//

Sie geben uns Klassik

Film | TATORT: ›Freigang‹ (SWR), Pfingstmontag, 9. Juni

Ist doch mal was Nettes. Ermittler treffen sich zwecks Austausch der letzten Informationen in Ramonas einschlägigem Etablissement. Nebengeräusche beeinträchtigen die Konzentration, lenken aber unsere ausgebufften Kommissare nicht von der Arbeit ab, dem ›TATORT‹ wird ein Schuss frühsommerlicher Hitze zugeführt. Von WOLF SENFF [Foto: SWR/J.Krieg]

Tatort " Freigang"<br>Foto: SWR/J.Krieg
Tatort “ Freigang“
Foto: SWR/J.Krieg
Nach fremdländischen Clans in Bremen, nach heimischen Clans bei der Abfallentsorgung haben wir nun mafiöse Clanbildung im Strafvollzug, das gilt es bloßzulegen, ein Mord ist geschehen, der Hauptverdächtige, der leider einsitzt, hat nun mal ein wasserdichtes Alibi, die Ausgangslage ist überaus kompliziert. Deswegen wird Thorsten Lannert (Richy Müller) undercover als Aufseher in den Knast geschickt.

Ohne Freunde läuft wenig

Und nein, der Vor-wenigen-Tagen-noch-Präsident des amtierenden deutschen Fußballmeisters und amtierenden Pokalsiegers sitzt nicht in diesem Knast ein, und die JVA Zuffenhausen, nichts für ungut, ist eh eine vom Drehbuch frei erfundene Anstalt, die gibt’s nicht, da findet überhaupt niemand hin, also lassen wir das.

Knast ist ein Thema in diesen Tagen, im Ernst, das Leben im Knast soll, auch wenn man dort Öffentlich-Rechtliches und Fußball-WM empfängt, kein Zuckerschlecken sein. Carsten Scheffler, ein Vollzugsbeamter, habe sich, so heißt es, erhängt. Suizid. Lannert, der in der JVA Zuffenhausen als Peter Seiler auftritt, war zuvor noch mit ihm nach Hause gefahren und hatte vom »Beginn einer wunderbaren Freundschaft« gesprochen. Da machte das Drehbuch ihm einen Strich durch die Rechnung.

»Du machst mir das Bild von Elvis kaputt!«

Peter Seiler trinkt Filterkaffee, nicht das allgegenwärtige Espresso-Gebräu, das je nach Milchzugabe unter wechselndem Namen auftritt. Die Kaffeemaschine sehen wir in der Wohnung, die für die Undercover-Rolle angemietet wurde. Interessant, wie professionell das durchgezogen wird, beinahe fassen wir neues Vertrauen in unsere Polizei, sogar eine fingierte Biographie gibt’s, die angebliche frühere Dienststelle ist vorbereitet auf den Fall, dass der Chef der JVA Zuffenhausen argwöhnisch wird und Rückfragen hat, also dilettantisch sind sie nicht, gut zu wissen, und Lannert alias Seiler macht eine tadellose Figur als Vollzugsbeamter.

Die Handlung ist stringent und straff durchgestylt; Schefflers Ehefrau Barbara, jetzt Witwe, eine sonderbar naive und unbedarfte Frau, ist schon seit Längerem in den Gefängnisclan verwickelt, sie hätte sich nicht darauf einlassen dürfen, nie im Leben.

Ihr Vater steckt mittendrin in der Aufseher-Hierarchie, das ist alles fast unüberschaubar, und der »King«, Franke, thront über allen: »King! Nenn ihn doch einmal Franke! Du machst mir echt das Bild von Elvis kaputt!« Immerhin – ›TATORT‹ zeigt sich von seiner weltläufigen Seite und gewährt Elvis einen Kurzauftritt: Oliver Steinhoff war Europameister aller Elvis-Wiedergänger in 2007 und wurde 2011 in Las Vegas sogar als ›Bester Elvis‹ ausgezeichnet, das ist allemal ein knallhartes Geschäft. Zum Abspann wird eines der Originale eingespielt, ein Schmachtfetzen direkt aus dem Himmel oder vielleicht aus dem ›Tower of Song‹. Nun aber genug davon, wird Zeit dass Sonne scheint und Sommer einzieht.

›TATORT‹ nimmt Sommerurlaub

Leerphasen gibt’s nicht, die Spannung steigt, Lannert alias Seiler sucht mehrmals sein undercover-Zuhause auf und jedes Mal fürchten wir den Schuss aus dem Hinterhalt, oder sogar Drohne hatten wir neulich, wer weiß. Der Zusammenhalt auf der anderen Seite wird ebenfalls rissig, »das System knirscht an allen Ecken und Enden«. Die Polizei bereitet den ultimativen Zugriff vor, doch selbstverständlich verläuft das nicht wie geplant, das wäre todlangweilig.

