Literatur | 39. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb Klagenfurt
Seit fast vier Dekaden lädt Klagenfurt zum jährlich stattfindenden Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb ein und sorgt zuweilen für Skandale, Eclats, literarische Überraschungen. 2015 versprach bereits im Vorfeld, ein starker Jahrgang zu werden, mit erstaunlich vielen Multitalenten und Mehrfachbegabten. INGEBORG JAISER genoss den Vornamens-Bonus und verfolgte das Geschehen vor Ort.
Pünktlich zur Eröffnung des diesjährigen Lesemarathons in Klagenfurt entfacht der Wettergott ein wahres Höllenfeuer und setzt halb Kärnten unter tropische Hitze. Schon vor der Zeit verschwitzt, drängeln sich Kulturschickeria, Verlags- und Medienmenschen vor dem Klagenfurter ORF-Landesstudio, um wahlweise einen der limitierten Sitzplätze im angenehm klimatisierten ORF-Theater oder eine der begehrten Plastiktaschen mit Bachmann-Konterfei zu erhaschen – idealerweise sogar beides.Härtere Tage
Der Eröffnungsabend am 1. Juli 2015 verspricht: die übliche Auslosung der Lese-Reihenfolge der 14 antretenden literarischen Kombattanten, die Rede zur Literatur des Bachmann-Preisträgers des Jahres 2010 Peter Wawerzinek (herrlich kraftvoll, energetisch, ursprünglich, hintergründig) und natürlich jede Menge Grußworte, z.B. von Maria-Luise Mathiaschitz, (Bürgermeisterin von Klagenfurt) oder Karin Bernhard (Chefin des ORF-Landesstudios). Letztere orakelt in vager Vorausschau mit den Worten der Wettbewerbs-Namensgeberin Ingeborg Bachmann: »Es kommen härtere Tage.
Kaffee gegen Poesie
Derart desillusioniert taumeln wir nach den neojazzigen Einlagen des Duos Klaus Paier / Asja Valcic und der lässig-launigen Moderation von Christian Ankowitsch (der uns auch die folgenden Tage über charmant begleiten wird) ins Freie. Und treten mit der internationalen Vernissagen-Guerilla im Kampf am Kalten Büffet an, das heuer lediglich aus dürftigen Schnittchen mit Liptauer und Verhackertem besteht. Dafür hat sich einer der Sponsoren, das Kaffee-Traditionsunternehmen Julius Meinl, ein besonderes Schmankerl einfallen lassen: während der kommenden Tage darf man seinen Espresso vor Ort mit einem (eigenen) Gedicht bezahlen.
Dass 2015 ein besonderer Jahrgang wird, zeigt nicht nur ein Blick auf die neu formierte Jury unter Leitung des erfrischend forschen Rheinländers Hubert Winkels, sondern auch auf die Reihe der Lesenden: während der Bachmann-Wettbewerb in seinen Anfängen hauptsächlich von männlichen Schriftstellern dominiert wurde (wir denken an Preisträger wie Ulrich Plenzdorf, Sten Nadolny, Wolfgang Hilbig), sichten wir dieses Jahr eine überaus attraktive Frauenriege, gerne langmähnig, gerne migrationshintergründig, gerne laufstegkompatibel. Erstmals reckt sich die Lust an der Selbstinszenierung gekonnt in die Vorstellungs-Videos hinein, die somit mediale Bestandteile eines Gesamtkunstwerkes werden und mit erstaunlicher Finesse die danach vorgetragenen Texte illustrieren.
Ist das Mikro an?
Trotz der luftig-locker inszenierten Leichtigkeit mancher Autoren, sind viele der diesjährigen Texte von Melancholie und Multimorbidität getränkt, von Tod und Trennung, Selbstmord und Verstümmelung. Bereits am ersten Lesetag fasziniert die mehrfach talentierte Poetik-Dozentin, Filmemacherin und Poetry-Slammerin Nora Gomringer mit einer wortgewaltigen, vielstimmigen Performance ihres Textes Recherche, einer verstörenden Story über den Selbstmord eines vermutlich homosexuellen 13jährigen Pflegekindes. Gefolgt von der Trennungsgeschichte Hierbleiben, dessen eintönig beschriebene Autobahnfahrt die Autorin Saskia Hennig von Lange geradezu skandiert, begleitet durch rhythmische Luftschläge der rechten Hand.
Für Ratlosigkeit und eine brüsk endende Jury-Diskussion sorgt hingegen Sven Reckers versatzstückartig montierter Text Brot, Brot, Brot über drei Menschen in der Psychiatrie (dem Drogenabhängigen Drago, dem Alkoholiker Börner und der Ärztin Julia). Dafür überzeugt Valerie Fritschs berührender, hochliterarischer Text Das Bein durch seine emotionale Tiefe und der ergreifenden Beschreibung von Versehrtheit. Woher nur holt eine Mittzwanzigerin diese „seltene Mischung aus kühler Souveränität und überraschender Einfühlsamkeit“ (wie es die Jurorin Meike Feßmann beschreibt)?
