenden des Zeitungskonzerns auch noch der letzte der ehemaligen Internatsspezis verschwunden. Bekannt war der vor allem für sein Geschick, »die Scheiße nach unten durchzureichen.« Dazu hielten sich hartnäckig Gerüchte, die besagten, sein Deal mit den Hauptaktionären bestehe darin, »den Verlag innerhalb der nächsten vier Jahre einigermaßen geräuschlos abzuwickeln.« Und mit der totgefahrenen jungen Frau, die Chastity im ersten Kapitel des Romans begegnet, scheint der Mann auch etwas zu tun zu haben. So schließen sich in ›Beton Rouge‹ am Ende auch noch diese Kreise.

»Hauptsache, zu Hause im Vorgarten ist alles im Lack«

Simone Buchholz‘ neuer Roman besitzt alle Qualitäten, für die die Kritik seine Vorgänger lobte und ›Blaue Nacht‹ (2016) zu Beginn dieses Jahres mit dem 2. Platz/national des Deutschen Krimi Preises bedachte. Allein das erste Kapitel zeigt, was diese Frau mit ihrem Gefühl für Sprache aus einem Kriminalroman machen kann – wer da nicht weiterliest, ist selber schuld.

Dazu kommt eine Heldin, an deren Seite sich niemand fürchten muss. Chastity Riley ist mit allen Wassern – auch den Feuerwassern ihrer Lieblingskneipe auf Sankt Pauli, der »Blauen Nacht« – gewaschen, verlässt sich lieber auf ihren gut ausgewählten, in diesem Roman freilich etwas stressigen Freundeskreis als auf ihre mehr oder minder gelackten Arbeitskollegen und hat ein Herz für alle, die sich schwertun damit, unsere heutige Welt als die beste aller möglichen anzusehen. In der nämlich sähen einige Dinge anders aus. Zum Beispiel die Elbphilharmonie, von der es in ›Beton Rouge‹ heißt: »Im letzten Sommer haben sie den Bau an dem Monstrum von Konzerthaus endgültig für gescheitert erklärt. Ein paar Monate Rückbau hat es gebraucht, jetzt ist da ein Skatepark auf dem Dach.«

| DIETMAR JACOBSEN

Titelangaben
Simone Buchholz: Beton Rouge
Berlin: Suhrkamp Verlag 2017
230 Seiten. 14,95 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe
| Simnone Buchholz: Blaue Nacht – in TITEL kulturmagazin

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Zweite Chance

Nächster Artikel

Wüsten-Schleicherei

Weitere Artikel der Kategorie »Krimi«

Wer austeilt, muss einstecken

Film | Im TV: ›TATORT‹ Niedere Instinkte (MDR), 26. April Nach zehn Minuten hab‘ ich spontan ausgeschaltet. Ich hatte glaub‘ ich nichts verstanden, kein Stück. Kindesentführung und kein Sexualdelikt. Wasserrohrbruch. Tibetanische Zen-Gesänge. Das ist zu viel, das überfordert jeden. Sicherheitshalber hab‘ ich mich aber doch noch informiert: ein bewährter, erfahrener Regisseur, ein vielversprechendes Ensemble, und zögernd hab‘ ich mich dann eingeklinkt. Von WOLF SENFF

Siso Lazares erster Fall

Roman | Robert Hültner: Lazare und der tote Mann am Strand Robert Hültner ist bei den Lesern in Deutschland vor allem mit seiner siebenbändigen Reihe um den Münchner Inspektor Paul Kajetan (1995-2013) bekannt geworden. Die Romane spielen zwischen den beiden Weltkriegen und verbinden spannende Kriminalfälle mit genau recherchierten historischen Settings. Von DIETMAR JACOBSEN

Die Liste der listigen Morde

Roman | Peter Swanson: Acht perfekte Morde

Malcolm Kershaw ist der Mitinhaber einer kleinen, auf Krimis spezialisierten Buchhandlung in Boston. Er gilt als Spezialist für raffinierte Morde und deshalb ist es kein Wunder, dass sich das FBI bei ihm meldet und um Rat fragt, als einer belesenen Mitarbeiterin auffällt, dass ein paar Gewaltverbrechen in letzter Zeit berühmte Kriminalromane von Agatha Christie bis Donna Tartt zu kopieren scheinen. Natürlich hilft Kershaw gern, zumal FBI-Agentin Glen Mulvey alles andere als unattraktiv ist. Der Mann, dessen Frau vor fünf Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, weiß allerdings so viel über perfekte Morde, dass er bald selbst zu den Verdächtigen gezählt wird. Von DIETMAR JACOBSEN

Die Heldinnen verstehen

Menschen | ›Nachteule‹ - neuer Roman zum 90. Geburtstag von Ingrid Noll

»Man muss meine Heldinnen nicht unbedingt mögen, sondern sollte sie bloß verstehen. Mir sind selbstgerechte Menschen immer ein wenig suspekt, in bestimmten Situationen ist fast jeder zu einer Straftat fähig«, hatte die Schriftstellerin Ingrid Noll vor drei Jahren in einem Interview erklärt. Von PETER MOHR

Krass kann hilfreich sein

Film | Im TV: ›TATORT‹ – Das verkaufte Lächeln (BR) 28. Dezember, 20.15 Uhr Kinder sind ein heikles Thema. Enorm vorbelastet, Kinderschänder und so, aber manche Themen werden eben überstrapaziert. Kinder kommen ebenfalls gut im Drehbuch, wenn das ausgewachsene Publikum gerührt werden soll, gab’s alles, hatten wir neulich erst, so mancher Sender barmt um sein Profil zwischen Qualität und Quote. Von WOLF SENFF