Vor der endgültigen Eröffnung des ›TATORT‹-Sommerlochs – etliche Wochen lang wird am Sonntag nun wie schon an den letzten zwei Sonntagen wiederholt werden, einmal gibt’s einen ›Polizeiruf‹ – zeigt man uns einen richtiggehend klassischen Krimi, wie schön, es tritt Personal auf, das unser Mitgefühl weckt, die Figuren sind nicht schwarz-weiß gezeichnet, sie pflegen ihre Hoffnungen, ihre Träume, unter den einen oder anderen Lebenslauf wird relativ unerwartet ein Schlussstrich gezogen.

| WOLF SENFF

Titelangaben
›TATORT‹ Freigang (Südwestrundfunk)
Regie: Martin Eigler
Ermittler: Richy Müller, Felix Klare
Pfingstmontag, 9. Juni, ARD, 20:15 Uhr

Reinschauen
Alle Sendetermine und Online-Abruf auf DasErste.de
Gregor Keuschnig zu Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon
Rüdiger Dingemann: »Tatort«-Lexikon (eBook)

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Beim Barte des Interpreten!

Nächster Artikel

Fußballfieber

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Oktoberzeit war Leidenszeit

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Eine mörderische Idee Wir werden das Rad neu erfinden! Vorbei. Nach den experimentellen Probebohrungen der ersten Oktoberhälfte nun wieder Sonntagabendkrimi der feineren Art. Konservativ gefilmt, zügige Wechsel, weder Rückblenden noch überlappende Dialoge, paar ineinander verschachtelte Szenen fallen kaum auf, das Geschehen läuft eins nach dem anderen, irrlichternde Ermittler sind nicht vorgesehen. Ein Film, der statt von dramaturgischem Dekor und ausufernder Originalität von nüchterner Handlung lebt. Geht also noch. Von WOLF SENFF

Herzallerliebste Privatheit

Film | Im Kino: Eltern (Kinostart am 14.11.13) Den Unterschied zwischen grünem Tisch und Bodenhaftung, den zeigt Eltern. Wenn ein Elternteil sich beruflich verändert, ist im realen Leben Alarm angesagt. Da kann man vorher am grünen Tisch noch so übereinstimmende Absprachen treffen – der Teufel lauert im Detail. Dem argentinischen Au-pair-Mädchen rutscht denn auch unwillkürlich heraus, dass endlich diese so reibungslos organisierte deutsche Familie ihrer eigenen Familie in Südamerika ähnlich wird. So kann’s gehen. Von WOLF SENFF

Familienzusammenführung

Film | TV: TATORT – Türkischer Honig (MDR), 1.1. Die ersten Minuten reißen uns ratzfatz in Abgründe, uns bleibt kaum eine Sekunde, uns über das übernächtigte Gesicht der Eva Saalfeld zu wundern, wir werden in familiäre Verstrickungen geworfen, »Ich bin dein Vater!«, »Du bist Abschaum!«. Nein, »Action« sollte das niemand nennen. Von WOLF SENFF

»Heftige Gefühle entwickeln«

Menschen | Zum Tod des Filmregisseurs Joseph Vilsmaier »Das Filmen ist nicht nur mein Beruf, es ist auch mein Hobby, seit ich 14 bin. Da kommt also alles zusammen. Das versuche ich so gut wie möglich zu machen“, hatte Joseph Vilsmaier vor knapp drei Jahren rückblickend in einem Interview bekannt. Von PETER MOHR

Spreu vom Weizen

Film | Im TV: Polizeiruf 110 – Käfer und Prinzessin (RBB), 6. April Das Landleben ist auch nicht mehr, wie’s mal war. Ort der Handlung: Ein Öko-Bauernhof, bewirtschaftet von einer Landkommune. Wie rücksichtsvoll, dass die Leiche in der Jauchegrube des Nachbarhofs auftaucht. »Ach du lieber Himmel. Ist ja furchtbar«, sagt Horst Krause (Horst Krause) beim Anblick der Leiche. Er hat ja völlig recht. Lange Zeit ist nicht geklärt, ob es sich um einen Mord oder um fahrlässige Tötung handelt, doch Olga Lenski (Maria Simon) und Horst Krause ermitteln in alle Richtungen, das ist tröstlich. Von WOLF SENFF