Posen und Provokationen
Am zweiten Lesetag fasziniert Monique Schwitter, die als einzige Teilnehmerin in einem blutroten Kleid stehend liest, mit der mehrfach oszillierenden Dreiecksgeschichte Esche, in der die Vielgestaltigkeit moderner Patchworkfamilien bis zur gemeinsamen Bestattung durchdekliniert wird. Gleich gefolgt von Ronja von Rönne, die ihre dekadente Story über ein gelangweiltes Girlie der »Generation Produktiv« schnoddrig dahin(t)rotzt. Wen wundert es da noch, dass hinter diesen provokativen Posen die eher zurückhaltenden Texte beinahe untergehen, so wie Tim Krohns Neuerzählung der Adam-und-Eva-Geschichte Zum Paradies.
Doch manch ruhig erscheinendes Gemüt zeigt überraschende Tiefe. Während uns der Schweizer Dichter und Performancekünstler Jürg Halter nach dem Eröffnungsabend einsam in der Klagenfurter Innenstadt über den Weg stolpert und seine Lesung am dritten Tag (Erwachen im 21. Jahrhundert) wie unter Schlaftabletten sediert erfolgt, erstaunt sein Vorstellungs-Video durch abgründigen Witz und sein unerwarteter Kommentar zur Jury-Diskussion durch selbstironische Schlagfertigkeit.
Starkes Ensemble zum Ende
Der Zufall der Auslosung will es, dass der diesjährige Wettbewerb von drei starken Texten, vorgetragen von drei beeindruckenden Autorinnen, beendet wird. Die in Kroatien geborene Anna Baar liest eine poetische, melancholisch angehauchte Passage aus ihrem demnächst beim Wallstein Verlag erscheinenden Roman Die Farbe des Granatapfels, der die Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen aus der Sicht eines jungen Mädchens schildert. Für Kontroverse sorgt Teresa Präauer, deren temporeich-schräge Story Oh, Schimmi die Metaphern »den Affen machen« und »den Buckel runterrutschen« wortwörtlich umsetzt.
Während sich der Juror Klaus Kastberger angesichts des popliterarischen Soundtracks wieder sehr jugendlich fühlt, kann man diesen Text aus einem anderen Blickwinkel auch schlicht affig finden. Einhellige Begeisterung löst dafür Dana Grigorcea mit Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit aus, »einer herrlichen Satire in drei Etappen« (wie Hubert Winkels konstatiert), die als »rumänische Burleske« einen weiten Bogen von der Komödie zur Tragödie spannt, sehr lustvoll und witzig erzählt. Der gleichnamige Roman wird übrigens demnächst im Zürcher Verlag Dörlemann erscheinen.
Der beste erste Satz
Viel Leichtigkeit und südländisches Flair verdankt der Bachmann-Wettbewerb schlichtweg seinem Austragungsort: wer keinen Platz im chronisch überfüllten Studio findet, chillt beim Public-Viewing am malerischen Lendhafen entspannt im Liegestuhl und nippt an einem eisgekühlten Weißen Spritzer. Oder bewundert beim abendlichen Empfang im Park des Schlosses Maria Loretto den gewitterumtosten Faltenwurf des nudefarbenen Plisseerocks von Dana Grigorcea.
Und natürlich erfreut sich der Wettbewerb auch außerprotokollarischer Ableger: das persönliche »Der-beste-erste-Satz-Ranking« des Jurors Klaus Kastberger. Die Abstimmung für den besten Bachmannpreis-Juror 2015 auf literaturcafe.de. Oder den legendären Bachmann Song Contest am Lendhafen, bei dem man gerne mit der einheimischen Bevölkerung zum Quiz antreten kann.
Kein Eclat in Klagenfurt
Nach drei Stichwahlen stehen am Sonntag die Preisträgerinnen der Tage der deutschsprachigen Literatur 2015 fest: Nora Gomringer gewinnt den mit 25.000 Euro dotierten Ingeborg-Bachmann-Preis, Valerie Fritsch erhält sowohl den BKS- als auch den Kelag-Preis (10.000 Euro) – und Dana Grigorcea wird mit dem 3Sat-Preis (7.500 Euro) ausgezeichnet. Applaus, Jubel, Tränen. Die ursprünglich hoch gehandelte Präauer fällt durch, die männlichen Autoren allesamt.
Dennoch muss man sich um die Zukunft des Wettbewerbs keine Sorgen machen, angesichts der gut gelaunten Juroren- und der gefestigten Sponsoren-Runde in diesem Jahr. Und es wird wohl immer genügend Literaturbegeisterte geben, die sich um einen Sitzplatz im ORF-Landesstudio kabbeln und stundenlang andächtig bei den Lesungen ausharren, nur mit ein paar Manner-Schnitten als Jause im Gepäck.
| INGEBORG JAISER